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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 44.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Dämmerstunde.

Wenn sich der Sonne letzter Schimmer
Sacht fortstahl über’s Nachbardach,
Bin einsam ich in meinem Zimmer,
Und stille Thränen werden wach.

5
Die führen mich von meinem Sitze

In’s ferne wohlbekannte Haus,
Dort von des Tages Last und Hitze
Ruht eine alte Frau jetzt aus.

Die Stirn gefurcht, gefurcht die Wangen,

10
Die Lippen welk, das Haupt bereift,

Sie läßt es matt hernieder hangen,
Indeß der Blick in’s Weite schweift.

Der Blick, aus dem mit Jugendfeuer
Ein voller Strahl der Liebe bricht,

15
Nichts ist so schön mir und so theuer,

Als dieses treue Angesicht.

Sonst that des Tages letzter Schatten
Noch keinen Einhalt ihrer Kraft,
Nun aber fühlt sie sich ermatten,

20
Seit nicht mehr für den Sohn sie schafft.


Der Sohn – sie hat das Haupt erhoben,
Es klopft das Herz, die Lippe bebt,
Dabei gefaltet sie nach oben
Die frommen Hände zitternd hebt.

25
Da fühl’ ich, wie der gleiche Schauer

Durch meine tiefste Seele geht,
Und alles Sehnen, alle Trauer
Sich friedlich lösen im Gebet.

Gesegnet, heil’ge Dämmerstunde:

30
Die lang und weit geschieden sind,

Du einst in stiller Andacht Bunde
Die Mutter wieder und ihr Kind.

Albert Traeger.





Der Junker von Hohensee.

Eine alte Geschichte.
Von Edmund Hoefer.


1. Bis Hohensee.

Im heißen Sommer 1826 machte ich mit meiner Familie eine Reise zu den Eltern meiner Frau in unsere gemeinsame alte Heimath, in jenen Landestheil, der früher „Schwedisch-Pommern“ hieß und seit seiner Vereinigung mit den bereits länger preußisch gewesenen Theilen des alten Herzogthums „Neu-Vor-Pommern“ genannt wird. Es ist eigentlich nur ein Küstenland, mit fruchtbarem Boden, fetten Wiesen und prachtvollen Laubwaldungen, mit zwar veränderlicher Witterung, aber im Ganzen sehr mildem Klima, mit gesunden, kräftigen Menschen endlich, die zu leben wissen und leben lassen, was alles den anderen Theilen dieser Provinz nicht gerade immer nachzurühmen ist.

Meine Familie brachte ich bei den Schwiegereltern unter und machte selber dann bald allein, bald mit einem meiner Kinder Ausflüge zu Verwandten und Bekannten, die mir im Ländchen zahlreich verstreut lebten. Bei einem solchen Ausfluge hatte ich in einem Gasthofe auf dem sogenannten Peendamm bei Anklam den Wagen zu erwarten, der mich weiter führen sollte, und während des Wartens machte ich durch Vermittelung meines Töchterchens die Bekanntschaft eines alten Herrn, der in Begleitung einer um Vieles jüngeren Dame dort gleichfalls abgestiegen war, um die heißeste Zeit des Tages unter Dach zu sein, und alsbald an meiner kleinen Clara Geschmack gefunden hatte. Es war ein großer und hagerer alter Mann, mit schon ergrauendem, kurz gehaltenem Haar und schneeweißem, unmäßig langem und dickem Schnurrbart. Das eine Auge war durch eine schwarze Binde verdeckt, das andere blitzte dafür aber nur um so lebhafter und jugendlicher. Und auch seine Kleidung war von jenem Schnitt und Schluß, der mir ihren Besitzer als einen alten Militär erscheinen ließ, welcher sich jetzt etwa auf sein Gut zurückgezogen haben mochte.

So zeigte es sich auch. Nachdem wir uns, wie gesagt, durch die Kleine zusammengefunden, tranken wir unsern Kaffee mit einander und geriethen bald in ein lebhaftes Geplauder über alles Mögliche. Er schien eine gar besondere Gabe zu besitzen, den ihm Begegnenden auszuholen, ohne daß es diesem viel auffiel, und so hatte er denn nach kurzer Zeit schon heraus, wer und was ich sei, wie und wo ich lebe. Dabei fand es sich, daß er meinen seligen Vater vor langen Jahren auf das Genaueste gekannt und den „Magister Mühl in Liebenhagen“ stets für den wackersten Menschen unter der Sonne gehalten habe, wie er ihm denn auch noch ein fast zärtliches Andenken widmete. Es fand sich ferner, daß meine Frau aus einer ihm nahe verwandten Familie stamme, mit der die seine zufällig nur seit manchen Jahren außer Berührung gekommen war. Als er das entdeckt hatte, reichte er mir zum zweiten Male die Hand, hieß mich einmal über das andere „Vetter“, stellte mir die Dame als seine Nichte, eine Frau von Brederloo, vor und nannte sich endlich mir auch selber. „Ich heiße

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 689. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_689.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)