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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

in größeren Kreisen bekannt. Eine Reise in die Heimath trug nicht wenig dazu bei, seine Liebe für dieselbe tiefer und inniger zu machen, ihn zu neuem dichterischen Schaffen zu begeistern.

Doch ein schwarzer Schatten sollte bald seinen heitern Lebenshimmel verdüstern. Mit den damaligen Regierungsansichten stand der Geist, den seine Lieder athmeten, ebenso wenig im Einklange als der Freimuth, mit dem er sich über alle Verhältnisse aussprach, und so wurde er im Jahre 1847 nach Nowopetrowsk, einer Festung im Orenburg’schen Gouvernement, verbannt. Zehn Jahre lebte er dort, fern von Allem, was ihm theuer, auf sich beschränkt, von elenden, verwerflichen Menschen umgeben und überwacht. – Was Wunder, wenn nach seiner Rückkehr nach St. Petersburg der angegriffene Körper dem frohen Aufschwunge und Schaffen des Geistes nicht zu folgen vermochte, wenn körperliche Leiden sich einstellten, denen er schon im Februar 1861 unterlag.

Von den vielen an seinem Grabe gehaltenen Reden drücken die Worte des Dichters Kulisch am besten aus, was er seinem Volke gewesen. Sie lauten: „Es giebt Niemanden unter uns, der am Grabe Schewtschenko’s ein vaterländisches ukrainisches Wort zu sprechen würdig wäre, denn nur ihm hat sich die ganze Kraft und Schönheit dieser Sprache offenbart. Doch danken wir ihm das Recht, dieselbe in diesem weiten Reiche (Rußland) hören zu lassen … Schewtschenko’s Hauptverdienst besteht darin, nicht daß er uns gelehrt hat, wie wir verderbenbringend Städte und Dörfer erobern, sondern daß er uns das lebenbringende Wort der Wahrheit verkündet hat.“

Die irdischen Ueberreste Schewtschenko’s wurden von St. Petersburg in die Ukraine gebracht, um im heimathlichen Boden zu ruhen. Die Theilnahme, die auf diesem Wege sich für den vom Volke hochverehrten Dichter kund gab, dürfte einzig dastehen. –

Tiefes, inniges Gefühl, vollendete Form und wohltönende Sprache zeichnen Schewtschenko’s Poesien aus. Seine Lieder spiegeln alle die Gefühle wieder, die seine Brust bewegten, seine reine Freude an der schönen Natur, seinen tiefen Schmerz über das, was das Leben ihm versagte, seine Hoffnungen, mit denen er vertrauensvoll in die Zukunft blickte, besonders aber seine Liebe für seine Heimath und seine ukrainischen Brüder. –

Ein Theil von seinen Gedichten erschien 1840 unter dem Titel „Kobzar“ d. i. Sänger, der seine Lieder mit der Kobza, einem ukrainischen Instrumente, begleitet.




Schweizer Alpen-Bilder.
Nr. 4. Die Pässe und Säumerpfade der Schweizeralpen.
(Schluß.)

Die Pässe, welche vom Bernerlande in’s Wallis führen, darunter besonders die Gemmi, sind jährlich von Tausenden fremder Vergnügungsreisenden besucht. Hier werden besonders die Damen auf Saumrossen über die Höhen befördert. Im Allgemeinen sind Unglücksfälle nicht eben häufig und kämen wohl selten oder nie vor, wenn die Reiterin gegen die dämonische Gewalt des Schwindels hinlänglich gewappnet ist. Die Saumthiere haben aber die Eigenthümlichkeit, stets auf dem äußersten Rande des Weges sich zu halten, wenn dieses an einer Felswand hinläuft; die klugen Thiere wissen nämlich gar wohl, daß, wenn sie mit dem ihnen von der Seite herabhängenden Gepäcke auf der innern Seite anstoßen würden, dieses sie aus dem Gleichgewichte bringen und in den Abgrund stürzen müßte. Da ist’s denn für Ungewohnte freilich eine tüchtige Aufgabe, ohne Zittern in die schaurige Tiefe niederzuschauen, in welche der leiseste falsche Tritt des Thieres Roß und Reiterin schleudern kann. Ein recht trauriger Fall dieser Art ereignete sich letzten Sommer eben auf der Gemmi. Eine junge französische Gräfin, von blühender Schönheit, war im Begriffe, auf einem Saumrosse die Reise nach dem Leuker Bade zu machen. Sie war nebst den Führern noch von einem alten Diener begleitet, der an den gefährlichsten Stellen sorglich auf der Seite des Abgrundes neben dem Saumthiere herging. Seine schöne Herrin, selbst um den guten Alten besorgt, befahl ihm wiederholt, sich nicht so auszusetzen und hinter dem Pferde herzugehen. Kaum hatte der Diener diesem Befehle nachgegeben, als ein Schrei des Entsetzens die Reisegesellschaft erstarren macht: – die reizende junge Dame war, von dem unheimlichen Geiste des Schwindels gepackt, von ihrem Thiere herab und über die hohe Felswand hinuntergestürzt. Ihr Leichnam wurde nur in zerschmettertem Zustande wieder aufgefunden.

Die Alpenpässe der Centralschweiz und des Westens bieten des Schönen und Ueberraschenden weit mehr dar, als der Südosten. Als der König aller dieser Pässe wird wohl nicht mit Unrecht der große St. Bernhard mit seinem weltberühmten Hospiz betrachtet. Ebenso besucht ist der Grimselpaß, dessen Hospizgebäude bekanntlich vor wenigen Jahren aus Gewinnsucht von dem damaligen Pächter eingeäschert wurde. Das Gebäude ist jedoch von der Landschaft Hasle schöner und bequemer wieder hergestellt worden. Auch hier werden, wie auf dem Gotthard, Bernhard und Simplon, die Reisenden unentgeltlich beherbergt. Auf der Gemmi existirt ein ziemlich armseliges Wirthshaus. Dem deutschen Dichter Werner ist es eingefallen, dasselbe durch eine Schauerkomödie berühmt zu machen.

Die Bernerpässe nach dem Wallis erschließen imponirende Anblicke auf die umliegenden riesigen Gebirgs- und Gletscherformationen. Gegen den Süden zu sind die Niedergänge schwindelnd steil, wie z. B derjenige von der Grimsel die Meyenwand hinab bis zum gewaltigen Rhonegletscher; alle überbietet aber an Abenteuerlichkeit eine Strecke des Gemmipasses. Der Saumweg ist hier in die beinahe senkrecht abfallende 2000 Fuß hohe Balmwand gesprengt und windet sich, wie die Ringel einer Boa Constrictor übereinander geschichtet, aufwärts oder zu Thale. Der Pfad wurde durch eine tiefe klaffende Spalte des Gebirges durchgezwängt, in welcher jedes lautgesprochene Wort in zehnfachem Echo wiederhallt. Kommt man zum Bade Leuk in Wallis herauf, so vernimmt man schon auf die Entfernung einer halben Stunde die Jauchzer und Rufe der Führer der entgegenkommenden Reisegesellschaft, bevor man sich mit dieser selbst kreuzt. Von oben herabkommend, erblickt man anderthalb Stunde lang, in senkrechter Tiefe unter sich liegend, das neue Bad Leuk. Daß die Passage im Winter auf den Saumwegen viel gefährlicher sein muß, als im Sommer, das leuchtet ein, weil die Saumrosse da der Gefahr des Ausgleitens auf dem Schnee mehr ausgesetzt sind. Eine solche Scene hat denn auch unser wackrer Künstler zum Motiv seiner Darstellung gewählt. Die Scene spielt am Südabhange der Alpen, was schon die italienische Tracht der Säumer andeutet. Die letztern selbst sind nun aber auch schon durch die vielfach erbauten Kunststraßen zu einer Antiquität geworden. Meistens begegnet man denselben noch vereinzelt auf der Gemmi und auf dem Sanetsch. Das Saumthier trägt einen roh aus Holz construirten Sattel. An und auf demselben werden die Waarenballen so befestigt, daß die ganze Last im Gleichgewicht hängt. Die Maulkörbe, welche den Thieren vorgebunden werden, sollen verhindern, daß die armen Lastträger durch die am Wege sich darbietenden Grasbüschel nicht in Versuchung geführt werden und unnützen Aufenthalt des ganzen Zuges verursachen.

Das allmähliche Verschwinden dieser Säumerzüge mit ihrem harmonischen Schellengebimmel hat der Romantik im Gebirge einen schweren Stoß versetzt. Sie belebten besonders die obersten Paßhöhen, weil die ultramontanen und cismontanen Säumer da oben auf der Paßscheide einander zu begegnen und die Waaren zum Weitertransport einander abzunehmen pflegten. Um die Säumer selbst ist es nicht eben schade. Poseidon’s göttliche Grobheit, die Homer so einladend besingt, war jedenfalls Salonhöflichkeit, Höflichkeit in Glacéhandschuhen gegen die Sprache, welche unter diesem culturfeindlichen Geschlechte gäng und gebe war, und die zarte Nymphe Echo mag sich oft genug entsetzt haben, wenn jeder Laut, der sie aus ihren Klüften hervorlockte, eine haarsträubende Lästerung oder einen vierundzwanzigpfündigen Kernfluch enthielt. Der Gefahr freilich schauten sie mit ziemlichem Gleichmuth in’s Auge; wußten sie doch im Voraus, daß die Meisten von ihnen gelegentlich von Lauinen in den Abgrund geschleudert werden würden, wenn

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_438.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)