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Grundzins zu bezahlen brauche. Diese Anzahl von Jahren ist auf dem Grenzpfahl mit eben so viel Kreuzen markiert: der Bauer begreift, was diese Kreuze bedeuten.

Die Elenden überfluten die Ländereien des Barons. Sie bauen Straßen, trocknen Sümpfe aus, schaffen Dörfer. Nach neun Jahren vielleicht wird ihnen der Baron eine Pacht auflegen; nach weiteren fünf Jahren wird er einen im voraus zu bezahlenden Grundzins erheben, welchen er dann bald wieder verdoppelt, und so fort! – und der Landbebauer wird immer diese neuen Bedingungen annehmen, weil ihm anderwärts nicht bessere geboten werden. Und allmählig, unter Hilfe des von dem Herrn Baron gemachten Gesetzes, wird das Elend des Bauern eine Quelle des Reichtums des Edelmannes, und nicht allein des Edelmannes, sondern einer ganzen Schar von Wucherern, welche sich in den Dörfern niederlassen und sich im gleichen Maße vermehren, als der Bauer mehr und mehr verarmt.

So ging es im Mittelalter, so geht es heute noch. Wenn es heute freie Ländereien gäbe, welche der Bauer nach seinem Belieben kultivieren könnte, dann würde er dem gnädigen Herrn Grafen, der ihm ein Teilchen Landes verkaufen will, nicht 800 Mk. pro Hektar zahlen; noch würde er ihm eine lästige Pacht zahlen, die ihn eines Drittels dessen beraubt, was er produziert, noch würde er sich zum Halbbauer hergeben, der die Hälfte seiner Ernte dem Eigentümer überlassen muß?

Aber es gibt deren keine; also muß er alle Bedingungen annehmen, vorausgesetzt, daß er nur sein kümmerliches Leben bei dem Ackerbau fristen kann; und den Herrn Edelmann wird er bereichern.

Wie im Mittelalter, ist es auch heute immer noch die Armut des Bauern, welche den Reichtum des Grundeigentümers bedingt.

II.

Der Eigentümer des Bodens bereichert sich also an dem Elend des Bauern. Ebenso steht es mit dem industriellen Unternehmer.

Nehmt einen Bourgeois, welcher auf die eine oder andere Weise in den Besitz eines Vermögens von 500 000 Mk. gekommen ist. Er könnte dieses leicht bei einem jährlichen Verbrauch von 50 000 Mk. verzehren – eine nicht zu hohe Summe bei dem phantastischen und unsinnigen Luxus unserer Tage. Aber dann hätte er nichts mehr nach Verlauf von 10 Jahren. Als „praktischer“ Mann wird er es vorziehen, sein Vermögen intakt zu erhalten und sich ein kleines, nettes jährliches Einkommen zu verschaffen.

Es ist doch ein Leichtes in unserer Gesellschaft, wo unsere Städte und Dörfer von Arbeitern wimmeln, die nicht einmal alle 14 Tage, geschweige denn für einen Monat zu leben haben. Unser Bourgeois entschließt sich also, eine Fabrik zu erbauen. Die Bankiers leihen ihm sofort weitere 500 000 Mk. zu diesem Zweck, namentlich wenn er in dem Ruf steht, „gewandt“ zu sein. Mit seiner Million kann er jetzt 500 Arbeiter beschäftigen.

Wenn es nun in der Umgebung der Fabriken nur Männer und Frauen gäbe, deren Existenz gesichert wäre – wer würde da zu unserem Bourgeois arbeiten gehen? Niemanden würde es einfallen,

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/46&oldid=- (Version vom 21.5.2018)