Seite:Die Gartenlaube (1863) 257.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Almenrausch und Edelweiß.
Aus dem bairischen Hochgebirge.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Es war schon dunkle Nacht, als die Mädchen die Brücke der tosenden Ach überschritten und an den sausenden Wasserwerken von Ilsang vorüber der Schmiede zueilten, deren rothe Esse von ferne durch Nacht und Bäume schien. Bald war sie erreicht, und Evi hielt an dem Brünnlein daneben, um zu trinken und etwas an ihren Schuhen zu richten, während Kordel einen Blick in das weite feuerbeschienene Rußgewölbe warf, in welchem schwarze Gestalten zwischen Rauch, Ruß und Funken unter dem Brausen der Bälge, dem Schlage der Hämmer und dem Zischen der Feilen abenteuerlich wie Höllengeister durcheinander hantirten und einen wilden lärmenden Gesang ausführten. Sie schauderte im Weiterschreiten, und es war wohl begreiflich, daß sie erschrak, als in der verstärkten Dunkelheit des anstoßenden Bergwaldes zur Seite etwas sich regte und eine dunkle Gestalt aus dem Gebüsch auf die Straße herunter glitt.

„Wer ist da?“ rief Kordel mit ängstlich angehaltenem Athem. „Bist Du’s, Quasi? Was willst, daß Du mir in Weg kommst?“

„Ich will Dir nichts,“ schallte es ihr mit rauhem, heiserem Lachen entgegen. „Der Weg gehört mir so gut wie Dir, was kann ich dafür, wenn ich Dir begegne?“

„Dann geh’ Deiner Weg’ und schleich nit herum wie ein Gespenst ...“

„Ich kann’s nit anders, Kordl,“ tönte die Antwort zurück, wie zuvor. „Ich bin ja ein Gespenst … ich bin Dein böses Gewissen, das umgeht vor Dir! Ich wär’ ein braver ordentlicher Mensch ’worden, wenn Du gewollt hätt’st … wenn ich zu Grund geh’ an Leib’ und Seel’, Du bist schuld daran!“

„Nein,“ entgegnete Kordel beherzt, „Du allein bist schuld. … Lad’ mir von Dir nichts auf; ich hab’ genug zu tragen an meiner eigenen Burd’.“

„Du … Du allein bist schuld!“ rief Quasi wieder und trat etwas vor aus dem Dunkel. „Du hast mich veracht’ von der ersten Zeit an. … Du hast es so weit gebracht, daß ich mich bald selber veracht. …“

„Ich will den Vorwurf nit auf mir haben!“ entgegnete Kordel hastig. „Ich will mich frei machen davon, ganz frei. … Noch ist es zu Allem Zeit, Quasi! Wenn nur ein wahres Fäserl’ an dem ist, was Du sagst – so zeig’s! Thu’ gut! Geh’ in einen ordentlichen Dienst – arbeit’ wie ein redlicher Bauernknecht ... laß den Branntwein sein, Quasi, und mach, daß ich Dich jeden Sonntag richtig in der Kirch’ seh’, in Amt und Predigt … dann komm nach Jahr und Tag wieder … und ich versprech’ Dir, und Du weißt, daß ich Wort halt’ … ich will mein Herz zwingen und will Dich nit von mir weisen. …“

„Nicht noch länger?“ lachte der Verwilderte und sprang in’s Gebüsch, denn der nacheilenden Evi Schritt kam näher. „Ich will mir’s überlegen, Du hoffärtige Bauernprinzessin!“

Erschreckt flogen die Mädchen den dunklen Waldweg zum Kniebis hinan; hinter ihnen hallte Quasi’s Hohngelächter, und ein schwerer Stein, ihnen nachgeschleudert, prasselte auf die Straße. Aengstlich schmiegte sich Kordel an ihre Begleiterin und seufzte. „Alle guten Geister. … Du wirst es sehen, Evi – der Mensch ist doch noch mein Unglück!“ –

– Auf der einsamen Hochalm des Steinbergs verflossen den beiden Cameradinnen fleißige, stille, nicht ganz freudlose Tage. Tag über gab es wenig Muße zum Denken und Trauern, die Arbeit auf der Weide und im Stall verdrängte Alles, und Abends saßen Beide am Heerdfeuer beisammen, ferner Zeiten und Menschen gedenkend. Der alte Müller kauerte ihnen zu Füßen auf einem weichen, eigens bereiteten Lager. Der Unglückliche lebte wieder auf, so weit es möglich war; die reinliche, liebevolle Pflege der Tochter hatte ihm schon den Winter über höchst gedeihlich gethan, jetzt vollendete das sorgenlose Leben in freier Bergluft die karge Heilung. Bewegung und Sprache kehrten zwar nicht wieder, auch die gestörte trübe Seele klärte sich nicht mehr, aber der Zustand war doch im Ganzen gemildert, erträglicher durch die Gewohnheit und dem eines Menschen ähnlicher. Der einzige Lichtstrahl in dem dunklen Gemüthe war die grenzenlose Liebe zu seiner Tochter, der er folgte und anhing mit der Treue und Unzertrennlichkeit des Hundes. Unter Tags hütete er den Kaser oder lag mit den Kühen und Ziegen im hohen duftigen Alpengras, aber er ging nie weiter, als daß er Kordel noch sehen und ihre rufende Stimme ihn noch erreichen konnte.

Eines Tags hatte Evi den Buttervorrath wieder abgetragen und kehrte vom Schwarzeck nach der Alm zurück. Sie hatte den Weg schon oft gemacht, aber lieber einen beträchtlichen Umweg nicht gescheut, um nicht am Bühelhofe vorüber zu müssen. Diesmal war Alles noch auf den Feldern beschäftigt, und sie konnte hoffen, an dem Gehöfte unbemerkt vorüberzukommen, an welchem noch immer Herz und Seele hing. Eben bog sie um die Hausecke in den wohlbekannten Baumgarten, prallte aber erschreckt zurück, denn die Thüre stand offen, und vor derselben saß die kranke Bäuerin im Lehnstuhl, zwischen Kissen gebettet und an die sonnigste Stelle getragen. Evi wollte rasch umkehren, aber die Kranke hatte sie schon bemerkt

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_257.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)