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gleich wilden in einer Arena eingeschlossenen Tieren zerfleischen, den Namen „Gesellschaft“ beizulegen.

In dem ersten Kapitel seines Werkes zählt der Verfasser die ungeheuren Reichtümer auf, welche die Menschheit schon besitzt, und führt uns den wunderbaren Werkzeugs- und Maschinenapparat vor Augen, den sie sich mittels kollektiver Arbeit erworben hat. Die heute schon erzielten Produkte genügten vollkommen, um Allen während des Jahres das Brot zu sichern, und wenn das enorme Kapital der Städte und Häuser, der bebaubaren Felder, der Werkstätten, der Transportmittel und Schulen anstatt Privateigentums Gemeineigentum würde, so wäre es ein Leichtes, den Wohlstand zu erobern: die Kräfte, welche zu unserer Verfügung stehen, würden dann nicht mehr für unnütze und widersinnige Arbeiten angewendet werden, sondern auf die Produktion dessen gerichtet werden, was der Mensch in Gestalt von Nahrung, Wohnung, Kleidung, Komfort, wissenschaftlichem Studium und Kunstpflege bedarf.

In jedem Fall: die Wiedereroberung des Besitztums der Menschheit, die Expropriation in einem Wort, kann einzig auf dem Wege des anarchistischen Kommunismus vollbracht werden; es gilt die Regierung zu zerstören, die Gesetzestafeln zu zertrümmern, ihre Moral an den Pranger zu stellen, ihre Diener zu ignorieren und sich an das Werk des Aufbaus zu machen, in dem man sicher seiner eigenen Initiative folgt und sich, entsprechend seinem Sich-Eignen, seinen Interessen, seinem Ideal und der Natur der unternommenen Arbeiten, zu Gruppen vereinigt. Diese Frage der Expropriation, die wichtigste des Buches, hat der Verfasser ausführlicher als alle anderen, mit großer Vorsicht, ohne Wortschwall und mit einer Ruhe und Klarheit der Vision behandelt, wie es eben das Studium einer kommenden, überdies unvermeidlichen Revolution erfordert. Erst nach dem Sturz des Staates werden sich die Gruppen der befreiten Arbeiter – nicht mehr im Frondienste von Ausbeutern und Parasiten stehend – den Reizen einer frei gewählten Arbeit widmen und mit Hülfe der Wissenschaft an die Kultur des Bodens und die industrielle Produktion schreiten und eine Abwechslung und Erholung im Studium oder Vergnügen suchen können. Die Seiten des Buches, welche von den landwirtschaftlichen Arbeiten handeln, bieten ein spezielles Interesse, denn sie berichten Fakta, welche die Praxis schon bestätigt hat und deren Verallgemeinerung auf großer Stufenleiter dem Nutzen aller, nicht allein der Bereicherung einiger weniger dienen könnte und keineswegs unüberwindliche Schwierigkeiten bietet.

Spaßmacher sprechen uns vom „fin de siècle“ und scherzen über die Laster und Verschrobenheiten der eleganten Jugend; doch es handelt sich heute um viel mehr als das Ende eines Jahrhunderts, wir stehen vor dem Ende einer geschichtlichen Epoche, vor dem Ende einer sozialen Aera; wir stehen vor dem Todeskampf der antiken Zivilisation. Das Recht der Gewalt und die Laune der Autorität, die harte jüdische Tradition und die grausame römische Jurisprudenz verlieren unsere Ehrfurcht, wir bekennen uns zu einem neuen Glauben, und mit dem Momente, wo dieser Glaube, der zugleich Wissenschaft ist, derjenige aller, welche die Wahrheit suchen, geworden ist, wird er auch in der

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite XIV. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/14&oldid=- (Version vom 21.5.2018)