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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 38.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Sophie Dorothea.

eine Hofgeschichte.

(Fortsetzung.)



6. Der Besuch.

Vor den Gemächern der Frau von Nassau, als erster Ehrendame, befand sich die Nacht hindurch ein Wachtposten, welcher aus jenen langen Cavalleristen rekrutirt wurde, die später Friedrich Wilhelm I. von Preußen, dem Vater des großen Fritz, als Modell seiner Leibhusaren dienen sollten. An diesem Abende war es der lange Jürge, ein ehrlicher Bauernsohn aus den Marken, welcher dies Ehrenamt versehen sollte.

Dieser Flügel des Schlosses schien schon in der vollständigsten Ruhe zu liegen, während der Erkerflügel des Prinzen, – welcher weit in den Park hineinragte und den man von den Corridorfenstern aus gerade vor sich liegen sah noch voll Leben und Lichter war. Die Lampe des Corridors brannte matt und träge, und der schwere Sommerregen, welcher klatschend an die Fensterscheiben schlug, erhöhte noch die gemüthliche Ungemüthlichkeit dieses Halbdunkels.

Die Schritte des langen Jürge wurden bald langsamer, bald schneller je nachdem er schläfriger wurde oder durch einen Donnerschlag aus seinem wandelnden Schlafe aufgeschreckt wurde – und hallten bald lauter, bald dumpfer durch den Gang. Endlich verstummte auch dieses Echo. Der lange Jürge hatte sich an die Thüre gelehnt und die Augen geschlossen. Das häufige Wetterleuchten blendete ihn augenscheinlich. Jetzt schreckte er wieder auf. Aber diesmal war es eine kräftige Hand, die ihn aus seinem Schlummer weckte.

„He – holla – wer – wer ist da?“

„Still, Jürge – erschrick nicht, ich bin’s.“

„Wer ich? – Sak… Ah, gräfliche Gnaden, Herr Philipp!“

„Ja, Jürge. Willst Du mir einen Dienst leisten?“

„Wie denn nicht, Herr Graf? – Sie wissen ja, mein ohler Vater hat bei Ihrer Frau Schwester Gräfin das Gnadenbrod - und ich bin doch bei Ihnen daheim aufgewachsen! Einen Dienst leisten? Tausend für Einen!“

„Gut. Vor Allem sage mir, ist heute Abend Niemand zu Frau von Nassau hineingegangen?“

„Halten zu Gnaden, Herr Graf, vor einer Stunde die Frau Prinzessin Durchlaucht.“

„Wie lange hast Du noch die Wache?“

„Noch eine Stunde.“

„Gut, Jürge. Jetzt höre. Du mußt mir auf eine halbe Stunde Deine Montur leihen und mich Deine Stelle vertreten lassen. Es soll Dein Schade nicht sein. Hier!“

Und der Graf zog einen wohlgefüllten Beutel aus der Tasche, welchen er dem langen Jürge vor die Augen hielt. Jürge kratzte sich mit der einen Hand hinter den Ohren, mit der andern rieb er sich den Rücken, und mit seinen Augen blickte er abwechselnd auf den Beutel und auf den Ausgang des Corridors.

„Aber wenn’s herauskommt, die Prügel, gräfliche Gnaden!“

„Es wird nicht herauskommen, Jürge. Und wenn auch. Was schaden einem starken Kerl, wie Dir, ein paar Liebkosungen des Haselstocks? Für jeden Hieb erhältst Du einen Ducaten. – Nun?“

Die Augen Jürge’s leuchteten. Bald aber verwandelte sich diese leuchtende Miene wieder in die alte Grimasse der Verlegenheit. Plötzlich fuhr er aus. Jürge hatte viel Mutterwitz – er hatte einen Ausweg gefunden.

„Halten zu Gnaden, Herr Graf,“ flüsterte er, „es ist wirklich unverschämt, was ich da fragen will, aber – weshalb verlangen Sie die Maskerade?“

„Es ist nur ein Scherz, Jürge.“

„Herr Graf!“ flüsterte der Lange mit seiner verschmitztesten Miene noch leiser. „Sie wollen zur Frau von Nassau, nicht? Und wollen, daß selbst ich nicht davon weiß? Ist’s so? Aber ich bin verschwiegen wie das Grab. Man kann mich zu Tode massacriren, so werde ich kein Wort davon ausplaudern! –Ich lasse Sie da hinein, sobald die Frau Prinzessin Durchlaucht herauskommt, und halte noch Wache, daß Sie Niemand überrascht.“

Königsmark zauderte, indem er das ehrliche und doch intelligente Gesicht des langen Jürge forschend betrachtete. Endlich sagte er mit seiner leisesten Stimme: „Ja, es ist so, Jürge. Dir kann ich vertrauen. Ich habe nothwendig mit der Nassau zu sprechen – ich will sie besuchen. Aber Du irrst Dich dennoch in einem Punkte.“

Jürge kicherte. „Und in welchem?“

„Die Kurprinzessin ist schon fort.“

„Ah! Halten zu Gnaden, Herr Graf …“

„Sie ist auf einem andern Wege nach ihren Gemächern zurückgekehrt – und Du siehst also, daß Du mich jetzt hineinlassen kannst,“ fügte er hinzu, indem er die Börse in die Hand des Soldaten gleiten ließ.

Der lange Jürge machte das längste Gesicht, welches man je an ihm gesehen hatte, und rangirte sich zur Seite. Der Graf legte die Hand auf die Thürklinke, drehte sie leise und trat ein.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 593. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_593.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)