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ihr Besitz ein persönlicher war. Doch dieses haben sie nie bewiesen; man kann sogar das direkte Gegenteil konstatieren.

In der Tat, nehmen wir z. B. eine Kommune des Kantons Waadt zu einer Zeit, wo alle Dorfbewohner im Winter in den Gemeindewald gehen und gemeinschaftlich das Holz schlagen. Gerade an diesen „Festen“ der Arbeit offenbart sich der intensivste Hang zur Arbeit und die höchste Entfaltung menschlicher Kraft. Keine Lohnarbeit, nicht die harten Mühen eines Privat-Eigentümers würden dagegen den Vergleich aushalten.

Oder nehmet auch ein russisches Dorf, dessen gesamte Bewohnerschaft eine der Kommune gehörige oder von dieser gepachtete Wiese zu mähen geht, – da werdet Ihr erfahren, was der Mensch produzieren kann, wenn er in Gemeinschaft für ein gemeinschaftliches Ziel arbeitet. Die Dorfgenossen wetteifern untereinander, wer von ihnen die breiteste Schwade zieht, die Frauen beeilen sich, um nur nicht beim Häufeln des Grases hinter den Männern zurückzubleiben. Wir haben es hier mit einem förmlichen Fest der Arbeit zu tun, während dessen hundert Personen in einigen Stunden das vollbringen, was ihre Arbeit, getrennt geleistet, nicht in mehreren Tagen zustande gebracht hätte. Welchen traurigen Kontrast bildet demgegenüber die Arbeit des isolierten Eigentümers!

Kurz, man könnte Tausende von Beispielen zitieren: Blicket nur auf die Pioniere Amerikas, in die Dörfer der Schweiz, von Deutschland, Rußland und einigen Teilen Frankreichs; auf die Arbeiten, die in Rußland durch ‚Artelen‘[WS 1] von Maurern, Zimmerleuten, Schiffern, Fischern usw. verrichtet werden, welche einen ganzen Auftrag übernehmen, sich direkt in die Produkte oder auch in die Entschädigung teilen, und zwar ohne zu der Vermittlung von Unternehmern ihre Zuflucht zu nehmen. Man könnte noch die gemeinschaftlichen Jagden der Nomadenstämme und eine unendliche Zahl von gemeinschaftlichen und herrlich ausgeschlagenen Unternehmen erwähnen. Ueberall würde man eine unbestreitbare Ueberlegenheit der gemeinschaftlichen Arbeit, verglichen zu der des Lohnarbeiters oder des einfachen Besitzers, konstatieren können.

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Der Wohlstand, d. h. die Befriedigung der physischen, künstlerischen und geistigen Bedürfnisse und eine ständigere Gewährleistung dieser Befriedigung haben immer den mächtigsten Stachel zur Arbeit gebildet. Und während der Lohnsklave kaum dazu gelangt, das dringend Notwendige zu produzieren, entfaltet der freie Arbeiter, welcher Wohlstand und Luxus für sich und die Anderen im Verhältnis zu seinen Anstrengungen wachsen sieht, unendlich viel mehr Energie und Intelligenz und erzielt Produkte nicht nur erster Qualität, sondern auch im Ueberfluß. Der Eine fühlt sich ständig dem Elend überliefert, der Andere kann in der Zukunft auf Muße und Genuß rechnen.

Und hier liegt auch das Geheimnis. Darin besteht auch der Grund, warum eine Gesellschaft, welche das Wohlergehen aller zum Ziel hat und Allen die Möglichkeit bietet, das Leben in seinen gesamten Manifestationen zu genießen, freiwillig eine unendlich bessere und höhere

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Artels waren freiwillige Zusammenschlüsse zum Zweck des gemeinsamen Wirtschaftens im Russischen Kaiserreich.
Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/129&oldid=- (Version vom 3.9.2017)