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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

mir nicht, daß Ihr Herz Theresen gehört und gehören wird. Entgegen mache auch ich Ihnen kein Hehl daraus, daß nach meiner Ueberzeugung eine ohne Zustimmung des Herzens eingegangene Ehe jederzeit zum Unheil führt; und wenn Sie das bei meiner sonstigen Anschauung – die Ihnen, wie Sie schreiben, als verständig bekannt ist – etwas befremdlich finden, werden Sie das Uebergewicht des Verstandes dennoch sogleich wieder erkennen, wenn ich Ihnen sage, daß ich, im Widerspruche mit dieser Ueberzeugung, die mir ohne Herz gebotene Hand nicht zurückweise. Ich habe drei Gründe, dies zu thun: das Andenken meiner theuersten und einzigen Freundin Therese, die Liebe zu ihrem einzigen mutterlosen Kinde und – doch den dritten Grund erlauben Sie mir bis nach der Hochzeit zurückzubehalten. – Bis nach der Hochzeit! Es ist also entschieden – ich will es mit Ihrem Wohlwollen wagen und nenne mich zum ersten Male, aber für immer – die Ihrige – Amalie.“

Der Brief war für Rudolph eine neue Beruhigung; eine Bestätigung, daß er in der verhängnißvollen Wahl nicht fehlgegriffen hatte – die ruhige Klarheit desselben machte einen günstigen Eindruck; er erinnerte sich mit Vergnügen, wie sie dieses Wesen während ihres frühern Zusammenlebens fortwährend ungetrübt und rein zu erhalten gewußt hatte, und es gab ihm Bürgschaft für die Wiederkehr eines, wenn nicht glücklichen, so doch nicht unseligen Zustandes.

Es überraschte Niemand, als sich im Städtchen die Nachricht verbreitete, Rudolph habe sich mit Amalien verlobt; wenn auch Manche den Kopf schüttelten, ging doch das allgemeine Urtheil dahin, daß es das Klügste war, was der Assessor hatte thun können. Die Hochzeit ward in der Stille gefeiert und die Trauung auf dem Landgute, wo Amalie gelebt hatte, vollzogen. Von dort führte Rudolph seine Gattin in sein Haus, in angenehm freudiger Stimmung und unter dem Jubel Anna’s, die sich vor Freude nicht zu fassen wußte, daß die geliebte Freundin wiedergekehrt war, daß sie nun für immer da bleiben sollte und daß sie nun sogar ihre Mutter geworden war. Es lag in den Verhältnissen, daß das Kind nur eine unklare Vorstellung davon hatte, was und wer eine Mutter sei; aber sie trug in dem jungen Gemüth einen so starken dunklen Drang nach der Liebe einer Mutter verschlossen, daß die bewiesene Liebe ihr Amalie längst zur Mutter gemacht hatte. Jetzt kam auch das ihr bis dahin versagte geheimnißvolle Wort hinzu und erfüllte das Kinderherz mit der reinsten Glückseligkeit.

Als Rudolph mit Amalien zum ersten Male in der wiederbetretenen Wohnung allein war, ergriff er ihre Hand und zog sie an die Brust. „Laß nun denn,“ rief er, „mit diesem ersten Kusse das Gelöbniß unseres Lebens erneuen! Möge der Himmel es hören und vor Stürmen bewahren, wie sie über uns schon dahin gegangen – der Name Therese aber sei sein Losungswort.“

„So sei es!“ erwiderte Amalie in Rudolphs Armen, den Kopf an dessen Brust gelehnt. Er blickte in ihre klaren, zu ihm emporschauenden Augen herab und schloß sie enger an sich.

„Und jetzt, nach der Hochzeit,“ sagte er lächelnd, „darf ich jetzt den dritten Grund erfahren, dem ich Dein Jawort verdanke und den Dein Brief mir verschwieg?“

Amalie antwortete nicht. Tiefer barg sie das Gesicht an die Brust des Gatten, und eine feine, tiefe Röthe flog über Wangen, Hals und Nacken.

„Nun?“ fragte er wieder und dringender. „Darf der Schleier vor diesem Geheimnisse noch nicht fallen?“

Amalie zögerte noch einen Augenblick; dann richtete sie sich auf und sah ihn mit offenen, freien Augen an. „O Ihr Blinden,“ sagte sie, „denen das Herz des Weibes ein ewiges Räthsel bleibt! – Der dritte Grund ist … weil ich Dich liebe, weil ich Dich geliebt habe, so lang ich Dich kenne, so lang ich denken kann …“

Ueberrascht blickte Rudolph auf das erröthende Weib, aber die Ueberraschung war eine freudige. Im Grunde seines Wesens trägt jeder Mensch eine Faser der Eitelkeit, und die Gewißheit, Liebe eingeflößt zu haben, ist die schönste Schmeichelei für sie. „Ist es möglich?“ rief er, „und diese Liebe hast Du in Dir verschlossen gehalten, daß auch nicht der schwächste Funken ihr Dasein verrieth?“

„O doch – ich kann mich solcher Standhaftigkeit vor mir selber nicht rühmen – aber es war gut, daß unachtsame Augen eben so wenig sehen – als blinde. Ohne die jetzt eingetretene Wendung wär’ es auch mit mir zu Grabe gegangen … Der Freundin habe ich den Geliebten geopfert; ich habe ihn dahin gegeben, um ihrem Kinde Mutter sein zu können – dem Gatten darf ich ja mein Geheimniß und mich selbst zum Opfer bringen …“

„Und es soll vergolten werden,“ erwiderte Rudolph mit weit wärmerem Kusse, als der erste gewesen war, und in seinem Herzen ging die Morgenahnung eines Gefühles auf, das er an seinem Horizonte längst für immer hinabgesunken geglaubt hatte.

Tags darauf traf ein Brief von Weindler ein, mit allerlei eingestreuten Spöttereien, aber mit entschiedner lauter Billigung des gemachten Schrittes und einem Anhängsel von jovialen, darum nicht minder herzlichen Glückwünschen. Diese erfüllten sich auch.

In Rudolphs Hause war mit Amalien, wie die Ordnung und das Gedeihen, so auch der Friede und die Heiterkeit wieder eingezogen. Er lebte und athmete wieder auf; die Schwermuth entschwand allmählich, das quälende Kopfleiden ward seltener – die Arbeiten seines Berufs, bis dahin nicht selten eine widrige, erdrückende Last, wurden ihm wieder Bedürfniß und Freude, und das Gefühl ihres Gelingens steigerte den Erfolg. Amalie blieb sich immer gleich; nie leidenschaftlich, aber immer warm, theilnehmend und anregend waltete sie wie ein freundlicher Geist in dem neu erstandenen Hause.

Am allerschönsten zeigte sich aber ihr günstiger Einfluß in der Entwicklung und Ausbildung Anna’s, die geistig und körperlich in der erwünschtesten Weise fortschritt. Sie blühte förmlich auf in dem warmen Luft- und Licht-Strom von Liebe, der das Haus durchdrang und sie umwehte. Verstand und Gemüth erschlossen sich immer bedeutender und harmonischer in ihr und ließen immer mehr die Ähnlichkeit hervortreten, die sie im ganzen Wesen mit ihrer unglücklichen Mutter hatte. Unter den hervortretenden Zügen machte sich auch ein hartnäckiger Trotz geltend, der indeß unter so kluger Leitung zu weiser Festigkeit sich zu gestalten versprach. Da die neue Ehe kinderlos blieb, trat auch kein Zwischenfall ein, welcher dabei irgendwie zu stören vermocht hätte, und Anna erhielt und verdiente die ungetheilte Aufmerksamkeit, Sorge und Liebe beider Gatten.

Mehr als zwei Jahre waren in dieser Weise ungestört und vergnügt vorübergegangen; das alte Verhältniß befestigte sich immer mehr, und mit Rudolphs Beförderung zum Rath wurde auch die äußere Stellung der Familie eine noch behaglichere. Treu wurde auch das Gelöbniß gehalten, daß das Andenken Theresens in dem Hause ein heiliges bleiben sollte; ihr Name war wirklich in gewissem Sinne dessen Losungswort, und selten verging ein Tag, an welchem nicht Rudolph und Amalie im Gespräche ihrer gedachten; keiner aber verfloß, ohne daß Amalie dem Kinde von seiner Mutter erzählte, sobald sie einmal im Stande war, das ganze Verhältniß und das Unglück zu begreifen, von dem ihre Mutter betroffen worden war. Sie hielt es für ihre Pflicht, in dem Kinde das Bild der Mutter zu erwecken und so recht lebendig zu machen, damit sie ihr wenigstens im Bilde bekannt und von ihr geliebt würde. Anna ging auch mit der ganzen ererbten Leidenschaftlichkeit ihres Wesens darauf ein, und die arme nie gesehene Mutter in ihrem bejammernswürdigen Zustande, in der schrecklichen Einsamkeit des Irrenhauses wurde bald die stete stille Sehnsucht ihrer Gedanken, der stehende dunkle Hintergrund ihrer Vorstellungen. Mit Begier hatte sie es daher auch aufgegriffen, als der Vater ihr das verwaiste Piano der Mutter übergab, und ihre Fortschritte auf demselben gehörten wirklich in’s Gebiet des Unglaublichen.


(Fortsetzung folgt.)



Goethe und die Brüder von Humboldt bei Schiller.

In der geistigen Entwicklung des Menschheitslebens hat Thüringen von alter Zeit her eine wichtige Rolle gespielt, und eine wunderbare Gegenseitigkeit der Dichtkunst, vorzüglich der lyrischen, mit dem Ringen nach freierer Gestaltung der Form des Lebens in seinen beiden Hauptausläufen, dem politischen und dem religiösen, strahlt von dem Herzen Deutschlands aus in die übrige Welt, und von dieser zum Herzen zurück. Am Hofe des kunstsinnigen Landgrafen Herrmann I. auf der Wartburg war es, wo die größten Meister

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_228.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)