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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

wo ich mit wenig ganz gewöhnlichem Glücke selbst hätte tanzen können; dazu Tambour zu werden und so weiter.“

„Und zuletzt wäre das gar so schlimm nicht – ich habe in diesen vier Wochen mancherlei gesehen und gelernt.“ Als Reichardt überrascht aussah, blickte er in ein Auge, das ihm ermuthigend zulächelte und doch den Ueberrest einer herben Empfindung nicht ganz unterdrücken zu können schien. „Vielleicht ist aber das noch nicht einmal nothwendig,“ fuhr sie fort und legte ihre Hand leicht auf seinen Arm. „Ich habe etwas Anderes, das weniger Anstoß bei Dir finden wird.“

„Für mich?“ fragte er lebhaft, den Kopf hebend.

„Für uns Beide – erst aber zwei Worte voraus, damit Du mich verstehst. Ich bin manchen Weg gegangen, seit wir hier im Hause sind, um eine Existenz für mich zu schaffen, ich hatte Tag für Tag Enttäuschungen zu ertragen und mochte doch Deinem sorgenvollen Gesichte gegenüber es zu keiner Erklärung kommen lassen, die uns Beide nur vorzeitig entmuthigt hätte. Ich hatte zuerst an die Stelle irgend einer Lehrerin gedacht – aber was ist bei den Deutschen hier eine Person ohne Empfehlung und ohne jedes Zeugniß? Der Zudrang der Einwanderung mag Vorsicht nöthig machen, ich begriff das, und doch war es mir immer, als müßte ich als Ausnahme gelten, und erst nach manchem vergeblichen Versuche und mancher Demüthigung begann ich die Nutzlosigkeit meiner Bemühungen einzusehen. Da erzählte mir die Wirthin von einer Bekannten, die arm hierher gekommen, jetzt aber ein brillantes Geschäft habe und mich vielleicht gern beschäftige, wenn ich einiges Geschick habe. Ich ging hin – es war eine Kleidermacherin. Da saßen eine Reihe junger Mädchen, bleich eine wie die andere, Stich für Stich sich ihr kärgliches Brod verdienend, und ich wußte, daß ich wohl den Muth haben konnte zu sterben, aber nicht ein solches Leben zu verbringen. An demselben Abende aber erhielt ich ein anderes Anerbieten. In der Bowery ist ein amerikanisches Concertlocal; wahrscheinlich hat irgend Jemand, der damit in Verbindung steht, mich singen hören – ich weiß nur, daß nur die Wirthin einen deutsch sprechenden Mann vorstellte, der mir zehn Dollars die Woche offerirte, wenn ich wöchentlich an drei bestimmten Abenden in dem Locale meine Lieder vortragen wolle. Am nächsten Abend ging ich mit der Wirthin, um mich von den Verhältnissen zu unterrichten. Es war ein sonderbarer Styl von Musik, mit welchem die Amerikaner tractirt wurden, aber das Publicum war trotz seiner heitern Ausbrüche anständig, und ich konnte mir recht gut den Effect vergegenwärtigen, den eine deutsche Composition hier machen mußte. Ich forderte eine Frist zur Ueberlegung, zugleich aber für jeden Fall auch Dein Engagement, das für die Pianobegleitung unumgänglich nothwendig werde. Es wurde mir zugesagt, und das Interesse für Dich schien sich noch zu vermehren, als ich von Deiner Fertigkeit auf der Violine sprach. Jetzt entsteht also nur die Frage, ob Du bereit bist, auf eine derartige Beschäftigung einzugehen.“

Reichardt hatte mit steigender Spannung den Bericht des Mädchens angehört. „Und Du willst wirklich in einem dieser Bowery-Locale öffentlich singen, Mathilde?“ fragte er, als könne er noch kaum die Möglichkeit eines solchen Schrittes glauben.

In des Mädchens Gesicht stieg, sichtlich durch den Ton seiner Frage hervorgerufen, ein helles Roth. „Ich werde es nicht thun, wenn Du für Dich ein passenderes Unterkommen weißt,“ erwiderte sie; „für mich gäbe es wohl noch einen andern annehmbareren Vorschlag, der aber Deine Mitwirkung ausschließt und für mich deshalb ganz außer Frage lag. Im Uebrigen aber denke ich, daß die Kunst jeden Ort, an dem sie ausgeübt werden mag, veredelt, und es lag ein großer Reiz für mich in dem Gedanken, diese Menschen, die noch kaum andere Klänge als Negerlieder und dergleichen gehört zu haben scheinen, aufzuwecken. Sage mir nur jetzt, wenn Du nicht durch die Straßen trommeln willst, was Du zu thun gedenkst, und meine ersten Bedenklichkeiten, die ich hatte, werden sich wohl auch wieder finden.“

Reichardt sprang von seinem Stuhle auf und durchmaß einige Male rasch das Zimmer. „Mein Interesse also ist es,“ sagte er endlich, vor dem Mädchen stehen bleibend und ihre beiden Hände fassend, „das Deinen Entschluß bestimmt hat?“

„Und wenn es sich so verhielte, wäre denn etwas Außerordentliches dabei?“ erwiderte sie, mit einem Blicke zu ihm aufsehend, der ihm warm bis in’s Herz drang. „Hattest Du es denn nicht als Bedingung unserer Geschwisterschaft gesetzt: getheiltes Glück und getheiltes Leid?“

Er sah einige Secunden lang in ihre Augen, die sich voll seinem Blicke hinzugeben schienen, und nahm dann seinen Gang durch das Zimmer wieder auf.

„Und wann soll das Engagement seinen Anfang nehmen?“ fragte er, wie noch immer nicht mit sich einig.

„Morgen Abend schon, Bruder Max; ich habe eben Alles bis zum letzten Termine verschoben, um unserm Schicksale in keiner Weise vorzugreifen,“ erwiderte sie, den Kopf nach dem Wandernden drehend. „Uebrigens will ich Dir, wenn es Dich beruhigen kann, mittheilen, daß ich, nicht unter eigenem Namen, sondern als eine irgend beliebige unbekannte Größe auftreten werde, deren Namen und Qualitäten bis zum morgenden Zetteldruck noch Geheimniß der Concert-Unternehmer sind.“

Reichardt schüttelte den Kopf und blieb wieder stehen. „Ich soll Dich nicht fragen: wer warst Du, und was trieb Dich hierher? Mathilde,“ sagte er, „aber ich darf wohl fragen: wohinaus soll es gehen, wenn Du einmal einen Weg wie den beabsichtigten eingeschlagen hast?“

Sie bog das lächelnde Gesicht über die Lehne des Stuhls nach ihm. „Weißt Du nicht, was der Kupferschmied auf dem Schiffe sagte: immer laufen lassen, was sich nicht halten läßt? Aber,“ fuhr sie fort, sich langsam erhebend und auf ihren Gesellschafter zutretend, „willst Du uns Beiden einen tröstlicheren Weg zeigen – ich folge, wenn er auch vorläufig nur zur Bezahlung des Kostgeldes führt! Hier ist indessen die große Aufgabe, die wir zu erfüllen haben; was darüber hinausliegt, darf uns im Augenblick nicht einmal kümmern!“

Reichardt sah vor sich nieder. „Nur ein Funken ganz ordinäres Glück, und es hätte nicht dahin kommen dürfen,“ sagte er unmuthig; „los denn, in Gottes Namen! Wann werde ich gebraucht?“

„Morgen früh zum Einstudiren, damit wir wenigstens unsere eigene Genugthuung am Abend haben!“

Er nickte und hob dann den Kopf. „Es ist ein Anfang, wie ich ihn mir nicht habe träumen lassen, aber es ist doch ein Anfang, und – hier ist die Bruderhand, Mathilde!“ sagte er, dem Mädchen, das ihm mit dem klaren Lächeln eines frischen Entschlusses in die Augen blickte, die Rechte entgegenstreckend.

Fortsetzung folgt.)


Gaeta. Obwohl das Felsennest, „der letzte Hord des Königthums“, wie unbegreiflicher Weise einige officielle Blätter die Festung zu nennen beliebten, augenblicklich keine Rolle mehr in der Weltgeschichte spielt, so dürfte eine getreue Abbildung derselben doch noch bei den meisten unserer Leser Interesse erregen. Der in Neapel lebende Künstler hat dieselbe noch während der Belagerung aufgenommen; die Aufzeichnung auf Holz, der Schnitt und die dreiwöchentliche Arbeit, welche zur Herstellung einer Nummer nöthig, nahmen die übrige Zeit in Anspruch. Wir hoffen diese Abbildung noch durch weitere Illustrationen aus dem Innern der zerstörten Festung zu ergänzen und mit diesen zugleich dann eine authentische Schilderung der letzten Vorgänge aus der Feder eines dort lebenden Deutschen zu bringen. –




Berichtigung. Dänische Blätter haben mir die außerordentliche Ehre zu Theil werden lassen, den Artikel „Clara Erichs“ in Nr. 4. der Gartenlaube eine schändliche Lüge zu nennen. Den Beweis habe ich ihnen leider selbst erleichtert, indem ich irrthümlicher Weise die holsteinsche Stadt S. als den Ort angegeben, wo der Bräutigam der Frl. Erichs durch dänische Soldaten getödtet worden. „Die Familie Erichs wohnte im Herzogthum Schleswig und nicht in Holstein.“ Es ist dies eine Verwechslung, woraus aber keineswegs die Unwahrheit des Artikels hervor geht. Erklärlich ist es, daß die Herren Dänen gern die von ihnen zu damaliger Zeit in den Herzogthümern verübten Gräuelthaten zu Lügen machen möchten; indeß wahr bleibt wahr, und so bleibt denn auch das Erzählte stehen. Den vorgekommenen Irrthum werden die geehrten Leser freundlichst entschuldigen.

H. Seeger. 


Kleiner Briefkasten.

P. E. in Berlin. Allerdings belegen einige preußische Steuerbehörden nicht alle – auch die Monatsausgabe unserer Zeitschrift mit einer Steuer, doch hoffen wir nunmehr eine baldige Abänderung dieser Maßregel. Mit demselben Rechte würde die preußische Behörde auch die ältern gebundenen Jahrgänge besteuern können.

M. O. H. in M. Wir haben für Ihre Einsendung „Ein Beispiel deutscher Gastfreundschaft“ keine Verwendung. Lassen Sie uns gefälligst wissen, was mit dem Manuscripte werden soll.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_176.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)