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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Eine Bergfahrt durch die Luft.
Von G. R.

Wenn ich Jemandem erzähle, daß ich in zwei Stunden einen Berg erstiegen habe, der eine Meereshöhe von 8660 Fuß hat, so erwidert er mir entweder: „Das ist nicht wahr!“ oder, wenn er viel gesellschaftlichen Takt hat, hört er mit zuweilen etwas lächelnder Miene meine Erzählung ruhig an, zuckt schließlich unmerklich die Achseln und denkt: „Das ist eine Geschichte, wie sie Münchhausen zum Besten gibt. Der setzte sich auf eine Kanonenkugel und ließ sich auf derselben in die Luft schleudern.“

Und dennoch ist die Erzählung vollständig in der Wahrheit begründet. Es gibt in den Alpen einen Berg, der 8660 Fuß in die Luft hinaufragt und den man, ohne Zauberkünste und ohne in einem Luftballon hinaufzusteigen, in der Zelt von zwei Stunden besteigen kann. Der Gipfel des Berges bietet eine prachtvolle Gebirgsrundsicht, welche der Aussicht vom Faulhorn in die schweizer Alpen wenig nachgibt, und nebenbei kann man bei seiner Ersteigung noch eine Menge Wunderdinge sehen. Und dennoch ist es, wenn man auch nur zwei Stunden Zeit braucht, nicht so leicht, diesen Wunderberg zu ersteigen! An Schwindel darf man nicht leiden, an Athem- und Brustbeschwerden auch nicht, vor Geistern und Kobolden darf man sich nicht fürchten, man muß überhaupt ein muthiges Herz haben und einen schwindelfreien Kopf. Eine einzige Eigenschaft, welche bei jeder andern Bergbesteigung ein unbedingtes Requisit ist, ist indeß nicht nöthig. Man braucht gerade kein guter Fußgänger zu sein. In der Mitte des Sommers, wenn es warm ist und nicht geregnet hat, so daß der Regen auf dem Gipfel des Berges sich nicht in Schnee verwandelt, wenn der Berg nicht, wie man in den Alpen sagt, angeschneit ist, kann man bei dieser sonderbaren Bergbesteigung sogar gute Toilette machen und Lackstiefeln anziehen. Man kommt ganz sauber und ohne daß die Kleider derangirt und die Stiefeln zerrissen sind, wieder am Fuße des Berges bei seinem Wagen an.

„Was ist das nur für ein Berg?“ höre ich meine Leser fragen. „Wo liegt er und wie kommt man hinauf?“

Der Berg erhebt sich auf dem zweiten Thalboden eines Querthales der Alpen, welches der Wunderdinge überhaupt viel und einen besonderen Reichthum an großartigen Landschaftsbildern hat, wie wohl wenig andere Querthäler in den Alpen. Es ist das Gasteinerthal, mit seinem eigentlichen Namen: „die Gastein“ genannt. Den Hintergrund seines zweiten Thalbeckens, des Thalbeckens von Böckstein, welches bereits 3456 Fuß über dem Meere liegt, bildet der Rathhausberg, ein Berg, der durch seinen früheren Goldreichthum, durch seine Mineralien und durch seine Pflanzen in der Tauernkette berühmt geworden ist. Er bildet einen mächtigen, umfangreichen Gebirgsstock, der im Osten das Anlaufthal, im Westen die hochgelegene Mulde des Naßfeldes umgibt, sein Fuß ruht bei Böckstein und mit vier Kuppen ragt er in die blaue Luft hinauf. Die höchste Kuppe ist der Kreuzkogl, der eine Meereshöhe von 8660 Fuß hat. Schon in den ältesten Zeiten war der Berg Sitz des Goldbergbaues. Taurisker, Noriker und Römer durchwühlten bereits seine Eingeweide nach Gold, und während alle Gruben der umliegenden und angrenzenden Thäler nach und nach eingingen, hat er noch allein bis heute seinen Ruf bewahrt, denn noch heute wird in seinen silber- und goldführenden Gneis- und Quarzgängen nach Gold und Silber gegraben. Stollen und Gruben durchziehen ihn nach allen Richtungen, so daß die ganze Gipfelmasse des Berges so untergraben ist, daß sie gleichsam nur auf Pfeilern ruht; Zechenhäuser, Bergstuben, Bergschmieden, Erzkammern und Pochwerke, in denen über vierhundert Knappen beschäftigt sind, sind neben den Hauptgruben auf halber Höhe des Berges angelegt, bis dann und wann die Gipfel eine Lawine hinabsenden, welche Bergstuben, Pochwerke und Menschen in den Abgrund fegt.

Drei Wege führen auf diesen Berg, ein breiter, langsam ansteigender und durch seine Steine und sein Geröll recht unbequemer Saumweg, ein kürzerer, schmaler und sich an den Abgründen steil emporwindender Fußsteig, der sogenannte Knappensteig, und ein dritter, wunderbarer und, wenn man will, auch gefährlicher Weg; er führt durch die Luft. Die beiden ersten Wege erfordern zwei bis drei Stunden, der letztere zwanzig Minuten. Es ist der Weg, auf dem man mehr wie die Hälfte des Berges, eine Meereshöhe von 5973 Fuß also, in nur etwas mehr als einer Viertelstunde ersteigt.

Neben den Grubengebäuden steht oben auf dem Rathhausberge eine Aufzugsmaschine. Sie besteht aus einem mächtigen, oberschlächtigen Kehrrade, welches einen Durchmesser von 50 Fuß hat, einem liegenden Korbe und einer 800 Klafter langen Tonnenfahrt. Das große Rad wird durch Wasser getrieben, welches von oben hinaufgeleitet wird, und hebt vermittelst eines 800 Klafter langen Seiles einen kleinen, niedrigen Wagen 2161 Fuß hoch auf den Berg hinauf. Die Tonnenfahrt besteht aus zwei Holzbahnen, welche gerade so breit sind, daß die Wagenräder mit ihren Radfelgen auf ihnen Platz haben, und theils auf Holzpfeiler gestützt, theils an den Felsen und Abhängen hinaufsteigend, von der Höhe der Aufzugsmaschine bis zum Sturzplatze reichen. Die Bodenfläche des Wagens ist 6 Fuß lang und 4 Fuß breit. Er hat vier kleine, rollenähnliche, mit Eisen beschlagene Räder, vier senkrechte Leitwalzen und an seinen vier Enden vier Stricke, zwischen denen die Last gepackt wird; abwärts ist zu größerer Sicherheit noch ein Bret vorgelegt, damit, wenn der Wagen hinaufgezogen wird, die Last nicht herunterrutscht. Der Strick, welcher den Wagen auf der hölzernen Bahn in die Höhe zieht, wird eigens zu diesem Behufe angefertigt. Er ist ganz aus Hanf gedreht, aus acht Stücken zusammengesetzt, 11/2 Zoll dick und dreißig Centner schwer. Seine Stärke wird jedes Mal, bevor er angewendet wird, durch eine Last von achtzig Centner geprüft; dennoch ist er seit den letzten zwanzig Jahren mehrere Male gerissen. Der zu schnelle Umschwung des großen Wasserrades kann durch einen Bremsenbaum und durch eine Wasserbremse gehemmt werden. Dies ist die Zusammensetzung einer Maschine, welche vom Auf- und Abladeplatze, dem sogenannten Sturzplatze, die Erze und andere Lasten auf den Berg und wieder herunterhebt und mit deren Hülfe man in wenigen Minuten einen mühsamen Weg von mehreren Stunden, liegend oder sitzend, zurücklegen kann. Gefährlich ist diese Reise nur in dreierlei Beziehung. Der Strick kann reißen. Sieht man freilich diesen nur wenige Daumen dicken, aber eisenfesten Strick an, so sollte man dies für unmöglich halten. Aber der Fall ist vorgekommen und die Möglichkeit, daß der Strick reißt, kostet unbedingt das Leben. Die Bahn, welche der Wagen zu durchlaufen hat, ist so steil, daß, wenn er sich von dem Stricke losgelöst hat, ein Aufhalten desselben unmögllch ist. Er würde von der Bahn in Sprüngen und Schwingungen in den Abgrund geschleudert und an dem Felsen mit demjenigen, der auf ihm fährt, in tausend Stücke zerschmettert werden.

Eine zweite Möglichkeit ist die, daß der Bergknappe, welcher mit dem Bremsenbaum das große Rad der Aufzugsmaschine zu reguliren hat, damit es in einen nicht zu schnellen Umschwung geräth, nicht aufpaßt. Er wird freilich beim Antritt seiner Stelle vereidigt; er muß schwören, alle nöthige Aufmerksamkeit auf seinen Posten zu verwenden; indeß – eine Vernachlässigung seinerseits, eine Indolenz kostet wahrscheinlich auch das Leben; denn wenn der Wagen in ein windschnelles Rollen geriethe, würde der Strick durch den plötzlichen Ruck wahrscheinlich auch zerreißen. Diese beiden Gefahren sind indeß sehr in die Ferne gerückt, es sind Zufälligkeiten, die äußerst selten passiren, und auf die man nicht rechnen kann. Nur eine dritte Gefahr ist unvermeidlich, und Jeder muß sie aushalten, der auf diese merkwürdige Weise den Rathhausberg ersteigt; sie besteht darin, Schwindel zu bekommen, und von dem Wagen in den Abgrund zu stürzen. Die senkrechte Höhe des Aufzugs mißt nämlich 2161 Fuß, und die Holzbahn, welche in dieser Höhe an den Wänden und Felsen über Abgründe und Thäler hinanführt, läuft oft so steil an den Wänden hinan, daß derjenige, der sich unten auf dem Sturzplatz der Länge nach in den Wagen legt, auf der Fahrt mehrmals ganz gerade auf die Füße zu stehen kommt. Er muß sich dann mit den Füßen auf das untere an dem Wagen befindliche Bret stützen, um nicht hinabzugleiten. Ein ganz schwindelfreier Kopf ist also zu dieser Luftfahrt ein absolut nothwendiges und das Hauptrequisit. Die dritte Gefahr ist also nicht zu vermeiden, und wenn man ihr nicht tapfer entgegentritt, so kostet sie wahrscheinlich auch das Leben.

Mit diesen Gedanken im Kopf, ging ich an einem heitern, sonnigen Augustmorgen zum Sturzplatz. Der Sturzplatz ist von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 628. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_628.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)