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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

der geflissentlich Manches zu verheimlichen hatte, alle Geisteskräfte anstrengen mußte, wollte er sich durch seine Antworten nicht in ein Netz von Widersprüchen verstricken. Der Knappe jedoch bestand diese schwierige Feuerprobe mit bewundernswürdiger Unbefangenheit. Er antwortete immer schnell und bestimmt, er suchte nirgends Ausflüchte, gab sich keine Mühe, irgend etwas zu verheimlichen, und so trafen denn seine Aussagen so ganz mit denen seiner Verlobten überein, daß Niemand an deren Wahrheit mehr zweifeln konnte. Auch der Knappe erklärte sich bereit, zu beschwören, daß es Cesar Hornburg, der Besitzer des Schlosses, gewesen sei, den er um die angegebene Zeit mit einem Lichte das Bibliothekzimmer habe betreten und etwa nach einer Viertelstunde es wieder verlassen sehen. Die Furcht, von dem jähzornigen Herrn bemerkt zu werden, der ihm wiederholt die Besuche im Schlosse verboten, habe ihn veranlaßt, sich ganz ruhig zu verhalten, um so mehr, als er gewahr geworden sei, daß Herr Cesar Hornburg nach allen Seiten hin sich umgesehen, gelauscht und nur zögernd den Rückweg angetreten habe. Selbst als er sich schon sicher geglaubt, sei er am Verlassen seines Versteckes noch einmal verhindert worden, denn der Schloßherr habe zwei Mal hinter einander die Thür geöffnet und gehorcht, als falle ihm ein Geräusch auf, dessen Ursache er ermitteln wolle. Die Furcht, dem Schloßherrn am Ende doch noch in die Hände zu fallen, erkläre auch die Zerstreutheit, welche Caspar an ihm bemerkt und welche diesen zu der scherzhaften Frage, ob er einen Geist gesehen, veranlaßt habe.

Zunächst mußte nun der Mühlenpachter Caspar sein Zeugniß deponiren. Die Spannung des Publikums steigerte sich, als auf einen Wink des Präsidenten die schwarzen Gardinen an den Fenstern unhörbar sich zusammenfalteten und dichte Finsterniß die Gerichtshalle einige Secunden lang erfüllte. Die Versammlung glich in diesem Moment einem Vehmgerichte. Darauf brachte man Lichter, die durch bereit gehaltene Hüllen leicht verdeckt werden konnten. Wozu diese seltsamen Vorbereitungen dienen sollten, errieth Niemand. Bald aber begriffen alle die Bedeutung, welche denselben beigelegt war. Man vernahm keinen Laut, keinen Athemzug, als der Vorsitzende die Frage an Caspar richtete:

„Wo befanden Sie sich, als Ihnen der Lichtschimmer im Schlosse zuerst auffiel?“

Caspar bezeichnete den Ort auf dem hochstehenden, sämmtlichen Anwesenden sichtbaren Modell. Man ersuchte den Zeugen, jetzt die nämliche Stelle einzunehmen. Darauf fielen die Hüllen über die Lichter, die Halle erfüllte Finsterniß, nur in einem einzigen Zimmer des Modelles brannte ein Licht, das mit einer einfachen mechanischen Vorrichtung alsbald langsam durch die Flucht der Zimmer fortbewegt ward.

„Ich fordere den Zeugen auf,“ sprach der Vorsitzende, „jede in der Bewegung des Lichtschimmers ihm bemerkbar werdende falsche Richtung genau zu bezeichnen.“

So glitt nun das bewegliche Licht von Zimmer zu Zimmer, verschwand momentan in jeder Thür und glänzte dann weiter. Caspar beobachtete den Schimmer, fand aber nichts zu erinnern. Jetzt trat das Licht auf den Corridor. Der Präsident winkte. Es blieb stehen.

„Erkennen Sie in dieser Nachahmung ein treues Abbild des wandelnden Lichtes in jener Nacht auf dem Schlosse des Herrn Cesar Hornburg?“ fragte er den Zeugen.

Caspar bejahte, ohne sich zu einer weiteren Bemerkung veranlaßt zu sehen.

Auf einen abermaligen Wink des Präsidenten begann das Licht sich wieder in Bewegung zu setzen. Jetzt erleuchtete es das Eckzimmer, wo sich die Schloßbibliothek befand. Hier rastete es und der Frage des Präsidenten an den Zeugen:

„Gleicht dieser Schimmer ebenfalls dem, welchen Sie beobachteten?“

folgte die kurze, das ganze Publicum erregende Antwort Caspar’s:

„Nicht ganz. Das Licht stand etwas niedriger.“

Sofort verkürzte sich dieses, der Schimmer im Modell gestaltete sich anders. Ein Schatten kroch an dem Fenster hinauf und fiel halb gegen die Decke.

„Das ist der Schatten, den ich sah,“ sprach der Zeuge. „Genau so bewegte sich das Licht.“

„Wo befindet es sich jetzt?“ fragte der Präsident.

„Auf der Stelle, wo man die Wachstropfen auf der Diele bemerkte,“ lautete die Antwort.

„Wie lange beobachteten Sie diese Gruppirung von Licht und Schatten?“ klang die nächste an den Mühlenpachter gerichtete Frage.

„Drei bis vier Minuten.“

„Wo bemerkten Sie später den Schein desselben?“

„Im Nebenzimmer, wo der jüngere Bruder Herrn Hornburg’s, wie ich wußte, krank lag.“

„Das Bibliothekzimmer hat aber keinen Ausgang[WS 1] nach dieser Seite. Wie also war es möglich, daß Sie von diesem aus einen Lichtschein in das Zimmer des Kranken dringen sahen? Sie werden sich geirrt haben.“

„Geirrt habe ich mich nicht,“ versetzte Caspar. „Ich hatte Zeit genug, den Schein, noch mehr den Schatten, den er warf, zu beobachten; er fiel mir seiner sonderbaren Gestalt wegen auf.“

„Wir müssen versuchen, durch eine veränderte Lichtstellung diesen Schatten zu erzielen.“

Alsbald verschwand das Licht, die Fenster blieben einen Augenblick dunkel, dann erhellte es den Raum, in welchem Ottwald Hornburg seinen Geist aufgegeben hatte.

„Die Erleuchtung des Zimmers ist gegenwärtig ganz anders, als ich sie in jener Nacht sah. Das Licht wirft jetzt gar keinen Schatten.“

„Wie ist dies möglich?“ sagte der Präsident.

„Die Erklärung ist leicht,“ bemerkte der Architekt, welcher im Auftrage des Gerichtes das Modell angefertigt hatte. „Die Thüren aller Zimmer öffnen sich nach dem Corridor. Ein Licht, das Jemand trägt, kann auf diese Weise keinen Schatten werfen.“

„Von wo aus bewegte sich der Schatten?“ fragte der Präsident den Mühlenpachter.

„Von der Seite links gegen das Fenster, das er ganz bedeckte.“

„Also vom Bibliothekzimmer aus?“

„So schien es mir.“

Der Zeuge durfte sich entfernen. Mit vernehmbarer Stimme ward nunmehr Cesar Hornburg aufgerufen. Aller Augen richteten sich auf den blassen, vornehmen, mit unsichern Schritten vor die Richter tretenden Mann. Mit gewohnter Ruhe und Sicherheit stellte der Präsident auch an diesen seine Fragen. Cesar antwortete ebenso ruhig und sicher. Er zeigte keine Spur von Befangenheit, nachdem die ersten Antworten über seine Lippen gekommen waren.

„Haben Sie etwas gegen die Aussagen zu erinnern, die in gleicher Weise sowohl die Angeklagte wie deren Verlobter gemacht haben?“

Cesar Hornburg verneinte, während seine bis dahin klare Stirn sich verfinsterte.


(Schluß folgt.)




Die Pulver-Explosion in Mainz.

Der achtzehnte November dieses Jahres war für die Stadt Mainz ein Tag, dessen schreckliches Andenken in dem Gedächtnisse ihre Bewohner fortleben und in den Blättern der Geschichte dieser alten deutschen Stadt für alle Zeiten seine Stelle behaupten wird. Wer je einen Augenblick der Todesangst erlebt hat, dessen Seele wird die scharfen Züge des Momentes unauslöschlich bewahren. Einen solchen Moment hat Mainz am 18. November dieses Jahres überstanden; es ist nicht Einer in dieser volkreichen Stadt gewesen, den an diesem Tage nicht eine Minute lang der Todesschrecken erfaßt; und eine solche Minute läßt sich nicht vergessen.

Es ist sehr begreiflich, daß sich die Kunde einer Explosion des Pulverthurmes dicht vor den Thoren der Stadt Mainz rasch nach ganz Europa verbreitete und daß alle Zeitungen sich beeilten,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Augang
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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 696. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_696.jpg&oldid=- (Version vom 8.12.2021)