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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

dem schönen Greise so wohl standen. Nach ungefähr zehn Minuten trennten sie sich.

„Also bis morgen, draußen,“ glaubte ich den Amerikaner noch sagen zu hören.

Holberg kehrte zu mir in die Laube zurück. Aber so wie er von dem Anderen sich abgewendet hatte, sah ich sein Gesicht blässer werden, die Züge erschlaffen, den Körper in einander sinken. In der Laube mußte er sich niedersetzen.

„Holberg, was hast Du mit dem Menschen gehabt?“

„Nichts, nichts.“

„Wir sind Freunde. Du mußt es mir sagen. Der gemeine Mensch wird Dein Dämon, der Dich vernichtet; er ist es schon.“

Er fuhr zusammen. „Was sagst Du da? Ja, ja, Du hast Recht.“

„So hast Du die Pflicht, Dich mir zu entdecken. Ich beschwöre Dich darum. Du mußt gerettet werden.“

„Kann ich es? Kann ich es?“

„Dich mir nicht entdecken? Oder nicht gerettet werden?“

„Beides nicht.“

Ich mußte ihm näher treten. „Er will morgen zu Dir kommen? “

„Ja.“

„Hinaus nach Holbergen?“

„Ja.“

Holbergen war ein reizendes Landgut, das mein Freund ungefähr zwei Meilen von der Stadt sich angelegt hatte. Seine Familie hielt sich im Sommer dort auf. Er kam oft, des Sonntags regelmäßig, hinüber.

„Deine Familie ist dort?“

„Ja.“

Seine Tochter fiel mir ein; allerdings lag der Gedanke an sie nahe genug. „Auch Deine Tochter ist draußen?“

„Mein Kind, mein Kind!“ rief er auf einmal im tiefsten Schmerze.

Die Tochter war sein Liebling; er nannte sie die Perle unter seinen Kindern.

„Holberg, Freund,“ sagte ich, „Dir steht wirklich ein Unglück bevor, ein schweres Unglück, Dir und Deinem Kinde. Darfst Du, kannst Du es mir nicht entdecken? Kann Dein treuester Freund nicht mit Dir berathen, wie es abzuwenden ist? “

Er starrte mich an; er stand wie abwesend. Zu einem Entschlusse konnte er auch jetzt nicht gelangen.

„Morgen,“ sagte er nach einer Weile. „Nein, nicht morgen, übermorgen. Ich muß vorher noch einmal Alles überdenken, nachsehen, ordnen. Uebermorgen komme ich zurück. Lebe wohl.“

Er ging; ruhiger und gefaßter, als ich nach dem letzten Sturme in seinem Innern erwartet hatte. Was ihn so niederdrückte, was ihn so aufregte, ich sann vergebens darüber nach. Nur Eins schien mir klarer zu sein: es lagen hier alte Beziehungen zwischen ihm und dem Amerikaner zum Grunde. Aber welche und von welcher Art, das war mir wieder unklar genug. Schien dagegen nicht noch Eins wieder klar genug zu sein, daß der Amerikaner ihm für alte Verbindlichkeiten sein Kind abkaufen wollte? Ich mußte, um Licht zu bekommen und vielleicht Hülfe bringen zu können, bis zum zweiten Tage, zum Montage, warten. Licht, ein entsetzliches Licht, sollte ich schon früher erhalten.

Am nächsten Abend, Sonntags, es war schon beinahe Nacht, brachte der Polizeidirector der Stadt einen Fremden zu mir. Er stellte ihn mir als einen englischen Polizeibeamten vor, der in einer dringenden Angelegenheit an ihn gewiesen sei, den er aber gleich zu mir führe, weil hier neben dem polizeilichen Einschreiten ebenso wesentlich sofort ein richterliches Verhandeln Noth thue.

Der englische Beamte theilte Folgendes mit: Von New-York war vor ungefähr einem halben Jahre ein Schiff mit Passagieren nach England abgegangen. Unter den Passagieren hatte sich ein Master Frank aus New-York befunden, ein Mann von ungefähr fünfunddreißig Jahren, dem Anscheine nach wohlhabend, nach seinen Gesprächen auf einer Reise nach Deutschland begriffen, woher seine nach Amerika ausgewanderten Eltern stammen. Er war mit dem Schiffe in Liverpool angekommen. Vier Wochen später war er auch, oder vielmehr ein Mann, der in seinem Alter gewesen und seinen Namen geführt, in einem Londoner Handlungshause erschienen, hatte dort New-Yorker, auf seinen Namen Frank lautende Wechsel vorgezeigt und deren nicht unbedeutenden Betrag gegen Quittung erhoben. Er war dabei zugleich im Besitze von völlig unverdächtigen Legitimationspapieren gewesen. Man hatte seitdem nichts weiter von ihm gehört. Der Zufall hatte es aber gewollt, daß vier Monate später, vor ungefähr drei Wochen, derselbe New-Yorker Kaufmann, der jene Wechsel auf den Londoner Bankier ausgestellt, diesen besuchte. Bei der Gelegenheit kam das Gespräch auf die Wechsel und auf Mr. Frank. Der Londoner beschrieb sein Aeußeres, der New-Yorker wollte es nicht zutreffend finden. Die Wechsel mit den Quittungen Frank’s wurden herbeigeholt. „Das hat Frank nicht, das hat ein Anderer geschrieben!“ rief der New-Yorker. Die Sache war von Wichtigkeit; ein Verbrechen schien jedenfalls vorzuliegen; der einmal angeregte Verdacht mußte weiter verfolgt werden. Es wurde der Polizei Anzeige gemacht, diese forschte nach, und es ergab sich zuerst, daß vor ungefähr fünf bis sechs Monaten im Hafen von Liverpool die Leiche eines fremden, völlig unbekannten Mannes von ungefähr fünfunddreißig Jahren aufgefunden war. Der Verstorbene war mit einem Taschentuche, das man noch fest zusammengezogen um seinen Hals fand, erdrosselt gewesen. Papiere oder Werthsachen fand man nicht bei der Leiche, auch sonst nichts, das über ihn hätte Auskunft geben können; nur trug seine Leibwäsche den Buchstaben F. Alle Nachforschungen nach ihm und dem Verbrechen, das an ihm verübt sein mußte, waren damals fruchtlos geblieben. Jetzt aber wurde ferner Folgendes festgestellt: Die Leiche war ungefähr acht Tage nach der Ankunft des nämlichen Schiffes entdeckt, auf welchem sich der Mr. Frank befunden hatte. Auf dem Schiffe hatte ein anderer junger Mann, in dem nämlichen Alter wie Frank, die Ueberfahrt gemacht, ein Deutscher, Namens Johansen, der sich mehrere Jahre in Amerika aufgehalten hatte, wahrscheinlich als Mitglied einer herumziehenden Gaukler- oder Seiltänzerbande. Auf dem Schiffe hatte er wenigstens die Gesellschaft vielfach durch Kunststücke solcher Leute zu unterhalten gewußt. Er war deshalb auch gern gesehen gewesen, und besonders hatte Mr. Frank sich an ihn angeschlossen. Beide waren in Liverpool zusammen an’s Land gestiegen. Von da an hatte man nichts wieder von ihnen gesehen und gehört, bis, nachdem ein Mr. Frank die Wechsel in London präsentirt, der New-Yorker Kaufmann jetzt die Zweifel an der Echtheit dieses Mr. Frank angeregt hatte. Der Verdacht wollte sich geltend machen, daß Frank ermordet und daß jener Johansen der Mörder sei, der den Ermordeten seiner Papiere und Sachen beraubt und seinen Namen angenommen habe. Der Verdacht wurde durch einen andern Umstand bestätigt. Bei weiteren Nachforschungen wiesen nämlich die Schiffsregister nach, daß am zweiten Tage nach der Eincassirung der Wechsel ein Mr. Jones von Dover nach Calais gefahren sei. Wenn nun auch der Name Jones in England ein sehr gewöhnlicher war, so mußte dennoch andererseits beachtet werden, daß der Vater des Mr. Frank in Amerika lange Zeit den Namen Jones geführt und auch unter dieser Firma Handelsgeschäfte dort betrieben hatte. Jedenfalls waren weitere Verfolgungen der so aufgefundenen Spuren geboten. Man unterzog sich ihnen und, Dank der strengen französischen Fremdencontrole, man fand, daß ein Amerikaner, Namens Jones, gerade zu der Zeit, um die es sich handelte, in Calais angekommen, sich einige Zeit in Paris aufgehalten und dann nach Deutschland weiter gereist war.

Als Ziel seiner Reise hatte er die Handelsstadt angegeben, in der wir uns befanden. Der englische Beamte war ihm sofort nachgereist. Er war vor einer Stunde angekommen, von dem Polizeidirector hatte er erfahren, daß der Gesuchte hier sei.

Was jetzt weiter zu thun und in welcher Weise zunächst zu verfahren sei, mußte ich mich fragen. Aber andere Gedanken hatten zu allernächst mich ergriffen, fast überwältigt.

Ein Mr. Frank war in New-York der Compagnon Holberg’s gewesen, freilich unter einem anderen Namen, unter der Firma Schüler und Compagnie. Ihm hatte Holberg sein Glück zu verdanken gehabt; durch ihn hatte er dann freilich, als er schon nach Europa zurückgekehrt war, einen bedeutenden Theil seines Vermögens wieder verloren. Und erst da hatte er den wahren Namen Frank seines früheren Compagnons erfahren, und daß dieser ein großer Schurke war, den seine Betrügereien genöthigt hatten, aus Europa nach Amerika zu flüchten und dort eben so oft Aufenthalt wie Namen zu wechseln. Er war vor einigen Jahren, wie es hieß, in Armuth gestorben. Er hatte einen Sohn hinterlassen, der jetzt in dem Alter von etwa fünfunddreißig Jahren stehen konnte,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 563. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_563.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2022)