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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Es geht sehr leicht; aber das kann ich Ihnen hier nicht zeigen, ich habe nichts zum Schreiben bei mir.“

„Mir geht’s auch so; nun, kommt Zeit, kommt Rath. Ich muß jetzt ohnehin wieder nach Hause, sonst glauben am Ende meine Leute, ich sei verloren gegangen. Wie lange bleibst Du noch hier?“

„Bis heute Nachmittag, da nimmt mich Herr von Senkenberg wieder mit nach Karlsruhe.“

„Heute schon? Hm, da sehen wir uns ein anderes Mal wieder. Apropos, bringst Du denn Deinen Schwestern von hier etwas mit?“

„Dazu hat mir der Vater kein Geld gegeben.“

„Alle Hagel, das ist garstig von dem Vater So nimm Geld von mir und kaufe Deinen Schwestern etwas recht Hübsches.“

Dabei hatte er aus der Westentasche eine Portion Geld geholt und reichte mir es freundlich hin Verlegen schob ich die Hand auf den Rücken, erröthete über und über, es verdroß mich, daß der fremde Mann mir Geld anbot. Lachend holte er meine Hand vom Rücken hervor, drückte mir das Geld hinein und sprach:

„Brauchst nicht krebsroth zu werden, von mir kannst Du das Geld schon annehmen; sage Deinem Vater nur, der König Max von Baiern habe Dir’s gegeben und lasse ihn schön grüßen. Glückliche Reise!“

Ich stand eine gute Weile ganz verblüfft und regungslos in dem ehrfurchtsvollen Schrecken, diesem munteren, liebevollen König Max, von dem mein Vater mir so viel erzählt hatte, so ungenirt gegenüber gewesen zu sein. Endlich packte ich meine sieben Sachen zusammen, ging verdutzt nach Hause und erzählte dem guten Herrn von Senkenberg, was mir im Wäldchen widerfahren. Er tröstete mich mit den Worten:

„Dem König Max gegenüber braucht’s kein Katzenbuckeln, er gibt sich natürlich, wie er ist, und liebt auch Offenheit und Natürlichkeit im Umgange mit Anderen. Der König hat in ihm den Menschen nicht verdrängt, sondern veredelt, und Anderen Freude machen ist seine größte Freude.“

König Max vergaß mich nicht. Als er wieder in unser Land kam, ließ er mich rufen: ich mußte bei ihm schreiben, Federn schneiden, Bleistifte spitzen, besonders aber belustigte er sich daran, wie ich mit Hülfe der fünf Finger und der Zähne mir die Halsbinde umlegte, wollte es nachmachen und brachte es nicht zu Stande und schilderte bei der Tafel sehr jovial seine königliche Unbehülflichkeit gegenüber dem Raffinement meines Instinctes, der mir alle Dinge leicht machte.

Lebhaftest ergötzte er sich über die Schilderungen einiger Carricaturen von Lehrergestalten am Lyceum und über die lustigen, freilich eigentlich betrübenden, Vorfälle zwischen ihnen und den ausgelassenen Schülern, deren manche heutzutage, dem Himmel sei Dank, für durchaus unmöglich gelten würden.

Später sah ich den freundlichsten aller Könige niemals wieder; aber trennen kann ich mich von ihm nicht ohne die Erzählung eines Zuges seines königlichen Hanges, in heiterer Weise Freude zu machen, zu überraschen.

Mein Vater war für ernstere und tiefere Studien geboren, jedoch in der Pagerie zum Officier damaligen Zuschnittes und zum Hofcavalier erzogen, auch bald Officier, aber dabei nicht reicher, geworden. Dieser oft so verhängnißreiche Widerspruch zwischen Natur und Erziehung brachte bei ihm keine unglücklichen Folgen, Den Müßiggang als einen der ärgsten Menschenfeinde fassend und stets vom Bedürfniß irgend einer geistigen Anregung gedrängt, beschäftigte er sich in allen dienstfreien Stunden mit Zeichnen und Malen nach der Natur, mit Vogel- und Blumenzucht, mit dem Studium von Werken über Physik und Chemie, was ihn oft trostlos stimmte, weil er Manches darin nicht verstand. Im Dämmerstündchen erfrischte er sich mit seiner Violine und später las er der arbeitenden Frau und Schwiegermutter irgend einen Roman vor, häufig erst, wenn er uns Kinder beseitigt hatte, weil er uns kein Romanzeug in den Kopf setzen wollte. Auswärts bestand sein einziges Vergnügen in der kleinen Jagd mit dem Hühnerhunde. Bei dem Allen kamen denn mitunter harmlose Schrollen und Seltsamkeiten zum Vorscheine.

So hatte er sich einmal in den Kopf gesetzt, durch Erziehung und Macht der Gewohnheit die Natur der Insectenfresser überwältigen und sie mit pur vegetabilischer Nahrung fortbringen zu können, worüber seine schönen Grasmücken, Nachtigallen u. s. w. eingingen. Ein anderes Mal verfiel er auf den Gedanken, die heterogensten Vögelgattungen zur Vermischung zu bringen, woraus ihm nur Aergerniß erwuchs. Das Abstehen des Ultramarins an seiner vortrefflich gemalten Schmetterlingssammlung brachte ihn auf den lustigen Gedanken, sich selbst echten Ultramarin zu bereiten, und zwar aus Silber. Er studirte hiernach eifrigst einige Schriften über Ultramarinbereitung, versah sich mit den nöthigen Utensilien und Ingredienzien und verwendete dabei eine Portion der alten silbernen Löffel, welche gelegentlich durch neue ersetzt werden sollten.

Meine vortreffliche Mutter, welcher das männliche Rumoren in der Küche, der Geruch von Scheide- und Königswasser schon ein Gräuel gewesen, hatte sich völlig entsetzt über eine so abenteuerliche Anwendung der Silberlöffel, und darüber bei ihren vertrautesten Freundinnen sich ausgelassen. Diese hatten es wieder bei Hofe erzählt, und König Max hatte sich die lustige Geschichte auf seine Weise ad notam genommen. Am andern Tage sendete er meinem Vater ohne alle weitere Bemerkung als „zum Ultramarinmachen!“ ein Dutzend silberner Löffel in schönem Etui und 12 Flaschen Champagner, statt der gewöhnlichen Etikette mit der Aufschrift „echtes Königswasser“ versehen; zugleich aber meiner Mutter eine mächtige Portion des kleinen Zuckerbackwerks, welches in Karlsruhe „Geduldstäfelchen“ genannt wird.




Vor sechsunddreißig Jahren. An einem heitern Sommertage des Jahres 1822 ritt ein junger Mann im blauen, weiten, blousenartigen Rock, eine rothe Mütze auf dem langen dunklen Haar, ein hellfarbiges Tuch schärpenartig umgegürtet, so daß der ganze Anzug ein etwas phantastisches Ansehen gewann, durch das Städtchen Neustadt an der Orla, den Weg nach Jena entlang.

Der sehr dunkle Teint des Jünglings zu dem Blau und Roth seiner Kleidung erhöhte das Fremdartige der Erscheinung. Nachlässig, mit etwas vorgebeugter kosakischer Haltung, saß er auf dem Jenaischen Klepper. So trabte er dahin, dem schönen Saalthale zu.

Seht dem Jünglinge nur einmal näher in das Auge, das dunkle, mit wie reinem, tiefem Glanze es um sich und vor sich hinschweift! Welche Bilder und Träume mögen das schwärmerische Gemüth bewegen, das aus diesem Auge, aus dieser ganzen Erscheinung spricht!

So viel ist gewiß, an Kirchen- oder Rechtsgeschichte so wenig, als an trockene Philosopheme denkt der blaue Reitersmann. Anderes bewegt seine Seele, was kein Katheder lehrt, was aus unbekannten Himmelsräumen sich herabsenkt in die warme, junge, offene Menschenbrust.

Zu Michaelis 1822 bezog auch ich die Universität Jena.

Kaum hatten die Vorlesungen seit einigen Wochen begonnen, und Professor Konopak mochte am ersten Viertelhundert Paragraphen seiner Institutionen dociren, da ward durch Verbot des Singens auf Markt und Straßen Jena’s jene Erregung veranlaßt, welche den hoffnungsvollen Auszug nach Kahla unter Sang und Klang zur Folge hatte, und mit dem trostlosen Wiedereinzug in Jena ohne Sang und Klang endete. Aber es waren immerhin prächtige, zügel- und fessellose, echt burschikose Tage, die zwischen dem fröhlichen Anfange und tristen Ende inne lagen.

Die Hauptepisode bildete der am 24. oder 25. October 1822 erfolgte Auszug der sämmtlichen Studenten nach dem drei Stunden entfernten altenburgischen Städtchen Kahla, dieser Auszug mit seinen Berathungen, Deputationen, seinem Singen, seinem Trinken und Lieben. Die Studentenallmacht träumte von Bedingungen, unter denen die Rückkehr nach Jena erfolgen solle. An der Spitze dieser Bedingungen stand die Aufhebung des Singverbotes. Daß diese Bedingung nicht in Erfüllung ging, das ganze Stück Revolutionsgeschichte vielmehr mit einem Nachspiel akademischer Strafen schloß, versteht sich gleichsam von selbst.

Das freiwillige Exilleben in Kahla war aber, namentlich in den ersten Tagen, ein höchst ergötzliches, und wird Allen unvergessen sein, die daran Theil hatten.

Auf der Saalbrücke bei Kahla, wo von der Stadt aus links die Leuchtenburg mit ihrer herrlichen Aussicht auf und ihrem Jammer und Verbrechen in ihren Mauern sich erhebt, traf ich mit demselben jungen Manne zusammen, den ich im Sommer vorher durch Neustadt hatte reiten sehen auf dem Jenaischen Klepper. Er war kaum mittelgroß, trug noch immer den weiten blauen Rock, die rothe Mütze, und aus dem dunkeln Antlitz leuchtete das Auge so innig, so freundlich und gutmüthig.

Wir kamen in’s Gespräch mit einander. Wir sprachen, was man als Jenaischer Student bei solchen ersten Bekanntschaften zu sprechen pflegte: „Woher? Wie der Name? Was studiren? Wie lange in Jena?“ u. s. w.

Der Blaue war schon Brandfuchs oder gar junger Bursch, ich noch grasser Fuchs, er achtzehn, ich siebenzehn Jahre alt. Nach ungefähr einer Viertelstunde schieden wir mit derbem Händedruck, wie das damals Sitte war.

Die Strömungen des Studentenlebens rissen uns auseinander, so daß ich mich nicht entsinne, mit dem jungen Manne, der einen eigenthümlich wohlthuenden Eindruck auf mich gemacht hatte, wieder in Berührung gekommen zu sein.

Jahre vergingen, da fand ich den Namen, den mir damals das herzige Menschenkind auf der Kahlaischen Saalbrücke genannt hatte, in der Dichterwelt genannt und gefeiert. Er hatte den Lebenslauf des Studenten Anselmus in Hoffmann’s Mährchen vom goldenen Topf richtig durchgemacht, war auf der glückseligen Insel Atlantis angelangt, und lebte dort das göttliche Leben über der Welt Alltäglichkeit, wie man es eben nur auf besagter Insel Atlantis leben kann.

Wieder sind Jahre auf Jahre vergangen, und auf dem Schmerzenslager ruht der Körper, der die reine, schöne Dichterseele umfesselt hält. Noch brechen ihre Strahlen durch die Schmerzensnacht, die sich um das edle Leben gelagert bat, noch schweift die Erinnerung aus der traurigen Gegenwart zurück in die glückliche Vergangenheit.

Wird bei der Kunde von dem Jenaischen Jubelfest, das aus weiten Kreisen die einstigen Musensöhne von Jena wieder dort versammelt, auch Deine Erinnerung wieder zurückschweifen in die versunkene Jugendwelt? Wirst Du der Zeit gedenken, wo Dir noch glücklich und sorglos das freie, frische Dichterherz unter dem schlichten blauen Rocke schlug, und die rothe Mütze noch statt des Lorbeerzweiges das Haupt Dir schmückte? Wirst Du der Zeit gedenken, Du edler, unglücklicher und doch glücklicher Julius Mosen? am Ende.


Bei Ernst Keil in Leipzig erschien und ist durch alle Buchhandlungen zu beziehen:

Ludwig Heros,
Die deutschen Giftpflanzen.
Mit 36 Abbildungen. – Preis 12 Sgr.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 436. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_436.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)