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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 48.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Der Junker von Hohensee.

Eine alte Geschichte.
Von Edmund Hoefer.
(Schluß.)


„Weißt Du das so bestimmt, mein Kind?“ fragte die Mutter herb. „Andere denken darüber doch vielleicht anders, und auch ich meine, daß eine veränderte Stellung zu einander auch andere Gefühle für einander, wenigstens eine andere Aeußerung derselben bedingt.“ – „Und ich für meine Person weiß nur, daß es für den Mann so gut wie für die Frau ein Schimpf ist, wenn man hinter ihrem unbefangenen Verkehr gleich etwas Schlechtes argwöhnt,“ versetzte ich gleichfalls scharf. „Und ich weiß ferner, daß da das traurige Sprüchwort zur Geltung kommen würde: was ich selber thu’, trau’ ich Anderen zu! – Nur ein schlechter oder unsinniger Mensch könnte dergleichen Einfälle haben, und beides ist Julius nicht.“ – „Wir einigen uns nicht, wie es scheint,“ sagte sie kalt. „Aber gleichviel; ich wollte Dich aufmerksam machen und habe das hiermit gethan. Nun handle, wie Du es verantworten kannst.“

Sie wandte sich mit einer entlassenden Handbewegung von mir ab in einen anderen Steig hinein, und ich ging in schweren Gedanken dem Hause zu, denn wirkungslos waren der Mutter Worte nicht geblieben, wie herb’ ich sie auch abgewiesen. Nur wirkten sie anders, als sie vielleicht gesollt, denn sie verscheuchten mich nicht von Livia, sondern machten mich nur bitter und zornig über die Thorheit und Quälerei, die ich sich gegen uns erheben sah, und riefen zugleich in mir alle Reste des alten Trotzes wach. Und sie waren gefährlich, diese Mahnungen! Indem sie andeuteten, daß man uns Unrechtes zutrauen könnte, ließen sie mich selber erst an dies Unrecht denken. Bei Gott und meiner Ehre, mögt Ihr es paradox heißen oder sentimental – bis dahin hatte sich nichts in mir geregt als jene Frage: warum mußte sie mir genommen werden, sie, die mich, wie ich es jetzt fühle und weiß, beglückt haben würde, sie, die ich glücklicher gemacht, als ein Anderer es vermag? Denn Niemand liebt sie mehr als ich, und Niemand versteht ihr Wesen, ihr Sehnen und Bedürfen so wie ich! – Ein unheiliger Gedanke war mir niemals nahe gekommen. Livia’s Wesen war nicht dazu gemacht, dergleichen entstehen oder gar sich festsetzen zu lassen. Nun aber waren solche Vorstellungen angeregt, und wenn ich sie auch zornig weit von mir stieß – sie waren dagewesen, ich sah, wie ich schon bei der nächsten Begegnung merkte, das holdselige Geschöpf mit anderen Augen an als bisher – heißt es finsterer oder trauriger, scheuer oder befangener, das ist Alles einerlei ! – und ich sah auch der bevorstehenden Rückkehr meines Bruders mit anderen Blicken und Gefühlen entgegen.

Es gingen noch ein paar Tage hin, man hielt Livia und mich so sichtbar auseinander, daß es auch ihr nicht entgehen konnte.

Sie fügte sich in diesen Zwang, ich weiß nicht, ob nachgebend oder mit eigenem Willen. Ich vermag überhaupt nichts von ihr zu sagen. Sie war so lieblich und holdselig, so innig und gütig wie je, aber so unbefangen wie früher war sie seit dem Morgen, da ich nach Liebenhagen ritt, nicht wieder geworden. Hatte sie erkannt, was damals in mir vorgegangen? Begriff sie, was es seitdem in mir gab? – Ich wußte es nicht, mein Freund, ich glaubte aber, wie jeder in meiner Lage, nicht daran, da ich mit meinem Willen wenigstens nichts aus meinem Innern hervortreten ließ und mein Gefühl, das ich nicht zu überwinden vermochte, fest im Zaum zu halten meinte.

Also, ein paar Tage gingen noch hin, und dann war mein Bruder eines schönen Morgens wieder da. Die öffentliche Begrüßung der Gatten war freundlich und schicklich, nicht mehr, ich hatte aber auch gar nicht mehr erwartet, da Julius kein Mensch der Aufgeregtheit oder lebhaften Gefühlsäußerung war, wenn er auch gelegentlich einmal bei irgend einem Ausbruch des Eigensinns oder Jähzorns ein heißes Blut verrieth. Seine Freude, als er mich begrüßte, war entschieden lebhafter, als die seiner Frau gegenüber gezeigte, und noch voller und wärmer brach es aus ihm hervor, da er seinen Knaben auf den Arm nahm. Und wie es begonnen, blieb es den Tag über; Livia ließ er für mich, und mich für das Kind im Stich, mit der heitersten und, ich möchte sagen, natürlichsten Manier von der Welt. Von Animosität oder gar Eifersucht war keine Rede. Im Gegentheil hieß er es ein Glück, daß ich in die Langeweile von Hohensee gekommen, daß ich seine Frau unterhalten und erheitert; er fände sie wohler und heiterer als früher, setzte er hinzu. Einen längeren Aufenthalt bei ihm in Sollnitz erwartete er von mir auf das Bestimmteste.

„Was willst Du hier bei dem guten, alten, langweiligen Papa und der guten, alten, steifen Mama hocken?“ sagte er. „Bis Trinitatis und bis die Pächter abziehen, bleibst Du einmal jedenfalls bei mir.“ – Es fiel mir auf, daß er nicht „uns“ sagte, zumal Livia bei diesem Gespräch gegenwärtig war, allein ich vergaß es über seinen folgenden Worten, die er jetzt mit einem freundlichen Blick auf seine Frau hinzufügte: „Und es wäre mir auch um die da lieb, Felix. Sie ist an Unterhaltung gewöhnt, während ich doch auf dem Felde und in der Wirthschaft zu thun habe und daheim oft nur noch zum Schlaf zu gebrauchen bin. Ihr kennt Euch ja von Jugend auf und wißt genug für einander. So gewöhnt sie sich nach und nach wieder an unser stilles Leben

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 753. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_753.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)