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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

„Ah!“ sagte gedehnt und lächelnd der Präsident. „Demnach läßt sich der Besuch des Balles leicht erklären. Der Kassenrendant handelt ohne Zweifel im höhern Auftrage.“

„Und doch,“ fuhr Bronner fort, „da fällt mir ein, daß Fräulein von Hoym eine Freundin hat. Da ist sie.“

„Wo?“

„Die weißgekleidete Dame mit der rothen Schleife auf dem Busen.“

Ein junges Paar erschien. Der Tänzer war ein Mann von achtundzwanzig bis dreißig Jahren, schlank und kräftig gewachsen und einfach schwarz gekleidet. Die Tänzerin war eine Frau von drei- oder vierundzwanzig Jahren, eine üppige Blondine mit einem rosigen Teint. Die runden Schultern und der schlanke Hals, von keinem Flor bedeckt, waren weiß wie Alabaster. Der volle Arm lief in ein kleines Händchen aus, das ein weißer Handschuh eng einpreßte. Ihre biegsame Taille war fast schmächtig zu nennen. Das zierliche Füßchen trug sie in einem weißen Atlasschuhe. Das schwere blonde Haar, das über der weißen Stirn einen Wellenscheitel bildete, schmückte eine natürliche rothe Kamelie.

Bei dem Erblicken dieses Paares zuckte der Präsident leicht zusammen; man sah, daß er mühsam die Gleichgültigkeit zu bewahren suchte, mit der er bis jetzt das Gespräch geführt hatte. Der Blick der jungen Frau fiel zufällig auf ihn – sie erröthete und senkte die Augen.

„Diese also wäre die Freundin des Fräuleins von Hoym?“ fragte der Präsident seinen Nachbar.

„Die einzige Freundin, wie man weiß. Beide sollen sich zärtlich einander zugethan sein.“

„Und wer ist diese weiße Dame?“

„Die Gattin des Mannes, der sie führt – des Regierungssekretairs Bergt.“

„Seine Gattin!“ murmelte der Präsident.

„Sie sind kaum ein Jahr verheirathet. Ganz recht, nächsten Monat wird es ein Jahr sein, daß er sie sich aus K. holte. Man spricht, daß die schöne Frau ihrem Manne ein nicht unbedeutendes Vermögen zugebracht habe – und ich glaube es, da der Sekretair, der nur fünfhundert Thaler Gehalt bezieht, vortrefflich eingerichtet ist; er hat kürzlich noch ein Haus gekauft, sein Garten ist ein kleines Paradies, das nur von der jungen Frau und Fräulein von Hoym betreten wird.“

Die Unterhaltung stockte. Der Präsident beobachtete noch eine Zeit lang den Tanz, dann setzte er sich an einen Tisch, der unter dem Orchester in einer Nische stand. Bronner wagte nicht, ihm zu folgen, er blieb, halb seinem Vorgesetzten zugewendet, an der Säule stehen.

„Henriette hier, und verheirathet!“ flüsterte er vor sich hin, als ob diese Entdeckung ihn in ein schmerzliches Erstaunen versetzte. „Wie schön sie ist als junge Frau! Ich wünsche dem Sekretair Glück, viel Glück!“

Die Polonaise war zu Ende. Die Herren führten die Damen zu den Plätzen zurück. Noch ehe der nächste Tanz begann, erschien der Fürst. Der Präsident trat ihm entgegen, und schloß sich den ihn begleitenden Personen an. Eine Deputation von Damen erschien, um den Landesvater zu beglückwünschen. Henriette sprach ein kurzes, aber sinniges Gedicht mit einer Anmuth und Grazie, daß der Fürst mit sichtlicher Rührung dankte und sie um den nächsten Walzer bat. Der Tanz begann, und man sah die reizende Henriette am Arme des Fürsten durch den Saal schweben. Wer die Damenwelt einer kleinen Residenz kennt, vermag den Neid zu ermessen, den diese Auszeichnung erregte. In der Nähe des Präsidenten saßen zwei Frauen, die sich vielleicht mehr als jede andere Hoffnung gemacht hatten, an der Hand des Fürsten zu erscheinen. So leise das Gespräch dieser Damen auch geführt ward, dem Präsidenten, der ganz Aufmerksamkeit für den Tanz zu sein schien, entging nicht ein Wort davon.

„Die Frau des Sekretairs macht sich nicht übel – wenn sie auch ein wenig frivol aussieht. Meinen Sie nicht, Frau Landreceptorin?“

„Ich finde keinen Geschmack an dieser Blondine, meine liebe Hofkommissärin. Wissen Sie, daß ich sie jetzt zum ersten Male deutlich sehe?“

Die Frau Landreceptorin, eine bereits vierzigjährige Dame, beobachtete durch ihr Lorgnon den Fürsten und Henrietten, die allein tanzten, da die übrigen Paare sich ehrfurchtsvoll zurückgezogen hatten.

„Die Bekanntschaft mit Fräulein von Hoym verschafft ihr diese Ehre!“ flüsterte die erste Dame, die wir Hofkommissärin nennen gehört haben. „Sehen Sie nur, wie sie sich brüstet.“

„Ich glaube, das Weib trägt eine Diamantbroche auf dem Busen!“ fügte ziemlich laut die Landreceptorin hinzu.

„Das sollte mich nicht wundern!“

„Der Sekretair hat fünfhundert Thaler Gehalt. Was läßt sich mit einer solchen Summe anfangen? Ja, eine kokette Frau ist ein kostspieliges Ding. Um alle ihre Wünsche zu befriedigen –“

„Macht der schwache Mann Schulden, mehr, als er je zu bezahlen im Stande ist.“

„Man sagt es, meine liebe Hofkommissärin; aber ich glaube nicht daran, da die Freundschaft des Fräuleins von Hoym – –“

„O, glauben Sie nur daran, meine liebe Freundin!“

„Wie?“ fragte die Landreceptorin, die überrascht das Lorgnon absetzte und ihr mit Bändern und Nadeln reich geschmücktes Haupt der Nachbarin zuwandte. „Wissen Sie das genau?“

„Sehr genau. Fräulein von Hoym braucht ihre Revenüen selbst.“

„So! Und ich glaubte, daß sie die einzige Freundin unterstützte.“

„Würde in diesem Falle der Sekretair Schulden machen?“

„Ich glaube kaum.“

„Mein Mann hat einen Wechsel des Sekretairs in Händen –“

„Nicht übel!“ flüsterte die Landreceptorin.

„Aber unter uns gesagt!“

„Ei, das versteht sich von selbst! Was unter Freundinnen gesprochen wird, bleibt ein Geheimniß.“

„Ich würde Ihnen nichts verrathen haben,“ fuhr die Hofkommissärin fort, „wenn ich Ihnen nicht hätte beweisen wollen, daß die kokette Madame Bergt ihren armen Mann ruinirt.“

„Ja, so sind die Frauen nach der Mode! Apropos, wie hoch beläuft sich denn die Wechselschuld?“

„Viertausend Thaler!“

„Mein Gott! Mein Gott!“

„Nicht wahr, das ist enorm?“

„Der Sekretair ist kaum ein Jahr verheirathet.“

„Und schon drückt ihn eine solche Schuldenlast.“

„Wie wird es in drei bis vier Jahren mit ihm aussehen?“

„Vielleicht setzt man auf diesen Tanz gewisse Hoffnungen –“

„Das ist möglich!“

„Aber ich habe nichts gesagt.“

„Nicht ein Wort, verlassen Sie sich darauf!“

Die beiden Freundinnen setzten schweigend ihre Beobachtungen fort. Wenn sie wüßten, daß sie schon zu viel gesagt hatten! Der Präsident zog sich mit ernsten Mienen zurück, und ging in einem leeren Nebenzimmer so lange auf und ab, bis der Tanz zu Ende war und der Fürst seine Tänzerin dem Sekretair übergab, mit dem er sich einige Augenblicke huldvoll unterhielt. Nach einer Stunde verließ der Landesherr den Saal. Ein Vivat, mit Pauken und Trompeten ausgebracht, begleitete ihn. Von diesem Augenblicke an ward der Ball lebhafter, und man gab sich ungezwungen den Freuden des Tanzes hin.

Das Orchester begann eine Galoppade. Da trat ein junger Offizier zu Fräulein von Hoym und bat um ihre Hand für den nächsten Tanz. Sie erhob sich, und flüsterte ihm lächelnd zu:

„Endlich!“

„Ja, endlich!“ flüsterte auch er. „Cäcilie, Sie hatten mir eine schwere Prüfung auferlegt. Die Stunde der Anwesenheit unseres Fürsten ist mir zu einer peinlichen Ewigkeit geworden.“

„In welchem Tone sagen Sie mir das, Albert! Wollen Sie mir Vorwürfe machen?“

„O, Verzeihung, Cäcilie, Sie zu sehen und Ihnen fern bleiben zu müssen –“

„Auch ich leide, wie Sie, mein lieber Freund!“ antwortete die junge Dame, indem sie den schönen jungen Mann von siebenundzwanzig Jahren mit einem schmachtenden Blicke ansah. „Aber glauben Sie mir, es ist zu unserem Glücke nöthig, daß der Fürst bis zu einer gewissen Zeit von unserer Liebe nichts ahnt.“

„Dieses unglückselige Geheimniß!“ murmelte Albert.

„Mißtrauen Sie mir?“

„Nein, nein, denn ich liebe Sie zu sehr!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_074.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2019)