Seite:Die Gartenlaube (1862) 598.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Herbst 1848 stattfindenden Neuwahlen zu ihrem Vertreter auf dem Landtag. Auch hier vertrat Oetker die nämlichen Grundsätze wie in der Presse. Consequenter Ausbau der Verfassung, andererseits strenges Festhalten am Recht und strenge Bewahrung der Rechtscontinuität waren die Principien, für die er focht.

Aber freilich konnte der Umstand, daß Oetker auf diese Weise für Ordnung und Recht eintrat, nicht hindern, daß ihm auf der andern Seite die bittersten Feinde erwuchsen. Die Rücksichtslosigkeit, mit welcher er die Jämmerlichkeit vormärzlicher Zustände rügte und auf deren Abstellung drang, hatte ihn namentlich in Hofkreisen tief verhaßt gemacht. Ein sichtliches Zeichen hiervon trat bereits im Jahre 1849 hervor in der Herausforderung, die Oetker von einem Manne zuging, der bei einem Kunstinstitute eine hohe Stellung einnahm und als dem Hofe sehr ergeben galt, aber wegen seines Verhaltens gegen einen jüngern Künstler in der „Neuen Hessischen Zeitung“ heftig angegriffen worden war. Der Zweikampf fand statt mit glücklichem Ausgang für Oetker.

Im Jahre 1850 begann auf dem von Parteien durchwühlten Boden die Ernte der Reaction zu reifen. In Voraussicht hiervon sandte sie ihren großen Schnitter, Hassenpflug, nach Kurhessen. Sofort veränderte die constitutionelle Partei ihre Frontstellung, und an der Spitze der neuen Fronte stand wiederum Friedrich Oetker. Offen erklärte er in der Kammer, daß zwischen dem Lande und diesem Ministerium nur ein „Krieg auf Leben und Tod“ sein könne. Auch sein Blatt griff unablässig das Ministerium an. Mehrere wider ihn erhobene Anklagen endigten mit Freisprechung.

Es kann nicht die Aufgabe sein, hier die Einzelnheiten der nun sich entwickelnden Krisis und ihres traurigen Ausgangs darzustellen. Sie sind bekannt genug. Die fingirte Steuerverweigerung, der mattgesetzte Kriegszustand, die Bundesexecution, die Schlacht von Bronnzell, die Strafbaiern – an diese Worte knüpfen sich für jeden Deutschen unauslöschliche Erinnerungen.

Als Oetker sein Blatt mit allen Mitteln des Gesetzes vergeblich vor dem Untergang, mit dem der Kriegszustand dasselbe bedrohte, zu retten versucht und deshalb in Gotha eine Presse engagirt hatte, von wo aus er dasselbe erscheinen ließ, wußte der Verdruß der Gegner endlich keinen andern Ausweg, als offen gegen die Person gerichtete Gewalt. Eines Tages drang einer der „treugesinnten“ Offiziere mit Soldaten in die Behausung Oetker’s ein und führte ihn gefänglich in das Castell ab. Zwar fand sich kein Gericht, welches den Verhafteten eines Vergehens hätte schuldig sprechen mögen. Aber er blieb verhaftet, ungeachtet von den Civilgerichten dringend seine Freilassung begehrt wurde. Endlich, als dem inneren Wirrwarr durch das Abschiedsgesuch der Officiere ein jähes Ende bereitet war, als die hessischen Truppen von Kassel wegzogen, um den einrückenden Preußen auszuweichen, ließ man Oetker eben so unmotivirt frei, als man ihn vier Wochen früher ohne Abschiedsgrund in Haft genommen.

Bald wurde nun der Kampf ein hoffnungsloser. Als Preußen zurückwich, galt es nicht mehr die Sache, sondern nur noch die Ehre zu retten. Die Redacteure der „Neuen Hessischen Zeitung“ harrten aus, bis die Baiern vor Kassels Thoren standen. Da wichen auch sie der Gewalt. Oetker begab sich zunächst nach Braunschweig, bald darauf aber, als auch von dort seine Auslieferung begehrt wurde, auf freien englischen Boden, nach Helgoland.

Hier lebte er mehrere Jahre, für ihn keine glücklichen. Auf geringe Mittel beschränkt, oft von Krankheit heimgesucht, bedurfte er der ganzen Energie seines Geistes, um auszuharren. Seine Beschäftigung fand er in dem Studium der Insel und ihrer Bewohner. Die Frucht dieser Studien war sein im Jahre 1855 erschienenes Werk „Helgoland“, das beste, was über die berühmte Insel geschrieben ist, und wofür ihm später die Universität Tübingen die Doctorwürde ertheilte. Im Herbst 1854 siedelte Oetker nach Brüssel über. Hier gaben ihm Studien auf dem Gebiete des belgischen Volkslebens den Stoff zu einer Reihe von Aufsätzen, die in deutschen Zeitschriften (Gartenlaube, Westermann’s Monatsheften, Morgenblatt etc.) nach und nach erschienen; ein Schriftchen über den Sprachenstreit ward 1857 in’s Vlämische, 1858 in’s Französische übersetzt.

In Kurhessen waren währenddeß die Verhältnisse langsam weitergeschritten. Nach vierjähriger Dauer hatte man den Kriegszustand eingestellt. Hassenpflug war vom Schauplatz abgetreten, und Oetker durfte ungefährdet in die Heimath zurückkehren.

Wirklich erschien er im Sommer 1856 wieder in Kassel. Aber die Zustände traten ihm jetzt noch so hoffnungslos entgegen, daß er in das glücklichere Belgien zurückeilte, seine dortigen Bestrebungen wieder aufnehmend, und zu dem Ende abwechselnd in Brüssel, Gent, Ostende und Brügge lebend. Erst nach einigen Jahren begann in Deutschland wieder ein neuer Morgen zu tagen. Von Preußens Thron war das Wort erklungen: „Die Welt muß wissen, daß Preußen das Recht schützt.“ In raschen Schlägen hatte der italienische Krieg die Macht Oesterreichs erschüttert, aber zugleich andererseits unverkennbare Gefahren für Deutschland wachgerufen. Ueberall begann der deutsche Volksgeist die Schwingen mächtig zu regen. Und inmitten dieser Verhältnisse wußte der Bundestag nichts Besseres zu thun, als seinen Ausschuß einen Bericht erstatten zu lassen, nach welchem der Umsturz der kurhessischen Verfassung verkündet und das Werk Hassenpflug’s gekrönt werden sollte.

Das hessische Volk glich einem Angeklagten, den man auf nichtigen Vorwand in den Kerker geworfen und auf Leben und Tod processirt hatte. Auf der Folterbank des Kriegszustandes hatte der designirte arme Sünder fast Alles zugestanden, was seine Kerkermeister von ihm verlangten. In seiner jahrelangen Haft war er still und geduldig geworden, und hatte davon zu sprechen verlernt, daß die ganze wider ihn verübte Procedur nichts als ein einziges großes Unrecht sei. Jetzt sollte sein Urtheil gefällt, seine Verurtheilung ausgesprochen werden. Da erhob sich der Angeschuldigte noch einmal mit seiner letzten Kraft und betheuerte seine Unschuld. Das waren die Stimmen, die, als der Bundestagsbericht bekannt wurde, aus Kurhessen durch alle unabhängigen Blätter Deutschlands flogen. Anfangs zaghaft und schüchtern, erhoben sie sich doch bald zu einem muthvolleren Tone, als ringsum alle Stämme Deutschlands ihre Theilnahme bewiesen und die Hoffnung sich zeigte, daß Preußens Regierung, in richtiger Erkenntniß ihrer Pflichten für Recht und Ehre, die Sache des hessischen Volkes zu der seinigen machen werde.

Was aber auch auswärts und von Einzelnen im. Lande selbst geschehen mochte, nimmer konnte Kurhessen hoffen, sein Recht wieder zu erlangen, wenn nicht das gesammte hessische Volk sich aufraffte, um gegen die Vollendung des Unrechts kräftig anzukämpfen. Wie aber sollte das geschehen? Die altbewährten Helden der Volkssache waren aus dem Lande getrieben, alt geworden oder gestorben, und wer etwa noch zurückgeblieben, war durch hundert Bande gefesselt. Niemand, so schien es, war vorhanden, der in dem Kampfe gegen eine übermächtige Regierung die Führerschaft übernehmen könne.

Da erschien Friedrich Oetker wieder auf dem Schauplatz. Ohne Weib und Kind, fast ohne Bedürfnisse, frei lebend von seiner Feder und mit einem politischen Muthe ohne Gleichen, war er der rechte Mann, um den Kampf im Lager des Feindes selbst aufzunehmen. Schon bei dem ersten Morgengrauen einer besseren Zeit hatte Oetker von Brüssel aus in verschiedenen deutschen Blättern das Schicksal seines Heimathlandes in Erinnerung gebracht. Als aber dort die Verfassungsfrage wieder brennend zu werden begann, hatte er rasch seine Thätigkeit in Belgien abgebrochen und war über Paris und Frankfurt nach Kassel zurückgekehrt, wo er im August 1859 eintraf. Es war dies die Zeit, wo in Kurhessen die ersten öffentlichen Kundgebungen zu Gunsten des alten Verfassungsrechts mittelst Vorstellungen hier stattfanden, welche die Stadträthe zu Kassel, zu Hanau und Eschwege an den Kurfürsten richteten. Auch bereitete sich bereits ein Beschluß der zu Kassel versammelten Stände in gleichem Sinne vor. Aber alle diese Schritte standen doch nur vereinzelt da, eine Frucht höherer Intelligenz der größeren Städte, während in den tieferen Schichten des Volkes, zumal auf dem platten Lande, das rechte Verständniß der Lage vielfach noch fehlte.

Um die Mitte November – gerade in den Tagen, wo ganz Deutschland sein Schillerfest feierte, welches freilich in Kassel zu einem Volksfeste nicht werden durfte – erschien in der kurfürstlichen Residenz ein neues Tageblatt, „Hessische Morgenzeitung“ genannt. In gemessener, aber offener und entschiedener Sprache vertrat dasselbe die Ansicht, daß die Beseitigung der Verfassung von 1831 ein jeder Rechtfertigung entbehrendes Unrecht sei, welches nur durch vollständige Wiederherstellung gesühnt werden könne. Als Redacteur eines Blattes von so entschiedenem Tone gab sich Oetker kund, und in der That, da saß er, der Hessen treuer Volkstribun, in einem kleinen Stübchen mit erborgten Geräthen,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 598. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_598.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)