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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

steiler Alp zu hüten, dann muß er am schwindelnden Abgrunde gehen, zu äußerst, wohin das weidende Thier sich nicht getraut, – und auf Schritt und Tritt geht der Tod dicht neben ihm. Beim Sturm und Hochgewitter, im strömenden Regen und zu jeder Tageszeit muß er seinen lebensgefährlichen Beruf erfüllen, und nicht selten kommt’s, daß er tagelang in durchnäßten Kleidern verbleiben muß. Dies ist die Kehrseite des so reizend geschilderten Hirtenlebens. Aber auch der Senn bekommt sein Theil davon, wenn’s wochenlang regnet, Nebel wie böse Geister des Gebirges sich grau und unheimlich um die Hütte lagern, das nasse Holz nicht brennen will und Wind und eisiger Luftzug durch die Hütte fegen, daß die Glieder erstarren, – oder wenn’s gar im Juli schneit und dicke Flocken wirft, fußhoch, daß das Vieh kein Hälmlein Futter findet, vor Hunger brüllt und tagelang keine Milch gibt. Da begegnet’s schon, daß der Senn weit, weit in’s Thal hinab zurückkehren muß mit seiner Heerde, oder daß er mit unsäglicher Mühe Heu von der Heimath in die Berge herauftragen und dem sparsam geernteten Winterfutter Abbruch thun muß.

(Schluß folgt.)




Die Huberbäuerin.
Von H. Schmid.
(Fortsetzung.)

Die Frau Wörglin war eine kleine, unmäßig dicke Gestalt, nicht eben gemacht, um zu imponiren, aber sie galt in der ganzen Gegend als eine so gescheidte und leutselige Frau, daß man überall gern ihre Vermittlung suchte und ihren Rath holte. So war sie bei den jüngern Bauernburschen nicht ohne Einfluß, und hatte schon manchen drohenden Sturm zu beschwichtigen gewußt.

„Gebt mir Ruh’, Ihr Buben,“ rief sie, „wenn wir gut Freund bleiben sollen! Wer mir Spectakel anfängt, ist zum letzten Male auf dem Wörglkeller gewesen, darauf könnt Ihr Euch verlassen! Und laßt mir auch das nichtsnutzige Gered’ unterwegs. Es schickt sich nicht, daß man von einer braven und ordentlichen Frau so was sagt, und wenn sie zehnmal nichts davon wissen soll; die Leut’ sind gar schlimm, und es bleibt gar zu gern etwas hängen. Und eine brave Frau ist die Huberbäuerin, das muß ihr der ärgste Feind nachsagen, ordentlich und ehrbar und haushälterisch und ein wahres Muster von einer richtigen Bäuerin.“

Die Bursche stimmten ein und setzten sich beruhigt wieder zum Trinken und Singen nieder. Sie hätten’s ja nicht bös’ gemeint, sagten sie, und beim Bier gehe ja wohl ein Wörtel drein.

„Ja, ja, meinetwegen,“ rief die Frau, indem sie sich gegen den Tanzplatz wendete, „aber ich sag’ immer: Unrecht Gut thut kein Gut, ein unrecht Wort find’t bösen Ort; das könnt Ihr Euch auch merken, es wird Euer Schaden nicht sein.“

Damit ging sie; Paul, der sich nicht mehr gesetzt hatte, neben ihr.

„Wie ist’s, Frau Wörglin,“ sagte er halblaut, nachdem sie ein paar Schritte gegangen waren, „könnt Ihr kein Wildpret brauchen? Ich hab’ wieder einen wunderschönen Rehbock gefunden.“

„Du bist mir der saubere Finder,“ sagte die Frau, ebenfalls mit gedämpfter Stimme und stillstehend. „Kannst halt das Wildern nicht lassen, und ich sollte Dich auch nicht unterstützen drin … aber was will ich machen! Die Herren im Casino wollen immer was Besonderes essen für ihre paar Groschen, und wenn ich das Wildpret vom Förster kaufen wollte, dürft’ ich nur gleich die Küch’ zusperren! Was soll er denn kosten, der Bock? Drei Gulden will ich Dir geben!“

„Aber, Frau Wörglin,“ erwiderte der Bursche schüchtern, „die Wilddecke allein ist mehr werth …“

„Warum nicht gar!“ eiferte die Wirthin. „Ich soll Dir wohl jedes einzelne Haar im Pelz bezahlen! Einen Spitz von meinem rothen Wein geb’ ich noch drauf, der Dir so schmeckt …“

Der Bursche kraute hinter den Ohren. „Die vier Gulden, Frau Wörglin,“ sagte er, „Ihr sagt ja immer: Unrecht Gut thut nicht gut!“

„Ja, das sag’ ich,“ rief die Wirthin, „und bleibe auch dabei! Merk’ Dir’s nur auch! Also, wenn Du willst, kannst Du den Bock heut’ Abend hinten in den Schuppen an den gewohnten Ort legen und Dir dann Dein Geld holen!“

„Meinetwegen,“ sagte der Bursche, „ich muß halt in den sauren Apfel beißen. Paßt also auf, nach Gebetläuten komm’ ich!“ Beide trennten sich, als die Bursche gerade ein Freudengeschrei erhoben und auf die Straße hinabliefen, wo sie sich so in der Reihe aufstellten, daß dieselbe ganz abgesperrt war.

„Grüß’ Dich Gott, Blumhuber-Rosel,“ riefen sie; „das ist schön, daß Du kommst! Du darfst nicht vorbei, ohne daß Du uns Bescheid gethan hast; Du bist die richtigste Dirn’ im ganzen Erdinger Gericht! Wie Du den rothen Hannickel heim geschickt hast, das thut Dir so leicht Keiner nach!“

Das bleiche Mädel gerieth in Verwirrung und sah so schüchtern aus, daß ihr Niemand die Kraft und die Kühnheit zugetraut haben würde, die sie bewiesen hatte.

„Mein, laßt’s mich gehn, Ihr g’schupften Buben,“ sagte sie mit einem schwachen Lächeln. „Ich hab’ mich eben um meine Haut gewehrt, und das ist Alles. Laßt’s mich aus, ich muß noch zu meiner Gothen nach Altenerding ’nüber, und wenn Ihr mich versäumt, komm’ ich vor Nachts nicht wieder heim.“

Alles Sträuben und Weigern war vergebens; um nur loszukommen, mußte Rosel einwilligen, einen Augenblick in den Keller einzutreten und den Begrüßenden durch Nippen an den dargebotenen Krügen Bescheid zu thun. Auch viele von den übrigen Gästen wurden aufmerksam, kamen herzu und umringten neugierig und fragend das Mädchen, das inzwischen Muth gefaßt hatte und das Erlebte mit einfachen kurzen Worten erzählte.

Zu dem Kreise der Zuhörer hatte sich auch Hans eingefunden und stand unbeachtet von Allen Rosel gegenüber, doch so hinter den Leuten verdeckt, daß sie ihn nicht wahrnehmen konnte. Das Blut schoß ihm bei ihrem Anblick in’s Gesicht, sein Herz schlug hörbar und vor den Augen zog es ihm feucht vorüber, wie wenn man in den Regen hinausschaut. Als die Erzählerin ihren schlichten Bericht schloß und die Zuhörer unter einander verwundert plauderten, benutzte sie die Gelegenheit, sich der allgemeinen Aufmerksamkeit zu entziehen, und schlüpfte gegen den dunklen Eingang der Fässerhalle zu, in welcher Musik und Tanz eben eine Pause machten.

Hans hatte ihre Absicht bemerkt, er folgte ihr, ohne selbst klar zu wissen, was er that, und an einer halbdunklen, augenblicklich menschenleeren Stelle trat er ihr unerwartet entgegen.

Sie stieß einen leisen Laut schmerzlicher Ueberraschung aus und machte eine halbe Bewegung nach dem Herzen, während es wie Wiederschein einer fernen Beleuchtung röthlich über ihre Züge flog – dann standen sich Beide eine Secunde lang lautlos und ohne Regung gegenüber.

„Grüß’ Dich Gott, Rosel,“ brachte Hans endlich hervor.

„Grüß’ Dich Gott, Hans,“ erwiderte sie ruhig und fuhr, da er nichts weiter hinzusetzte, fort: „Willst Du mir was?“

„Ja,“ sagte Hans, ohne die Augen aufzuschlagen. „Es leidet mir’s nicht länger mehr … ich muß Dir’s sagen, daß ich’s einseh’, wie schlecht ich an Dir gehandelt hab’ … daß es mich reut, so viel ich Haar’ auf dem Kopf habe .. und daß ich Dich um Verzeihung bitten will …“

„Ich trag’ Dir nichts nach,“ sagte Rosel nicht ohne Bewegung, „meinetwegen brauchst Du Dich nicht zu kränken – ich wünsch’ Dir alles Gute.“

„Ja, Du bist alleweil die gute Stund’ selber gewesen,“ seufzte Hans aus tiefster Brust, „aber ich … ich! O Rosel, Rosel, ich wollt’, ich wär’ nie auf den Huberhof ’kommen!“

„Der Ort macht’s nicht aus, Hans. Der Huberhof ist das rechtschaffenste Haus weit und breit – es wird uns schon so aufgesetzt gewesen sein, daß wir auseinander haben kommen müssen.“

„Nein, nein, es hat nicht sein müssen,“ rief Hans wieder, „ich allein bin dran schuld, daß es so geworden ist … aber ich wollt’ ja gern Alles thun, wenn’s wieder werden könnt’, wie damals!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_046.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)