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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

sein im heiligen Gebete und meine Wirthin (Hofers Frau) soll sich nicht gar so bekümmern. Ich werde bitten bei Gott für Euch Alle. – Ade du schnöde Welt! – So leicht kömmt mir das Sterben an, daß mir nicht die Augen naß werden.“

Der 20. Februar 1810 war der Tag seiner Hinrichtung. Hofer nahm das Abendmahl aus den Händen des Erzpriesters Manifesti, der ihn bis zum letzten Augenblicke nicht mehr verließ voll Bewunderung für den Heroismus dieses Märtyrers der Treue. Schlag elf Uhr traten die Führer des Executionscommando’s in sein Gefängniß, um ihn abzuholen; er hielt ein mit Blumen umwundenes Crucifix in seinen Händen. Als er an der Porta Molina bei den Casematten vorbeikam, worin viele seiner Landsleute gefangen saßen, lagen Alle auf den Knieen, laut betend und weinend; die Tyroler, welche frei herumgehen durften, warfen sich vor ihm nieder und flehten um seinen Segen. Er bat sie um Verzeihung, wenn er an ihrem Unglück schuld sei; sie möchten nur getrost und standhaft bleiben, treu dem Vaterlande.

Dem Geistlichen übergab er das Letzte, was er besaß, fünfhundert Gulden zur Vertheilung an die Unglücklichen; seine silberne Tabaksdose, einen schönen Rosenkranz und das silberne Crucifix, welches er trug, hinterließ er dem treuen Begleiter zum Andenken.

Auf einer breiten Bastion, nicht weit von der Porta Ceresa, machte das Commando Halt; die Grenadiere bildeten ein nach rückwärts geöffnetes Viereck; zwölf Mann und ein Sergeant traten vor. Der Tambour forderte Hofer auf, sich die Augen verbinden zu lassen und niederzuknieen; er wies das Tuch zurück und blieb fest und aufrecht stehen.

„Ich stehe,“ sagte er mit lauter Stimme, „vor Dem, der mich erschaffen hat und stehend will ich ihm meinen Geist wiedergeben.“

Den Sergeanten mahnte er, „gut zu schießen“, und schenkte ihm einen Tyroler Zwanziger, „der ihn noch in diesem Augenblicke an sein unglückliches Vaterland erinnere.“

Darauf rief er: „Gebt’s Feuer!“

Nicht gleich zu Tode getroffen, sank er zu Boden; erst die Kugel des Sergeanten endete das Leben des Helden.

Die Franzosen ehrten den todten Feind; die Grenadiere bedeckten ihm das Haupt mit seinem Hute und trugen ihn auf einer schwarz ausgeschlagenen Bahre in die Pfarrkirche von St. Michael, wo die Exequien gehalten und die Leiche feierlich ausgestellt wurde, damit alles Volk sich überzeugen sollte, daß der gefürchtete Sandwirth wirklich todt sei.

In dem Gärtchen seines würdigen Seelsorgers wurde er beerdigt; eine einfache Tafel mit italienischer Inschrift verkündigte: „Hier liegen die Ueberreste des Andreas Hofer, genannt General Barbone, Obercommandant der Tyroler Milizen, erschossen am 20. Februar 1810 in Mantua und hier begraben.“

Weder Kaiser Franz, noch der biedere Erzherzog Johann hatten einen Schritt gethan, um den treuesten Mann der Welt, der hundertmal sein Blut für sie vergossen, zu retten, obgleich es dem zukünftigen Schwiegervater Napoleon’s vielleicht nur ein Wort gekostet hätte, um das Todesurtheil zu hindern.

Vierzehn Jahre lag der todte Held vergessen in fremder, ungeweihter Erde. Erst im Jahre 1823 faßten drei muthige Jägerofficiere, geborene Tyroler, den Entschluß, mit Erlaubniß des Gartenbesitzers die Leiche auszugraben und nach dem Vaterlande zu bringen. Mit den theueren Ueberresten zogen sie über den Brenner und den Berg Isel, an Hofer’s Kampf- und Ehrenfeldern vorüber, bis nach Innsbruck. Ihr patriotisches Unternehmen, von dem Volke laut gerühmt und gebilligt, mahnte die Regierung endlich an ihre Pflicht. Dieselbe ordnete die feierliche Bestattung des Helden in der Hofkirche zu Innsbruck an, neben dem Grabmale des ritterlichen Max und der schönen Philippine Welserin. Sein Marmorbild, von Johann Schaller, einem vaterländischen Künstler, gefertigt, bezeichnet Hofer’s jetzige Ruhestätte. Auch für seine Familie wurde gesorgt, die Kinder in den Adelstand erhoben, auf kaiserliche Kosten erzogen und mit Gütern reichlich ausgestattet.

Im Herzen des Volkes aber lebt noch immer der treue Sandwirth von Passeier, der für seinen Kaiser so treu und muthig in den Tod gegangen.

M.




Ein Mann der Volksschule.
(Fortsetzung.)

Es mag in früherer wie in unserer Zeit gar Manche gegeben haben – besitzen wir doch selbst Schriften über diesen Gegenstand – welche vom Pfarrer verlangen, sich vom Volke in möglichster Entfernung zu halten, damit er wie ein halber Heiliger in einem sein Haupt umschwebenden Nimbus von seiner Gemeinde verehrt werde. Diese müsse ihn fast nie anders als im feierlichen Ernste, in der Amtskleidung sehen. Es bedarf keiner ausführlichen Erwähnung, daß Dinter diese Ansicht nie theilte. Er wollte von seiner Gemeinde nie als Hoherpriester Aaron angestaunt, sondern als „Vater Dinter“ geliebt werden. Wie der Arzt den Patienten kennen muß, dem er helfen soll, so besuchte Dinter, namentlich in den kürzeren Tagen, wo der Bauer oft nicht weiß, was er am Abende vor langer Weile anfangen soll, seine Bauern. Doch kam er erst, nachdem er zu Hause gegessen hatte, damit sein Besuch die Hausfrau nicht in Verlegenheit bringen, und der Bauer auf den Gedanken kommen könne, der Pfarrer wolle von ihm tractirt sein. Nur eine Tasse Kaffee, ein Glas Milch nahm er an, damit man umgekehrt nicht meine, der Pfarrer sei zu stolz, Etwas bei ihnen zu genießen. So besuchte er Reiche und Arme, den reichen Rittergutsherrn, wie den Hirten, Keiner durfte vor dem Andern einen Vorzug haben. Nur solche, die in schlechtem Rufe standen, besuchte er nie. Der Einfluß dieses steten Umgangs mit der Gemeinde, ja dieses Verwachsen mit derselben, war ungemein segensreich. Man lernte seine Sprache verstehen, und Dinter hatte Gelegenheit, Viele für das Höhere und Edlere zu gewinnen, nicht zu gedenken, daß er bei solchen Besuchen die Anschauungsweise, die Wendungen und Begriffe des Volkes, seine Vorstellungen, sowie das, was auf dasselbe den meisten Eindruck machte, und seine Vorurtheile kennen und letztere sofort berichtigen lernte. Hier konnte Manches gesagt werden, was auf die Kanzel nicht gehörte, und Manches in einem Tone, den der öffentliche Unterricht nicht verträgt.

So gewann er die Liebe seiner Leute und ward unter ihnen allmächtig. Er gewann Einfluß auf die Kinderzucht, bemerkte und verbesserte ihre Fehler, zog die Kleinen an sich, nahm sie auf den Schooß, wurden sie größer, zwischen die Kniee und gewann so ihre Herzen, noch ehe sie in die Schule kamen. Durch seine Besuche zerstörte er in den meisten Familien den Aberglauben, insbesondere den Teufelsglauben.

Als Hausfreund seiner Gemeinden hatte Dinter oft Gelegenheit, als Schiedsrichter und Versöhner bei Zwistigkeiten zugezogen zu werden, und er hatte die Freude, daß es in den zwanzig Jahren seiner Wirksamkeit als Pfarrer nie zu einer Ehescheidung gekommen ist, so nahe dieselbe auch bisweilen schien. Das hohe Ansehen, in welchem er bei den Gemeinden stand, die Liebe und Verehrung wirkten, daß sein zur rechten Zeit mit Ernst und Weisheit geredetes Wort auch eine gute Stätte fand, was vom Zorneseifer unserer Zionswächter nicht gesagt werden kann, die da nur meinen, Ehescheidungen durch Verweigerung der Trauung Geschiedener verhüten zu können.

Dinters Umgang mit den Gemeindegliedern verhütete die Processe. Möge er selbst erzählen, wie er es angefangen: „So lange mein Bruder Gerichtsverwalter war, ließ ich durchaus keinen Proceß aufkommen. Ich versöhnte entzweite Familien. Mein edler, die Jurisprudenz idealisirender Bruder Rudolph war mit mir über folgende Punkte einig: Wenn’s Spectakel gibt, so mengt sich der Pfarrer, so lange die Gemüther entbrannt sind, nicht in die Sache. Vernunft und Leidenschaft passen nicht zusammen. Sie liefen also, um ihre Feinde zu verklagen, zu meinem Bruder. Dieser sprach: „Geht heute nach Hause! Ich habe nicht Zeit zum Registriren. Kommt auf den Gerichtstag, es soll Geld genug kosten!“ Sie gingen. Inzwischen beruhigten sich die Gemüther. Der Pfarrer besuchte sie Abends und – wenn der Gerichtstag kam, war Alles wieder vergessen. Meines Bruders Nachfolger war ein reicher und guter Mann. Er konnte leben, ohne meine Bauern zu drücken, und würde sie, auch wenn er’s zu Brode gebraucht hätte, nicht gedrückt haben. Kurz nach meines Bruders Tode entstand wieder

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_126.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)