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Walther Kabel: Die Furcht vor Mäusen und Ratten. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 1, S. 218–222

die mächtigen Köpfe nach der Mitte des Podiums hin richtend. Da – mit einem Male erschallt aus dem Publikum eine vorwitzige Stimme. „Eine Maus sitzt im Käfig!“ Alle Hälse recken sich länger, und die Damen, besonders die in den vordersten Sitzreihen, werden nervös. Und wirklich – da mitten im Käfig hockt unbeweglich ein kleines graues Etwas, und nunmehr weiß man auch, wonach Miß Veera, die Zirkusdiener und auch die Wüstenkönige so scharf hingeschaut haben: eben nach dem frechen Mäuschen, das – woher es gekommen, weiß niemand – in den großen Käfig geraten ist.

Endlich rückt einer der Manegebediensteten der Maus mit einer Eisenstange zu Leibe. Ein entsetzter Schrei aus einigen Dutzend Damenkehlen, ein Rauschen von Röcken, ein Klettern von Damenstiefeletten auf Polstersitze und Stühle, dazu Gelächter und spöttische Bemerkungen bei dem männlichen Teile des Publikums … Und der Grund für diesen Aufruhr? – Das Mäuschen hat sich mit einigen flinken Sätzen in Sicherheit gebracht und ist unter den amphitheatralischen Aufbau des Zuschauerraumes geflüchtet!

Wenn man den Zeitungen aus Rouen glauben darf, so dauerte es eine ganze Viertelstunde, bis der Lärm sich gelegt hatte und die kühne Bändigerin, die ebenso „mäusescheu“ wie ihre Löwen war, mit ihrer Dressur beginnen konnte. –

Vor mehreren Jahren bot sich der Verwaltung der Arena in Sevilla ein junger Argentinier an, der behauptete, er könne jeden noch so sehr gereizten Stier durch die Macht seines Blickes bändigen, was er gern durch eine Probe vor dem Abschluß des Engagements beweisen würde. Die Herren von der Direktion schüttelten ungläubig die Köpfe. Aber wenn der Mann durchaus seine Haut zu Markte tragen wollte – warum nicht! So wurde denn eine nichtöffentliche Vorstellung vor geladenem Publikum angesetzt.

Inzwischen hatte Juan Massacero, wie der Südamerikaner sich nannte, mit Hilfe eines Freundes, der mit ihm von Argentinien nach Europa herübergekommen war, seine Vorbereitungen für sein erstes Auftreten beendet. An dem betreffenden

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Walther Kabel: Die Furcht vor Mäusen und Ratten. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 1, S. 218–222. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1912, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Furcht_vor_M%C3%A4usen_und_Ratten.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)