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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

So war denn das brennende Schiff mit den Hunderten, die es trug, sich selbst überlassen, ein Spielball zweier Elemente, die beide seinen Passagieren gleiches Verderben bringen mußten. Keine menschliche Hand griff mehr in die Speichen des Steuerrades; der Mann, der es regierte, hatte es verlassen oder war von dem erstickenden Rauche, dem sein Antlitz ja zugekehrt bleiben mußte, vertrieben worden. In dichten Haufen zusammengedrängt standen Frauen und Kinder weinend, jammernd, händeringend, nach den vermißten Männern, Brüdern oder Kindern schreiend, am Stern. Ueber ihre Häupter fort sauste der Rauch, fuhren die heulenden Flammen, und erfaßt von der verzehrenden Lohe, stürzten sich immer mehr in die Tiefe, um den leichteren Tod im Wasser dem langsameren des Verbrennens vorzuziehen. Männer warfen ihre Frauen, Mütter ihre Kinder über Bord, und folgten ihnen dann selbst. Schwestern umschlangen sich, um im Kusse zu sterben. Mit auflodernden Kleidern, ganz von Flammen umhüllt, stürzten viele Frauen in’s Meer, trieben hier noch eine Weile und versanken dann spurlos in die Tiefe.

Es liegen bereits eine Menge Berichte über den Verlauf der entsetzlichen Katastrophe vor, welche Details mittheilen, bei deren Lesen das Herz jedes fühlenden Menschen erbeben muß. Wenn im Kriege die eisernen Würfel rollen, dann ist der Soldat wie der Bürger auf das Schrecklichste gefaßt; wenn aber mitten im gefahrlosen Frieden, bei stillem Wetter und hellem Sonnenlicht plötzlich gleichsam der Orkus sich unter unseren Füßen öffnet und auf allen Seiten jede Möglichkeit, dem qualvollsten Tode zu entrinnen, abgeschlossen ist: dann lähmt starres Entsetzen selbst die Muthvollsten und Entschlossensten.

So fürcherlicher Art war das Schicksal, welches die harmlosen Passagiere der „Austria“ schnell, wie der Blitz, ereilte. Es war Keiner auf einen Unfall, viel weniger auf eine große Katastrophe gefaßt, und je plötzlicher das Unglück in seiner grenzenlosen Furchtbarkeit hereinbrach, desto erschütternder und vernichtender mußte es niederstürzen auf die Passagiere. Wir stellen, um vor den Augen der Leser dieser Blätter ein möglichst anschauliches Bild von dem Untergange des brennenden Schiffes und von den Leiden der Unglücklichen, die es trug, zu entrollen, im Auszuge die wichtigsten Aussagen jener wenigen Glücklichen hier zusammen, die dem Verderben entrannen. Alle Angaben über die Entstehung des Brandes stimmen überein, weil aber jeder Einzelne sehr bald nur auf seine eigene Kraft, sich zu retten, angewiesen war, so erlebten Viele unter dem gemeinsamen Jammer Hunderter doch Verschiedenes.

Die ersten ausführlicheren Berichte über die Katastrophe der „Austria“ kamen durch amerikanische Zeitungen nach Europa. Sie rühren von jenen zwölf Passagieren her, welche das Schiff „Lotus“ von der Barke „Maurice“ aufnahm und auf amerikanischem Boden landete. Mit vieler Klarheit erzählt namentlich Alfred Bezin aus Philadelphia, welcher seine Mutter und zwei Schwestern dabei verlor, den Beginn des Brandes und die Bestürzung, welche sich alsbald aller Passagiere bemächtigte, da durch ein Zusammentreffen vieler unglücklicher Zufälle jegliche Disciplin auf dem Schiffe nur zu bald aufhörte.

„Ich befand mich am Nachmittage des 13. September in der ersten Cajüte“ – sagt dieser Gewährsmann – als ich gegen zwei Uhr ein ungewöhnliches Lärmen auf Deck hörte, bald darauf den Ruf „Feuer!“ „das Schiff brennt!“ vernahm und sofort hinaufstürzte. Es war ein schreckliches Schauspiel, das ich erblickte: dicke Rauchwolken und ab und zu hoch auflodernde Flammen hüllten den Schornstein vollständig ein und machten alle Aussicht auf das Vorderdeck unmöglich. Die Flammen schienen rings um den Schornstein selbst und aus der Hauptluke emporzulodern. Ich hatte indeß keine Zeit, lange Untersuchungen darüber anzustellen, denn die Scene, die ich ringsum erblickte, und die Aufregung ließen keine ruhige Ueberlegung zu. Das Schiff fuhr gegen Wind, und da wir zur Zeit eine ziemliche Brise hatten (Andere, unter diesen auch der zweite Steuermann, behaupten, es sei fast gar kein Wind gewesen) und das Schiff weiter fuhr, so schlugen die Flammen mit erschreckender Geschwindigkeit nach dem Hintertheil des Schiffes zu. Als ich auf Deck kam, stürzte eine große Zahl von Passagieren der zweiten Cajüte dem Salon zu, wobei sie von den Flammen verfolgt und fast geradezu versengt wurden, sowie sie aus der zweiten Cajüte heraufkamen. Viele von ihnen sind meiner Meinung nach, trotz aller angestrengtesten Versuche, heraufzukommen, durch Flammen und Rauch in der zweiten Cajüte eingeschlossen geblieben. Die Flammen schlugen bald über das ganze Schiff herüber, obwohl Löschungsversuche gemacht wurden. Ich konnte zur Zeit keinen der Schiffsofficiere in der Nähe erblicken, doch hörte ich, daß der Capitain offenbar halb wahnsinnig eben mit dem Rufe: „Wir sind Alle verloren!“ heraufgestürzt und sofort über Bord gesprungen sei. (Vgl. damit die Aussage der Leute von der Mannschaft.)

Kurz zuvor war ein Boot hinabgelassen worden; auf dieses schwamm der Capitain zu und erreichte dasselbe. In diesem Augenblicke sprang auch der zweite Officier vom Quarterdeck aus über Bord, konnte das Boot jedoch nicht erreichen und ist wahrscheinlich in den Wirbel, welchen das Umdrehen der Schraube verursacht, hineingezogen und von dieser zerquetscht worden. So lange das Schiff mit der Breitseite gegen den Wind lag, wurden einige schwache Versuche gemacht, das Feuer zu löschen, oder wenigstens dessen größere Ausbreitung zu verhindern. Einige ergriffen ihre Taschenmesser, und versuchten Taue abzuhacken, um sie an Eimern zu befestigen, mit denen man Wasser heraufziehen wollte. Allein alle diese Versuche erwiesen sich fruchtlos; die Taschenmesser brachen ab, und die meisten Eimer gingen verloren, sobald sie das Wasser berührten. Das Feuer ergriff jetzt auch die Takelage, zerstörte die Taue und zwang uns, alle weiteren Löschungsversuche aufzugeben. Auch auf anderen Theilen des Schiffes wurden schwache Löschungsversuche gemacht, aber das Feuer nahm fortwährend zu, und als das Schiff nun vollends wieder gegen den Wind abdrehte, schlugen die Flammen mit rasender Schnelligkeit immer weiter gegen das Quarterdeck, so daß wir selbst auf dem äußersten Hintertheil des Schiffes es kaum mehr vor Hitze aushalten konnten. Die Scenen, die nun folgten, waren furchtbar. Viele sprangen, ohne sich irgend um etwas zu kümmern, in den Ocean. Die Damen fielen in Krämpfen auf dem Deck nieder. Mehrere Boote, die man hinunterließ, wurden vom Kielwasser nach der Schraube zu gezogen und von dieser zerschmettert. Der größere Theil der Passagiere lief auf Deck umher, um irgendwo Gegenstände zu entdecke, die wohl treiben möchten. Wer

Feuer hindurchlaufen, welches den vordern Theil des Schiffes bereits vom Schiffshintertheile trennte. Als er sich seinen Weg durch die Flammen bahnte, erhielt er bedeutende Verletzungen. Später sah ihn der erste Officier auf dem Backbord des Hintertheiles stehen. Wie es schien, war er durch die erlittenen Brandverletzungen betäubt. Einige Passagiere behaupten, sie hätten gesehen, wie er über Bord sprang.


„Das einzige Boot, das das Wasser erreichte, ohne zerschellt zu werden, war eins der großen eisernen Rettungsboote. Es war zuerst, als es niedergelassen wurde, vollständig mit Menschen angefüllt; aber das Gewicht war so groß, daß viele von ihnen herausfielen, als das Boot das Wasser erreichte. Dreißig Menschen hielten sich in dem Boote, aber da das Boot voll Wasser geschlagen war, so kenterte es mehrere Male, wobei sieben Personen ertranken. Es blieben im Boote der erste Officier, sechs von der Mannschaft, ein Steward und funfzehn Passagiere. Um drei Uhr kam unser Boot von dem Dampfer los und wir blieben sofort zurück, da das Schiff vorwärts ging und wir nicht im Stande waren, das Boot zu handhaben, so daß wir bald vom Schiffe getrennt wurden. Wir gaben uns große Mühe, das Wasser aus dem Boote auszuschöpfen, kamen damit aber nicht eher zu Stande, als bis wir ein Floß aus den zum Boote gehörenden Rudern und Masten angefertigt und die Passagiere darauf gebracht hatten. Hierauf schöpften wir das Boot aus und nahmen dann die Passagiere wieder ein. Etwa eine Stunde, nachdem wir den Dampfer verlassen hatten, bekamen wir die französische Barke „Maurice“ in Sicht, ruderten auf dieselbe zu, erreichten sie um 8 Uhr und fanden bereits den dritten Officier und einige Passagiere am Bord.


„Der zweite Officier wurde schwimmend von der „Maurice“ gegen 8½ Uhr auf[genom]men. Er war etwa um 2½ Uhr durch das Andrängen der Passagiere der „Austria“ über Bord gestoßen worden, als diese sich in sein Boot hineinstürzten und dasselbe zertrümmerten. Er hielt sich fast 6 Stunden lang durch Schwimmen über Wasser, ohne daß er irgend etwas gehabt hätte, an das er sich hätte festhalten können.


„Der dritte Officier verließ den Dampfer um 5 Uhr. Er war auf Deck der „Austria“ geblieben, bis er sah, daß kein einziges Boot mehr vorhanden war, und wurde durch das Feuer über Bord getrieben. Er hielt sich an einem Taue außerhalb des Schiffes fest, bis um 5 Uhr die eisernen Platten des Schiffes roth wurden, worauf er in’s Wasser sprang. Er schwamm einige Zeit herum, fand dann einige Stücke Holz umhertreiben und hielt sich hieran über Wasser, bis er um 6½ Uhr, mit bedeutenden Brandwunden bedeckt, von dem französischen Boote aufgefischt wurde.


„Als wir die „Austria“ verließen, waren drei Segel in Sicht, von denen einzig die französische Barke „Maurice“ herankam, um Hülfe zu leisten. Die „Maurice“ nahm 66 Personen an Bord, von denen 12 an Bord der nach Halifax bestimmten „Lotus“ übergeschifft wurden. Die Uebrigen wurden am 19. Septbr. auf Fayal an’s Land gesetzt, von wo aus die Passagiere sich an Bord des englischen Kriegsdampfers „Valorous“ nach New-York einschifften. Wir wurden von dem Londoner Dampfer „Ireland“ an Bord genommen, der uns auf unserer Rückreise nach Hamburg gestern in Gravesend an’s Land setzte.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 635. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_635.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)