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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Wenn die Pilger nach Mekka mit ihren fanatischen Sängen und Sprüchen durch die Dörfer und Weiler ziehen, faßt die stillen friedlichen Bewohner oft ein Drang, sie verlassen Haus und Hof, Heimath und Heerd, bis sie erschöpft irgend wo niedersinken, und dann wieder still und friedlich heimkehren.

Wenn nun die eingefleischten Wiener Linienpilger mit vielversprechenden Hemdkrägen, flammenden, vielsagenden Blicken schon in den ersten Maitagen nach Schönbrunn gehen, wenn die zahllosen Kutschen mit allem erdenklichen Gespann, Fiakres, Comfortables, Stellwagen unter betäubendem Gerassel einen besonderm Drang nach der „Schönbrunner Linie“ haben, da faßt den friedlichsten Wiener, der bisher zurückgeblieben, den ingrimmigsten Strazzawurm, den verschollensten Zimmerhüter eine unabweisbare Neigung, er muß auch „heuer einmal wieder“ nach Schönbrunn!

Einmal wieder! Schönbrunn ist der Traum der Kinder, die Heimath ihrer ersten Wunder, der Urquell der Erinnerung an alle die „reißenden Thiere“, Gold- und Silberfischlein im krystallenen Teich, an alle die phantasieverwirrenden „Pflanzenungeheuer“ der Tropen, bis in das späteste Alter; der Jüngling wandelt hier sicher einmal mit seiner Geliebten in einer stillen Allee, der Gatte mit seiner jungen Gemahlin, und das Alter selbst glaubt, daß die Sonne nirgends so geregelt und wohlthuend scheine, die Luft nirgends so „angemessen“ sei, als in Schönbrunn.

Diese enge Bekanntschaft des Wieners mit Schönbrunn von Jugend auf läßt ihn Theil an Allem hier nehmen, und die geringste Neuerung daselbst wird ein Stadtgespräch; er kennt jeden Bären im Teiche, die Größe der Zähne des Elephanten, die Pelze der Beutelthiere, die Physiognomie der Giraffen, er controlirt sie, er kommt jährlich nachsehen, wie sie sich befinden, ob sie zu- oder abgenommen; sie sind ein Theil Altwiens und des Altwieners.

Man kann sich nichts Reizenderes, im Einzelnen Schlichteres und doch im Gesammt großartiger Ueberraschendes denken, als die kaiserliche Sommerresidenz Schönbrunn. Wenn man von der Wiener Straße, vor der Brücke etwas geneigt, abwärts fährt, und ganz Schönbrunn als schiefe Ebene dadurch in die Höhe gehoben wird; wenn man von da über das große Schloß hinweg in das riesige Parterre des Gartens mit seinem saftigen Grün, seinen farbenreichen Blumen und den blitzenden Springbrunnen sieht, und im Hintergrunde, abschließend auf der Höhe, wie eine schwebende, emporgehaltene, sonnig-goldene Krone, das „Gloriett“ – dann hat man einen der reizendsten Anblicke von der Vermählung der Natur mit der Kunst genossen!

Wenn ganz Schönbrunn dem Fremden bei dem ersten Anblick wie eine tausendfältige erschlossene Wunderblume erscheinen mag, so ist das Gloriett, rückwärts und auf der Höhe, mit seinen feinen Gliedern, mit dem glitzernden und blitzenden Scheibenschimmer, seinem Mittelkörper und den graziösen durchsichtigen Seitenflügeln ein wunderschöner Schmetterling, der sich auf dem Ganzen mit ausgebreiteten Flügeln niedergelassen.

Nicht anders sieht das Gloriett (oder die Gloriette) aus. Dort, wo es steht, sollte nach ursprünglichem Plane das ganze Hauptschloß zu stehen kommen; aber Kaiserin Maria Theresia ließ mit seltenem Scharfblicke das Vordergebäude um ein Stockwerk erhöhen, die Seitengebäude ganz neu errichten, und Kaiser Joseph II., mit der Grazie, die ihm eigen war, ließ aus dem Projecte das Mittel- und Kelchstück der ganzen Architekturblume herausheben, und pflanzte es so geist- und geschmackvoll, so luftig und duftig, so groß in seiner Kleinheit, auf die Höhe.

Von dem Plateau desselben, das man betreten kann, sieht man bis nach Ungarn hinein, und Kaiserin Maria Theresia hat von hier aus jeden Morgen einer geliebten Tochter nach Preßburg (auf dem jetzt in Ruinen liegenden Bergschlosse) ein grüßendes Signal gesendet oder ein solches empfangen.

Fischer v. Erlach, der die von selbst dem Staunen sich aufdrängende Karlskirche, die Hofbibliothek und die monumentale Reichskanzlei in Wien gebaut, hat auch Schönbrunn in seiner jetzigen Gestalt entworfen. 1619 hat wohl Kaiser Matthias den „schönen Brunn“ geehrt, im Jagdschlößlein haben später die Wittwen der Ferdinande II. und III. gewohnt; aber die Türken brachen mit ihrer Verwüstung herein, legten Alles in Asche, und machten den Hain zum Schauplatz blutiger Gräuel. Er ward ein wildes Gehölz, wie vorher, bis Leopold I. seinem obengenannten Landbaumeister 1696 befahl, wieder einen Sommerpalast aufzubauen. Er war aber noch immer so klein und unansehnlich, daß die „große Kaiserin“ sechs Jahre, von 1740 an, daran weiter bauen ließ. Jetzt hat er an 1000 Zimmer, und die Breite des Ganzen beträgt 700 Klafter.

Da kann man, wie die Hausfrauen sagen, seine Sachen schon stellen! Die Brücke vor dem Schlosse führt über einen etwas weniger reizenden Fluß, als der Arno oder der Mississippi ist, nämlich die mit der Themse an Größe aller Uebel wetteifernde kleine „Wien“. Am schönsten nimmt sie sich im Hochsommer aus, wenn sie gar nicht da ist; und wie man auf dem Bilde sieht, gehört eine Löwennatur dazu, um bei ihr auszuharren. Aber auch die Löwen kehren der Wien wenigstens den Rücken. Nach der Schönbrunner Seite liegen schon zwei Sphinxe; sie sehen aber so begehrlich aus, daß, wenn man kein anderes Sehnen bei diesen räthselhaften und reizenden Gestalten begreift, gewiß jenes: von hier weg nach den Obelisken, wo die Hauptwache ist, zu kommen.

Der große majestätische Hofraum mit den prachtvollen Freitreppen, mit dem Gewimmel von Wagen und Fußgängern, die auch rechts und links nach den angrenzenden Ortschaften eilen, würde weit größeren Reiz auf uns üben, wenn nicht aus den offenen Thorbogen unter dem Hauptbalkone Duft und Schimmer, Grün und Sonnenschein des Gartens, wie aus den Augengläsern eines Panorama’s, perspectivisch und lockend herauswinken würden.

Doch eilen wir nicht zu rasch davon, dieser Raum hat Großes, Heiteres und Tiefbetrübendes gesehen. Hier woben die Fäden des siebenjährigen Krieges; hier hat Joseph II. seine Brautzüge gefeiert; hier hat Erzherzog Karl 1801 seine tapferen Schaaren und Reichsvertheidiger als im Hauptquartiere gemustert; hier hat Napoleon I. auf seinem Siegeszuge 1809 gewohnt und die Marschälle der „großen Armee“ haben hier in der Sonne glänzend paradirt, hier hat gleichzeitig Staps mit dem Eisen gezuckt, um den Sieger im Laufe zu hemmen; er ward von Rapp mit eigener Hand erfaßt und wenige Tage darauf rechts vor der Mauer erschossen; hier hat der selbstgekrönte „Kaiser“ decretirt: es gibt kein päpstliches Rom, sondern ein Königreich mehr; hier lebte und starb sein Sohn, der „König von Rom“, ohne Rom und ohne Königreich, im selben Raume, wo sein mächtiger Vater decretirt!

Und nun rasch, ehe die Wehmuth über Vergänglichkeit, ehe eine Schaar gespenstiger Gestalten in Turbanen, Wämsen, Eisenharnischen oder Seidenstrümpfen vor unseren inneren Blicken auftaucht – rasch hinein in das erquickende Aetherbad des Gartens!

Es ist ein prachtvoller Anblick! So sehr der Geschmack über die Maßregelung der Natur hier grollen mag, der Anblick bleibt ein prächtiger! Die Bäume bilden grüne glatte Wände und kein Lineal des Maurers würde sie glätter aufgeführt haben. Vor den grünen Wänden, als Hüter der träumerisch halbdunklen, bogengewölbten Baumgänge, stehen die blendend weißen, marmornen Statuen mit geheimnißvollen Leibern. Im Hintergrunde quellen und rauschen die Brunnen und springen in den glitzernden Sonnenschein hinein.

Doch das ist nicht der „schöne Brunnen“. Hier thront Neptun über einer Grotte und die Thetis bittet den wässerigen Gott, ihren Sohn Achill auf der Seefahrt zu assecuriren. Welche Antwort sie in diesem Wasserrauschen erhält, habe ich bisher nicht verstehen können – ich will einen Wasserpolaken fragen!

Der „schöne Brunn“, dieser kühle, liebe Brunnen steht nicht so offen auf dem Markte zur Schau, ist nicht so lärmend und prangend. Biegen wir links in die Stille der halbdunkeln, lauschigen, grünen Gänge ein – sehen Sie die kleine runde Kuppel ragen? – Das ist die Kuppel eines stillen, bescheidenen Tempelchens, und in diesem Tempel rieselt der kühle Quell. Hier hat der gewaltige Jäger Kaiser Matthias 1619 geruht und sich erquickt, hier hat er die erste Idee zu dem schönen Jagdschloß gefaßt! An seiner Stelle ruht eine steinerne Nixe, Najade, Elfe, Fee, Sirene – nenne man sie nach Belieben, sie ist ein göttliches, marmornes Weib! Diese liegende, ruhende Gestalt der Quelle ist eine Pilgerfahrt werth. Wenn Pygmalion himmlisches Feuer stahl, um eine Statue zu beleben – im Anblick dieser würde man ihm Recht geben. Wenn Einer Anlagen hat, zum Narren zu werden und einem weißen Marmorweibe an die Brust sinken will, hier gebe ich ihm die genaueste Adresse, er komme hieher, hier kann es ihm gelingen; ich bin immer nur beim halben Ziele angelangt!

Wenn ich kam und ein Philister sich mit seinem physiognomielosen Theile an diese Göttliche lehnte, sein Glas Wasser schlürfend – und die Philister haben immer Durst und könnten um keinen Preis vorübergehen, ohne zu trinken – ich hätte ihm mögen Rattenpulver in’s Glas geben!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_030.jpg&oldid=- (Version vom 11.1.2023)