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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

und den Riegel vorgeschoben hatte, ging sie einigemal mit hastigen Schritten die Stube auf und nieder. Ihr Gesicht hatte einen von dem sonnigen Charakter ganz verschiedenen Ausdruck von Wildheit angenommen; es war, als ob sie eine Maske getragen und nun abgenommen hätte.

Nach einer Weile blieb sie vor dem Spiegel stehen, um ihrem Gesichte wieder den vorigen Ausdruck der Freundlichkeit zu geben. Dann blieb sie wie horchend stehen, und als sich weder in noch außer dem Hause ein Laut hören ließ, trat sie mit zufriedenem Nicken an einen hohen Wandschrank, wie sie in den Stuben wohlhabender Bauersleute als eine Art Prachtstück zu stehen pflegen.

Sie öffnete ihn, schob die Kleidungsstücke, womit er ganz ausgefüllt war, auseinander und drückte im Hintergrunde an eine in der Vertäfelung angebrachte Leiste. Im Moment wich diese dem Druck; eine enge, in einen völlig dunklen Raum führende Thür wurde sichtbar, schloß sich aber eben so schnell hinter dem Eintretenden.

Es war der junge Knecht, der zuvor unter der Thür gestanden.

Er war noch immer blaß und wie verwirrt und blieb mit gefalteten Händen, wie eine Bildsäule vor sich auf den Boden starrend vor der Bäuerin stehen, die ihn mit einem scharfen, in die Seele dringenden Blick betrachtete.

„Was willst Du?“ fragte er endlich kleinlaut, „Du hast mir heraufgewinkt.“

„Muß ich das nicht, Hans?“ entgegnete freundlich die Bäuerin, indem sie, rasch in eine andere Rolle übergehend, den Widerstrebenden neben sich auf die Bank zog. „Muß ich das nicht, wenn ich Dich sehn will? Du bist mir ein trauriger Schatz! Sonst hast Du den Weg zu mir ohne Wink zu finden gewußt!“

Der Knecht saß regungslos neben dem Weibe und erwiderte keine der Liebkosungen, mit denen sie ihn überhäufte, ja er schien sie nicht einmal zu fühlen. Nur bei der Erinnerung an das Sonst in der Rede der Bäuerin zog ihm eine dunkle Gluth über Stirn und Wange, seine innere Beschämung oder Entrüstung ankündend.

Mit einem Male aber schien er zu sich selbst zu kommen. Wie erschreckt fuhr er empor, schlug die Hände wie krampfhaft vor die Augen und keuchte: „Laß mich los, Urschi – es ist Sünde, unverzeihliche Sünde! Du bist eines Andern, bist meines guten Herrn Weib, und ich …“

„Und Du?“ fragte forschend die Bäuerin, mit Mühe ihre Aufregung verbergend.

„Ich bin ein elender, verworfener Mensch!“ jammerte Jener düster vor sich hin. „Ich bin nicht werth, daß mich die Sonne anscheint!“

„So sage nur,“ schmeichelte das Weib, „was Dich mit einem Male so verändert hat? Ich kenne Dich nicht mehr!“

„Das will ich Dir sagen. Wie vorhin der Assessor daher gefahren kam und vor dem Haus gehalten hat, da hab’ ich erst in mich hineingelacht, daß er umsonst fragen und nichts finden wird. – Wie er aber mit Dir sprach und das alte Sprüchl sagte, daß nichts so fein gesponnen ist, es kommt doch an die Sonnen, da kam es mir vor, als hätte er mich dabei gerade und starr angesehn … mir verging das Sehen und Hören; ich mußte mich an der Thür halten, damit ich nicht umgefallen bin, aber in mir und um mich herum schrie es in Einem fort: Morgen kommen sie und holen Dich!“

„Einbildung! Du bist krank,“ erwiderte die Bäuerin, welche ernstlich besorgt zu werden anfing, obwohl ihr Beweggrund mit der Liebe am wenigsten gemein hatte. „Du mußt Dich niederlegen und Medicin nehmen, daß Dir die wilden Gedanken vergehen!“

„Die vergehen mir mein Lebtag nicht wieder,“ seufzte Jener, „dafür gibts keine Medicin! Aber ich will mir doch Ruhe verschaffen! Und ich weiß was ich thun muß! Ich will nichts mehr wissen von Dir, Du schöner Teufel, der mich verführt hat! Ich will hin und will Alles gestehen!“

Die Bäuerin erschrak. „Narr,“ rief sie, „was fällt Dir ein? Bedenkst Du auch, was Dir bevorsteht? Sie werden Dich für immer ins Zuchthaus sperren, wenn sie Dir nicht den Kopf vor die Füße legen.“

Der Knecht antwortete nicht gleich; er vermochte es nicht, denn seine Brust arbeitete im heftigsten Kampfe. „Meinetwegen,“ sagte er dann dumpf, „mir gehört’s nicht besser, und wenn’s an die Sonnen gekommen ist, hab’ ich doch nichts Anderes zu erwarten!“

„Du mußt im Ernst krank sein, Hans,“ sagte die Bäuerin ärgerlich! „Wie wär’s nur möglich, daß irgend was aufkäm’! Keine menschliche Seel’ denkt daran, den rothen Hannickel da zu suchen, wo er zu finden ist! Du weißt, daß selbst von den Cameraden kein Einziger ihn kennt, Du allein weißt Alles! Und Du wolltest hingehen und schwach werden und Alles verderben, was wir so schön ausstudirt haben? Noch eine ganz kurze Zeit, dann haben wir so viel beisammen als wir brauchen! Dann gehen wir mit einander fort, nach Ungarn hinunter oder gar über’n Meer hinüber, wo uns kein Hahn nachkeäht! Und das Alles wolltest Du selber zernichten?“

Der Bursche schwieg, aber die Natur schien die krampfhafte Anspannung, in der er sich befand, nicht länger ertragen zu können. Die Sehnen ließen nach, und mit einem tiefen, herzbrechenden Seufzer brach ein Strom von Thränen aus seinen Augen.

Die Bäuerin bemerkte listiger Weise sogleich die eingetretene weichere Stimmung und bemühte sich sie möglichst zu benutzen. „Und an mich,“ fuhr sie mit schmeichelndem gerührtem Tone fort, „an mich denkst Du gar nicht? Willst Du Dich mir entreißen, die nicht leben kann ohne Dich? Willst Du mich in’s Unglück stürzen zum Dank dafür, daß ich Dir mein Ehre, mein Vermögen, ja mein Leben selbst in die Hände gegeben habe? Du wirst nicht! Wenn Du wieder gescheidt, wenn Du der beherzte Bursch’ wieder bist, als den ich Dich so oft gesehn hab’ in der größten Gefahr, dann wirst Du über Dich selbst und über Deine Verzagtheit lachen und wirst Dich schämen, daß ein einfältiges Sprüchl Dich so zum Kind hat machen können … Du weißt …“

Das Weitere verlor sich in immer leiserem Flüstern. Der Knecht widerstand dem freundlichen Andringen nicht länger; er wurde wärmer und vergaß bald unter den Liebkosungen des schönen Weibes seine Vorsätze und seinen Schrecken. Geraume Zeit hatten beide gekost, als sich ein leises Klirren vernehmen ließ und die Thürklinke begann sich hin und wieder zu bewegen. Dem Falkenblick der schönen Huberin entging das nicht; wortlos deutete sie dem Knecht darauf hin. Diesem mußte das Zeichen nicht unbekannt sein, denn gleichfalls ohne ein Wort zu erwidern, schlüpfte er in den Kasten, aus dem er gekommen war.

„Und wirst Du mir nun keine Narrheit mehr begehn?“ flüsterte ihm die Bäuerin noch nach.

„Ich bin Dein und wenn’s in die Hölle ginge,“ erwiderte Hans ebenso hastig – und er war verschwunden.

Mit der unbefangensten Miene zog die Bäuerin geräuschlos den Thürriegel zurück; dann trat sie vor einen der Schränke und gab sich, mit dem Rücken gegen den Eingang gewendet, den Anschein, als sei sie mit dem Ordnen der Wäsche beschäftigt. Dabei ließ sie aber einen vor ihr hängenden Spiegel keine Secunde aus den Augen, denn in ihm konnte sie Alles wahrnehmen, was hinter ihr vorging.

So bemerkte sie, daß die Thüre wie von Jemand, der horchen will, behutsam geöffnet ward und daß in der Spalte der Kopf ihres Mannes sichtbar wurde. Sein Gesicht trug den Ausdruck eines wilden lauernden Zorns, wie er aber die Katzenaugen im Zimmer umher gleiten ließ, verlor sich derselbe und machte dem gewohnten dummen Lächeln Platz. Er zog sich wieder zurück und schloß die Thüre ebenso leise, sichtbar froh, nicht bemerkt worden zu sein.

„Steht es so?“ murmelte die Bäuerin vor sich hin, als sie sich wieder allein wußte. „Wie gut, daß ich den heimlichen Zug an der Thür’ hab’ anbringen lassen, der es sogleich zeigt, wenn Jemand die Stiege betritt! – Er hat also Verdacht? … Und Hans …? Für diesmal hab’ ich ihn noch von seinem Fieber curirt, aber wer steht mir dafür, ob es nicht wieder kommt? Und ob ich dann noch im Stand bin, Einhalt zu thun?“

Sie sann einen Augenblick nach. und der häßliche Zug um ihren Mund trat stärker hervor. „Nun,“ sagte sie dann nach einer Weile und wandte sich entschlossen der Thüre zu, „ich will schon vorsorgen, sie sollen sehen, daß die schöne Huberin sich zu helfen weiß!“




4.

Dem schönen Morgen war ein schöner Tag gefolgt, wolkenlos und tiefblau, aber niederdrückend schwül. Schon hatte in den Dörfern ringsum das Glockenzeichen die Beendigung des nachmittägigen Gottesdienstes angekündigt und noch regte sich kein kühler Lufthauch,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_031.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)