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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

des menschlichen Körpers und gegen die Gefährdung des Lebens noch gänzlich unbeachtet geblieben; und doch ist sie hier am nothwendigsten, da, wie wir bereits oben angedeutet, die Gewebe für Kleidungsstücke und besonders die aus dem Pflanzenreiche, also die leinenen und baumwollenen, um so leichter Feuer fangen, je feiner das Gewebe selbst ist. Die Gefahr, d. h. die feuerfangende Natur solcher Gewebe, wird aber noch durch das Waschen derselben erhöht, weil eines Theiles der mehr dicht machende Schlich (das aufgetrocknete Stärkemehl, welches in Form von gewöhnlichem Stärke- oder Weizenmehlkleister beim Weben benutzt wird, oder der zu gleichem Zwecke verwendete eingetrocknete Schleim) dadurch beseitigt, anderen Theiles der Stoff durch das Reiben beim Waschen viel lockerer gemacht wird. Besonders tritt eine solche Gefahr ein, wenn die gewaschenen Gewebe nicht wieder gestärkt werden; aber auch wenn dies geschieht, bleibt sie, wenn nicht dabei zugleich solche Substanzen zugesetzt werden, welche die Gewebe relativ unverbrennlich machen.

Die vorzüglichsten Substanzen, welche als Schutzmittel gegen die flammende Verbrennung entzündbarer Körper vorgeschlagen worden sind und angewendet werden, sind der Borax, der Alaun, das Wasserglas und das phosphorsaure Ammoniak. Diese Substanzen, in einem ansprechenden Verhältniß mit Wasser gelöst, leisten fast gleiche Dienste bei gröberen brennbaren Körpern, eignen sich aber, mit Ausnahme der letztgenannten, nicht zur Sicherstellung der gewebten, gestrickten und gehäkelten Gegenstände. Der Borax hat die Eigenschaft, beim Eintrocknen durch das heiße Plätteisen aufzublähen und nicht allein die Waare hart zu machen, sondern selbst auch abzustäuben. Auf gleiche Weise verhält sich der Alaun, welcher ganz vor kurzer Zeit durch einen Menschenfreund zur Sicherung der Damenkleider empfohlen worden ist; er besitzt außerdem die Eigenschaft, die feinen Gewebe leicht so mürbe zu machen, daß dieselben bei der geringsten Dehnung zerreißen. Das Wasserglas macht die damit getränkten oder überzogenen Gewebe hart und brüchig und wirkt auch in gelinderem Grade selbst auf die Faser ein, so daß diese mürbe und das Zeug leicht zerreißbar wird. Das phosphorsaure Ammoniak hingegen besitzt keine dieser Eigenschaften; es läßt nach dem Trocknen an der Luft oder durch das heiße Plätteisen die Gewebe u. s. w. hinreichend beweglich und faltenschlagend, ohne im geringsten auf die Faser störend einzuwirken, und kann selbst mit dem zum Stärken dienenden Kleister vermischt werden. Es wird für den einen oder anderen Fall in der zwanzigfachen Menge – 2 Loth in einem preußischen Quart – Wasser aufgelöst und entweder mit dieser Lösung für sich oder mit dem Stärkekleister vermischt in’s Gewebe gebracht, dieses aber dann dem Trocknen an der Luft überlassen oder geplättet. Vorsorgende Hausfrauen mögen sich durch einen Versuch an einem so vorbereiteten werthlosen Gewebe überzeugen und sie werden finden daß dieses beim Hineinhalten in eine Kerzenflamme zwar nach einiger Zeit verkohlt, sich aber sonst entweder gar nicht oder erst nach längerer Dauer und dann nur an einzelnen Stellen entzündet. Sie werden gewiß zur Sicherstellung ihrer und der Angehörigen alle leicht feuerfangenden Kleidungsstücke, besonders Oberkleider, für die Zukunft auf diese Weise zubereiten und dürfen dann mit weit mehr Ruhe die Kinder ihren Beschäftigungen überlassen, da der schrecklichsten und in ihrem Gefolge oft gar nicht zu berechnenden Gefährdung, der Feuersgefahr, vorgebeugt ist. Umsichtige Damen werden diese Vorbeugung nicht allein auf die Kleidungsstücke beschränken, sondern sie auf alle leicht entzündliche Gegenstände aus Leinenzeug, Baumwolle und Papier ausdehnen.

Zur allgemeineren Sicherstellung ist es aber auch nothwendig, daß die Fabrikanten der leinenen, baumwollenen und Papierzeuge dieselben sogleich bei der Anfertigung mit einem Sicherungsmittel gegen die Entzündung versehen, damit derartige Zeuge, die doch oft genug ohne vorheriges Waschen getragen oder sonst benutzt werden, vollständige Sicherheit gewähren. Die Fabrikanten können eine derartige Vorkehrung um so eher treffen, da die meisten Gewebe oder Gespinnste unter Anwendung von Schlich, dem das phosphorsaure Ammoniak zuzusetzen wäre, verfertigt werden, und Diejenigen, welche zuerst eine derartige Sicherung ihrer Erzeugnisse vornehmen und auf denselben bemerken, würden gewiß die meisten Käufer dafür finden.

Es dürfte uns entgegnet werden, daß die Anwendung des phosphorsauren Ammoniaks durch dessen hohen Preis unmöglich gemacht oder erschwert würde, worauf wir aber zu erwidern haben, daß eines Theiles eine derartige Sicherstellung nicht hoch genug erkauft werden kann, anderen Theils aber es Mittel und Wege gibt, dieses Salz, wenn auch nicht von absoluter Reinheit, die auch nicht erforderlich ist, billig darzustellen. Wir wollen nur die Fabrikanten von Leinen-, Baumwollen- und Papierzeugen, welche diese in der angegebenen Weise sichern, oder Verfertiger chemischer Präparate, so wie auch namentlich Apotheker, welche das phosphorsaure Ammoniak als Feuerschutzmittel in den Handel bringen wollen, darauf hinweisen, daß dasselbe billig und fast rein durch Neutralisiren der Knochenphosphorsäure, wie dieselbe durch längere Digestion von 5 Th. weißgebrannten und gepulverten Knochen mit 3 Th. concentrirter Schwefelsäure und 30 Th. Wasser gewonnen wird, mit reinem oder kohlensaurem Ammoniak, noch billiger aber mit Salmiak vermischt dadurch dargestellt werden kann, daß man die Flüssigkeit, welche man bei der Reinigung der Knochenkohle mit Salzsäure oder bei der Isolirung der Leimsubstanz aus den ungebrannten Knochen durch dieselbe Säure erhält, mit kohlensaurer Ammoniakflüssigkeit, wie sie bei der Verkohlung der Knochen oder Steinkohlen oder beim Destilliren der gefaulten Harne erhalten wird und die in den beiden ersten Fällen durch Digestion mit Kohle von den brenzlichen Beimengungen befreit worden ist, neutralisirt und die von dem gebildeten Niederschlag getrennte Flüssigkeit zur Krystallisation verdunsten läßt. Das auf letztere Weise erhaltene Gemenge von phosphorsaurem Ammoniak und Salmiak kann man durch wiederholte Umkrystallisation zwar scheiden, aber auch diese Operation umgehen, da der Salmiak nicht störend wirkt und in gewisser Beziehung den Schutz gegen die flammende Verbrennung der damit getränkten feuerfangenden Gegenstände erhöht, und das Gemenge, da es von dem Franzosen Gay-Lussac als Feuerschutzmittel vorgeschlagen worden ist, als Gay-Lussac’sches Entflammung sicherndes Salz in den Handel bringen. Zwei Loth dieses Salzgemisches würden im Detailhandel um weniger als einen Groschen zu verkaufen und in einem Quart Wasser gelöst für sich oder mit dem Stärkekleister vermischt hinreichend sein, eine große Masse leicht feuerfangender Gegenstände zu sichern.

Dr. Franz Döbereiner.




Savoyen in Paris. Alljährlich, wenn die jungen Spitzen der Gräser in den Thalgeländen von Chamouny, Sallenche und Maurienne durch die Märzsonne hervorgelockt werden, finden in diesen stillen Alpenthälern der Savoyerberge rührende Scenen des Abschieds statt. Hinaus in die weite Welt ziehen, von den Glück- und Segenswünschen der Eltern und Geschwister begleitet, Hunderte junger, kräftiger Söhne des Gebirges, vom zarten Knabenalter an bis zum Jünglingsalter. Sie ziehen hinaus in die weite Welt, nach Frankreich, England, Deutschland, Rußland, frohen Muthes und hoffnungsvoll, einst als reiche Leute – nach ihren Begriffen wenigstens reich – in diese stillen Gebirgsthäler zurückzukehren, und unbekümmert darüber, ob ihr Weg sie nach Paris, London, Berlin, Petersburg oder Moskau führt. Doch, daß wir der Wahrheit die Ehre geben, wenn es auch dem Savoyarden nicht darauf ankommt, ob er sich in London oder St. Petersburg sein Zukunftscapital verdienen soll, Frankreich und Paris gibt er doch immer den Vorzug, und der Weg von Chambery bis Paris ist zu dieser Zeit mit zahlreichen Trupps jener Gebirgskinder bedeckt, die in ihren hellbraunen groben Tuchjacken, ihren enganschließenden Hosen von derselben Farbe, dem breiten schwarzen Filzhute und den derben, mit zolldicken Sohlen benagelten Schuhen nach der Seinestadt ziehen, um hier als Schornsteinfeger, Stiefelputzer, Wasserträger, Holzspalter, Commissionärs, Bureaudiener, Handlungsauslaufer, Markthelfer, Comptoirdiener der Banken ihr Glück zu machen. Ihr Glück! Der Gedanke läßt sie alle die Entbehrungen und Mühseligkeiten, die ihrer harren, vergessen, und mit dem Gesange des alten Savoyardenliedes: „Dis Gazanetta vastitété lougha“, wandern sie auf der staubigen Landstraße dahin, an einem Quell ihren Durst stillend, in dem Quersacke ihr Frühstück und Mittagsbrod, aus Schafkäse und Schwarzbrod bestehend, tragend und in einer leeren Scheuer oder unter einem alten, schattigen Nußbaume am Wege ihr Nachtlager haltend.

In Paris angelangt, zerstreuen sich die Trupps, ein Jeder geht zu der Kolonie seiner Gemeinde, die in der Regel ihre gemeinschaftliche Wohnung hat. Es gibt gegen zehn solcher savoyischen Colonien in Paris, von denen einige fünf- bis sechshundert, andere noch stärker an Mitgliederzahl sind. Vor der Februarrevolution zählte man gegen zwanzigtausend Savoyarden in Paris, jetzt ist ihre Zahl vielleicht bis auf zwölftausend vermindert. Indessen darf man nicht annehmen, daß diese zwölftausend Savoyarden nur in jenen niedrigen Stellungen sich ihre Existenz in Paris schaffen, sie bekleiden auch sehr einträgliche Aemter, besonders Vertrauensposten bei Bankiers und Banken, und es gibt manchen unter ihnen, der als Geldausträger gegen zweitausend Franken und mehr Besoldung hat. Ihre Hauptempfehlung ist ihre Ehrlichkeit und man kann ohne Uebertreibung sagen, daß ein großer Haupttheil des Mobiliarvermögens von Paris durch die Hände der Savoyarden, in ihrer Eigenschaft als Commissionäre, Bureaudiener, Geldausträger etc. geht. Es wird aber auch jeder Vertrauensmißbrauch, den sich Einer von ihnen zu Schulden kommen läßt, streng bestraft und zwar von ihnen selbst. Der Verbrecher wird ohne Weiteres aus ihrem Gemeinwesen ausgestoßen.

Es hilft ihm nichts, wenn er glaubt, sich in der großen Stadt verbergen zu können; die ganze Savoyardencolonie von Paris wird sein Verfolger und Aufspürer, und früher oder später wird er entdeckt. Ist er gefunden, so muß er in Gegenwart der Aeltesten seiner Gemeindecolonie vor dem ersten Eckstein niederknieen und ihn küssen. Dann gibt man ihm sein Bündel auf die Schultern und führt ihn zu der Barriere hinaus, mit der strengen Weisung, nie wieder nach Paris und Frankreich zurückzukehren. Die Polizei weiß dies und überläßt deshalb auch in den meisten Fällen, wo es sich nämlich um Vertrauensmißbrauch handelt, die Strafe der Gemeinde selbst. Sie ist härter, als sie erscheint. Denn der ausgestoßene Savoyarde muß auf die Realisirung seines Zukunftstraumes verzichten, und muß zum wenigsten in einem andern Lande von vorn beginnen. Die Zeit ihres Pariser Aufenthaltes beträgt in der Regel zehn bis zwölf Jahre. Während dieser vielen Jahre gönnen sie sich kaum ein Mal jährlich eine Erholung. Arbeit und Entsagung ist ihre Parole. Gleichgültig geht der braune Sohn der Savoyerberge an den verführerischen Herrlichkeiten der Seinestadt vorüber – ihn rührt nichts, er gönnt sich weder einen Schoppen Wein, noch besucht er jene Orte des Vergnügens, wo der Pariser Arbeiter sein Geld und oft auch seine Gesundheit in wilder Debauche vergeudet. Das Augenmerk des Savoyarden in Paris ist einzig und allein auf den Erwerb einer Summe von acht- bis zehntausend Franken gerichtet, mit denen er sich in seiner Heimath ein Landgut kaufen, und dort als behäbiger Pächter oder Viehmäster leben kann. Sie schicken deshalb alljährlich ihr erspartes Gut nach Hause, woselbst die Anverwandten es im Ankauf eines Stück Feldes oder Hauses anlegen. Jetzt geben jedoch viele Savoyarden ihr Geld auf die Pariser Sparcassen, ja Manche speculiren damit sogar auf Hausse und Baisse an der Börse und haben ihre Agenten in der Coulisse, wie Mirès und Rothschild. Zuweilen kauft der Savoyarde sich in Paris auch einen Regenschirm von rother bunter Seide, eine schöne silberne Uhr mit Berloque, ein paar bunte ostindische Taschentücher – aber nie denkt er daran, diese Gegenstände in Paris zu benutzen. Er kauft sie, um einst in der Heimath, nach der all sein Sinnen und Trachten steht, damit glänzen zu können, und mit ihrer funkelnden Herrlichkeit das Herz eines savoyischen Mädchens zu erobern, dem er schließlich auch seine Hand schenkt. Denn selten oder nie heirathet ein Savoyarde eine Pariserin, deren zerbrechliche, ätherische Schönheit ihm als eine zu zarte, reizbare Pflanze erscheint, um sie in die strenge, rauhe Luft seiner Heimathsberge zu versetzen, deren dunkle Felsenthäler ihm tausendmal reizender erscheinen, als das glänzende Bois de Boulogne oder die Elyseischen Felder.

K. W.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_032.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2023)