Seite:Die Gartenlaube (1861) 611.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

der Bücher meines Mannes. Nachdem Frank, sein früherer Compagnon, die Gesellschaftsverträge aufgelöst und seinen Antheil herausbezahlt erhalten hatte, fiel meinem Manne seine Unvorsichtigkeit bei Ertheilung des unrichtigen Abschlusses über das Geschäft in Deutschland schwer auf das Herz. Er forderte ihn von Frank zurück. Dieser antwortete nicht. Mein Mann reiste selbst nach Amerika; die Sache war ihm wichtig genug; seine Ehre stand auf dem Spiele. Frank verhöhnte ihn, und erst jetzt lernte mein Mann den Betrüger kennen, der sich lange vor ihm zu verbergen gewußt, weil er zugleich mit dem geachteten Namen meines Mannes speculirt hatte. Er drohete meinem Manne, wenn er ihn noch ferner belästige, ihn als Betrüger verhaften zu lassen, auf Grund jenes falschen Abschlusses, der nur zu betrügerischen Geschäften habe gemacht werden können. Dagegen war mein Mann nun zwar gesichert durch den Brief, in welchem Frank ihn um den Abschluß gebeten hatte. Aber wie groß war sein Schreck, als er von dem Betrüger in seinen Gasthof zurückkehrte und den Brief nicht mehr vorfand! Er hatte ihn nach Amerika mitgenommen, um ihn, wenn Frank es verlange, gegen den Abschluß auszutauschen. Während er bei Frank gewesen, war ihm der Brief mit anderen Papieren aus seinem Zimmer entwendet worden. Der Dieb war durch Nachschlüssel in das Zimmer gelangt. Man hatte zu der Zeit einen verdächtigen jungen Menschen am und im Hause umherschleichen sehen. Frank’s Sohn war in dem gleichen Alter. Mein Mann sah jetzt klar, in welchen Händen er sich befand. Er reiste nach Deutschland zurück. Er hatte nur Einen Gedanken, wie er sich vor dem Verdachte des doppelten Betrugs gegen die Gläubiger Frank’s und gegen diesen selbst schützen könne. In seiner Angst – Sie waren damals noch nicht hier, einen anderen Freund, dem er sich anvertrauen mochte, hatte er nicht – so kam er in seiner und meiner Angst auf den unglücklichen Gedanken, falsche Eintragungen in seine Bücher zu machen. Es hat nachher schwer genug auf ihm gelastet, auf ihm und auf mir, so schwer, daß wir selbst Ihnen uns nicht anvertrauen konnten. – Sie sehen jetzt zugleich das Räthsel gelöst, wie jener Brief in die Hände Franks zurückgekommen ist.

Und mit jenen betrügerischen Ansprüchen unser halbes Vermögen und noch mehr, zuletzt unser Kind fordernd, kam, wie wir meinten, der Sohn des Betrügers hierher, selbst ein gemeiner, frecher Betrüger, wie wir jetzt erfahren, ein gemeiner Mörder, sondirte wochenlang Boden, Personen, Zustände, Verhältnisse, verbarg sich halb und gab sich halb zu erkennen, ließ drohende Winke fallen und schmeichelte wieder, zeigte uns täglich das tödtente, selbst die Ehre vernichtende Schwert über unseren Häuptern, wälzte centnerschwere Last auf uns, nahm meinem Manne seine Kraft und seinen Muth, um dann auf einmal mit einem letzten, gewaltsamen Schlage uns ganz zu vernichten, für sich Alles zu gewinnen. Gestern führte er den Schlag aus.

O mein Freund, ich hatte Ihnen nicht Alles gesagt. Ich konnte es unter dem fürchterlichen Drucke, in der entsetzlichen Angst nicht. Mein Mann hatte mich nicht in jener Ungewißheit zurückgelassen. Er theilte mir seine Unterredung mit dem Amerikaner mit; lassen Sie mich ihn noch so nennen. Mit dem kältesten, frechsten Hohne hatte der Mensch ihn geradezu einen Betrüger, einen doppelten Betrüger, genannt, und von ihm die Herausgabe des seinem Vater und dessen Gläubigern geraubten Vermögens gefordert.

Mein Mann, nachdem er sich von dem ersten Schreck erholt, hatte ihm die Thür gewiesen. Der Amerikaner hatte gelacht.

„Pah, Sir, Sie haben in Amerika profitirt und nicht profitirt. Man streitet den Leuten ab, was man ihnen schuldig ist; aber man wirft sie erst zur Thür hinaus, wenn man ihnen bezahlt hat, was man ihnen nicht abstreiten kann. Und bezahlen müssen Sie, denn ich habe Beweise und Sie haben keine. Der Brief von meinem Vater ist Ihnen gestohlen, sagen Sie, und Sie werden vielleicht gar behaupten wollen, ich sei der Dieb –“

„Du Elender bist es,“ rief mein Mann.

„Haben Sie Beweise, Sir?“

„Frecher Schurke –“

„Sir, durch Schimpfen rettet man sich nicht. Auch hier nicht. Man hat hier vortreffliche Gerichte, und ich sage Ihnen, Ihre Million gehört mir und das Zuchthaus gehört Ihnen. Indeß, Sir, das Zuchthaus will ich Ihnen abkaufen. Sie haben eine liebenswürdige Tochter.“

„Unverschämter Bösewicht!“

„Und ich liebe sie –“

„Kein Wort weiter!“

„Und, Sir – ereifern Sie sich nicht, ich kann von hier geradeweges zu den Gerichten gehen – und, Sir, ich bitte Sie hiermit um die Hand Ihrer Tochter –“

Mein Mann hatte die Thür geöffnet.

„Hm. Sir, ich gehe. Ich sehe, Sie sind hier auf Ihrem Schlosse nur halber Geschäftsmann. In Ihrem Comptoir in der Stadt werden Sie traitabler sein. Morgen Mittag um zwölf Uhr werde ich dort bei Ihnen sein, um Ihr väterliches Jawort zu holen und unser ganzes Geschäft abzuwickeln. Sie haben dann die Wahl, ob Sie schon die morgende Nacht als Betrüger im Kerker zubringen wollen –“

Mit der Drohung ging er. Unter ihrer Last, unter der furchtbaren Last des ganzen Gesprächs fand ich meinen Mann. Er theilte es mir mit. Die Mittheilung konnte ihn nicht erleichtern. Sie rief nur neuen Schrecken, neuen Zorn und eine lockende Wuth in ihm hervor. So mußte er in’s Freie. Ich konnte ihn nicht halten. Daß er mit dem Menschen zusammentreffen könne, meine Seele hatte keine Ahnung davon. Und dürfen wir zweifeln, daß er mit ihm zusammengetroffen sei? Dürfen wir zweifeln an dem fürchterlichen Unglück, an dem Verbrechen? Und das Glück, das rettende Glück stand so nahe bei ihm. Zwei. zwei armselige Stunden später! Und jetzt die Ewigkeit des Verderbens! des Verbrechens! O großer Gott im Himmel, warum mußte es so kommen?“

Ich hatte wohl eine Antwort auf die Frage. Aber wäre sie eine tröstende für die arme Frau gewesen? Und ich, hatte gar keinen Trost, keine Hoffnung mehr für sie. Mit jener kochenden Wuth in der Brust war ihr Mann in die Nacht, in den Park gegangen. Er war mit dem Amerikaner, den der Seiltänzer aufgehalten, zusammengetroffen. Der cynische Mensch hatte ihn mit neuem, rohem Hohn behandelt. Ha, Sir, Sie haben sich besonnen! Jetzt schon? Sie kommen mir nach. Sie wollen mir die Hand Ihrer Tochter geben, selber anbieten. Es ist liebenswürdig, es ist verständig von Ihnen! – Da war die auf den Tod kochende Wuth des braven Mannes, des Edelmannes, des an seinem Vermögen, an seiner Ehre, an seinem Herzen, an der Liebe zu der Perle seiner Kinder verletzten und vernichteten Mannes zur vollen, wild lodernden Gluth emporgeschlagen. Er hatte den Elenden gepackt – er war ein fester, kräftiger Greis – er hatte ihn geschüttelt, er hatte ihn die Brücke hinunter in den Strom geworfen.

Meine Phantasie schuf mir das Bild. Aber konnte ich zweifeln, daß ich die klare, nackte, schreckliche Wirklichkeit sah? Was nun weiter? Die entsetzliche Frage trat wieder an mich heran. Ich sollte diesmal eine Antwort nicht suchen müssen. Ein Wagen fuhr auf den Hof des Schlosses. Wir eilten ahnungsvoll an das Fenster. Holberg stieg aus dem Wagen, langsam, mit bleichem Gesichte. Die Frau sprang von den, Fenster zurück. Sie wollte aus dem Zimmer stürzen, dem Gatten entgegen. Mitten im Zimmer brach sie zusammen.

„Allmächtiger Gott!“ schrie sie auf, aus einer Brust, die die Angst zu erdrücken drohte.

Ich mußte sie zu dem Sopha führen. Da wurde es unten, draußen laut. Heller Jubelruf ertönte. Es waren die hellen Stimmen der Kinder. Das Geräusch des Wagens hatte auch sie an das Fenster gezogen. Sie hatten den Vater erkannt, den vermißten, unter Sorgen und Angst die ganze Nacht gesuchten Vater, um den die Todesangst der Mutter das Herz zugeschnürt hatte, um den kein Schlaf in ihre Augen gekommen, um den die liebenden Kinderherzen so sorgen- und angstvoll sich gebangt halten. Er war wieder da.

„Der Vater, der Vater!“ riefen, jauchzten und jubelten sie. „Der Vater ist wieder da!“

Kein Befehl der Mutter, der sie in ihre Stuben gebannt hatte, hielt sie mehr. Sie stürzten in die Corridors, die Treppen hinunter, aus dem Hause, auf den Hof, zu dem Wagen, zu dem Vater.

„Vater! Vater! Du bist wieder da, Vater!“ Sie umfaßten seine Hände, sie hielten sich an seinem Rock, an seinen Armen.

„Zur Mutter!“ riefen sie. „Wie wird die Mutter sich freuen!“ Sein bleiches Gesicht, seine entstellten Züge hatten sie nicht

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_611.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)