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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Ehrentag vor. Ist nun der Tag erschienen, an welchem sie corporativ für ihrer Thalschaft Ansehen auftreten, z. B. die Entlebucher gegen die Emmenthaler, dann versammeln sich Alle an einem bezeichneten Ort, in einem Wirthshause, und trinken einander brüderlich in guten Treuen, sonder Haß und Erbitterung zu. Die spartanische Lustbarkeit beginnt mit fröhlichem Zuge zum Kampfplatz unter Anführung einer laut schmetternden Musikbande. Jeder mit seinem Gegner, Arm in Arm, folgt, und Volksmassen begleiten und schließen den Zug. Auf dem Platze angelangt, schließt sich ein weiter Kreis der Zuschauer. Eine gleiche Anzahl Kämpfer von beiden Theilen wird ausgewählt, je nach Uebereinkunft. Die Schwächeren von beiden Seiten machen den Anfang, und der Ordnung nach schließen die Stärkeren sich an. Der Anerkannteste der Schwinger ist immer oberster Befehlshaber und in verwickelten Fällen unparteiischer Rathgeber. Oft wird auch ein neutrales Kampfgericht durch Stimmenmehrheit erwählt. Jetzt tritt das erste Paar in des Cirkels Mitte, barfuß, die Hosen bis über die Hälfte der Schenkel aufgerollt, das Hemd am Halse geöffnet, ebenso die Hemdärmel weit zurückgeschürzt, den Haarwuchs des Kopfes mit einem Taschentuch umwunden. Ein Handschlag bekräftigt öffentlich, daß es einem Ringen in Freundschaft, nach alten Regeln, gelten solle. Nun fassen sie einander, und der Kampf beginnt. Die höchste Spannung, wer siegen werde, spricht sich auf dem Antlitz aller Zuschauer aus. Lange schwankt der Entscheid; endlich liegt der Eine überwunden am Boden, und lauter Beifallsruf belohnt den Gewinnenden. So folgen die übrigen Paare bis zum letzten. Die Seite, auf welcher die Wenigsten gefallen sind, namentlich wenn auch der letzte Sieger auf dieser Seite triumphirte, ist Herrin des Platzes und ihr Lob das Tagesgespräch viele Wochen hindurch. Ein freundschaftlicher Trunk schwemmt allen Unmuth hinweg, und nach friedlichem Abschied wandern die wackeren Kämpen wieder ihren Alphütten zu, um am Andenken zu zehren.

Noch eine andere Belustigung in den Berner Alpen ist das „Posternächteln“. Dies geschieht, wenn der Senn mit dem Vieh einen anderen „Staffel“ bezieht, oder wenn die Hirten die Alpen verlassen. Schon lange vorher sammeln sie Holz, das sie oft stundenweit vorn an den Rand eines hohen Felsen tragen, der das ganze Thal beherrscht; daselbst richten sie einen mächtigen Scheiterhaufen auf, zünden denselben bei anbrechender Nacht an und lassen endlich die glühenden Klötze von der Höhe hinabrollen, den Thalbewohnern ein köstliches Schauspiel zu bereiten.

So ist in wenig Zügen des Aelplers Freud’ und Leid. Herbstelet es dann endlich, d. h. stellen sich die Nachtfröste des Herbstes ein und zieht der Wald sein buntscheckiges Kleid allgemach an, dann zieht der Senn „ab Alp“. Die Poesie des Hirtenlebens ist für einmal wieder dahin, und im Andenken zehrt er in der tief eingeschneiten Winterhütte des Thales an den genossenen Freuden im Hoffen auf die Wiederkehr des Frühlings.




Die Huberbäuerin.
Von Herrm. Schmid.
(Fortsetzung.)


Nach dem Weggange des Knechtes Hans setzte sich die Bäuerin an den Tisch und nahm eine Näharbeit vor, von Zeit zu Zeit horchend, ob Paul noch nicht zurückkomme.

Als er endlich in die Stube trat, nahm sie seine Nachricht über die Bestellung in der Mühle ganz gleichgültig auf und beugte sich tief über ihre Arbeit. Manchmal, als ob sie sich einen Augenblick vergessen hätte, seufzte sie tief auf oder fuhr gar mit der Hand über die Augen, wie wenn sie eine Thräne abwischen wollte.

Keine dieser Bewegungen ging Paul, der wieder den Sitz auf der Ofenbank eingenommen hatte, verloren. Jede wirkte wie ein elektrischer Schlag auf ihn und mehrte die verderbliche Gluth, die in ihm loderte, denn die Scherze seiner Dienstgenossen hatten nur zu sehr die Wahrheit gesagt. Paul liebte seine schöne Dienstfrau mit allem Feuer einer ersten Neigung und war bemüht, ihr eine Art von bäuerischer Ritterlichkeit zu erweisen, die dieser nicht entging, wenn sie es auch nicht zu erkennen gab. Durch diese versteckte Duldung erhitzte sich Pauls Eifer immer mehr, und er lechzte nach einer Gelegenheit, seine Liebe durch eine recht entscheidende offene That zu zeigen.

Nach einer kurzen Pause, die Paul die Brust zusammenschnürte, versuchte er schüchtern, ein Gespräch anzuknüpfen.

„Du bist heut’ nicht guten Humors, Bäuerin,“ sagte er.

„Ich hab’s auch nicht Ursach’,“ erwiderte sie, anscheinend kurz, innerlich aber über die Anrede erfreut.

„Was ist’s dann, was Dir auf dem Herzen liegt?“ fragte Paul muthiger wieder. „Darf man’s wissen?“

„Wozu? Du hilfst mir doch nicht.“

Das Gesicht Pauls überlief es glühend heiß; der Athem wurde ihm zu kurz, daß er nur halblaut zu murmeln vermochte. „Wenn’s Einer kann, Bäuerin, so kann ich’s.“

Er wollte mehr sagen, aber die Bäuerin, ihre beendigte Arbeit zusammennehmend, war aufgestanden und unterbrach ihn.

„Ein guter Freund könnt’ helfen – aber wo soll ich den hernehmen?“

Das war zu viel für Paul; unfähig zu reden sprang er auf und stellte sich vor die Bäuerin, als wolle er ihr durch den Augenschein den Freund zeigen, den sie suche.

„Du?“ sagte sie wie staunend, indem sie ihn mit einem weichen, halb zärtlichen Blick ansah, der ihm durch alle Nerven zuckte. „Ich weiß, Du bist ein guter Bursch’, der was auf mich hält … aber würdest Du Alles thun, was ich von Dir verlange?“

„Alles!“

„Verstehst Du mich auch wohl – Alles? … Wenn ich nun einen Feind hätte, der mich so furchtbar beleidigt hätt’, daß ich zu Grund’ geh’n muß, wenn ich mich an ihm nicht rächen kann …“

„Sag’ wer es ist, Bäuerin,“ rief Paul außer sich, „und ich steh’ Dir gut dafür, daß er Dich nicht mehr beleidigt!“

„Wie, Du wolltest? … Aber wenn der Mensch ein gewandter, starker Bursch’ wär … Du bist noch gar so jung!“

„Sorg’ nicht – ich hab’ nicht umsonst schon manchem Hirsch oder Bock eins auf’s Blatt hinauf gesetzt.“

„Das wär’ freilich das Beste und Sicherste! Aber,“ fuhr sie scheinbar einlenkend fort, indem sie etwas näher trat, „so gefährlich soll’s nicht herunter geh’n – ich hab’ Dich nur probiren wollen. Wenn Du also Alles thun willst, was ich Dir sage …“

Paul machte eine heftige Gebehrde der Ungeduld.

„Nun ja, ich glaube Dir schon,“ sagte sie, „ich hab’ es doch schon lang’ merken müssen, daß Du mich gern hast, und wenn Eins nicht wäre, und wenn ich wüßte, daß Du schweigen kannst, wer weiß was vielleicht geschäh’ –“

„Das Eine,“ rief Paul, „sage mir das Eine!“

„Ich will’s versuchen. Thu’, als ob Du zu Bette gingst; komm’ in einer halben Stunde wieder, aber leise, daß Dich Niemand hört … und dann – … Du kannst immer Deine Büchse herrichten. Du mußt heut’ Nacht noch einen Gang machen für mich – da kann’s in keinem Fall schaden, wenn Du sie zur Hand hast.“

Sie stocherte dabei an der Kerze herum, die sie, zum Gehen bereit, in der Hand hielt, und es war wohl mehr als Zufall, daß sie darüber erlosch. Im Augenblick fühlte sie sich von kräftigen Armen umschlungen, ein sengender Kuß brannte auf ihren Wangen, und mit einem halblauten „Ich komme“ war Paul verschwunden.




6.

Etwa eine gute Stunde später stand Paul mit der Flinte bewaffnet im Walde auf einer buschigen Anhöhe, von der man eine schmale Waldblöße überblickte. Er stand an einer hohen Tanne und spähte mit glühendem Gesichte vor sich hin, das die kalte Nachtluft nicht abzukühlen vermochte. Alle seine Sinne waren im gewaltigsten Aufruhr; wie im Fieber schlugen seine Pulse, und die Gedanken und Bilder rannen ihm unklar und nebelhaft zusammen.

Die Nacht hatte inzwischen begonnen sich zu lichten, denn der Mond sollte bald aufgehen und sandte bereits über die Tannenwipfel seine bleiche Dämmerung voraus. Desto schwärzer hoben

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_062.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)