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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


oder Beguinerien zu verschiedenen Zeiten von einander abweichen, doch gehen durch alle nach Zeit und Ort weit auseinanderliegenden bischöflichen Verordnungen wesentliche Grundzüge hindurch, so daß sie vom Ende des 13. Jahrhunderts an ziemlich übereinstimmende Statuten haben.

Das Institut gewann eine festere Gestaltung, als die Diöcesanbischöfe in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts den meisten Beguinenhöfen die Trennung von den Parochialkirchen und ihre Constituirung als besondere Kirchspiele mit ihrem eigenen Pfarrer zugestanden. Von nun an bilden die Pfarrer mit den Vorsteherinnen (magistrae principalis) die verwaltende und polizeiliche Behörde der Anstalt. Die Zahl der Vorsteherinnen wechselt von zwei bis acht.

Aus den mannigfachen bischöflichen Verordnungen im Laufe der Zeit geht hervor, daß es nicht immer zum Anständigsten in den Beguinerien hergegangen sein mag. So wurde ihnen verboten, Männer bei sich zu beherbergen, in der Stadt ohne Erlaubniß der Magistra herum zu laufen, Abends vor der Hausthüre zu sitzen, unanständige Lieder zu singen etc. Eine andere bischöfliche Verordnung verbietet ihnen überhaupt zu singen und Musik zu treiben. Bei Strafe wird ihnen die Betheiligung an Arbeiten zu Hochzeiten und Festlichkeiten verboten und junge Hunde zu halten. Wenn eine Beguine der Unkeuschheit überführt wird, so wird ihr ihr bestes Bett genommen und sie als ehrlos vom Hofe gejagt. Wenn eine Beguine heiraten will, so soll sie sofort nach der Verlobung ihr Hausgeräth zusammenpacken und abziehen, sonst wird sie um 12 Gulden gestraft.

Farbe und Schnitt der Kleidung wurden allmählich auch gleichmäßiger, doch hat die erstere immer zwischen schwarz, grau und blau gewechselt. Der Hauptsitz des Beguinenwesens war stets in Gent, wo noch immer zwei Beguinenhöfe bestehen, der große und der kleine. Deshalb ist die Tracht der Genter Beguinen zumeist maßgebend für die übrigen Beguinenhöfe des Landes.

Den behaarten Theil des Kopfes bergen sie in einer einfachen leinenen Haube ohne Besatz, mit Bändern unterm Kinn befestigt. Diese gewöhnliche Frauennachtmütze heißt franzosisch béguin, béghin, béguinet und flämisch begyne, und gilt sonach als integrirender Theil für das Ganze, und es ist heut zu Tage sehr charakteristisch, daß die Nachtmütze Repräsentantin der Beguine ist. Die Genter Beguinen legen über den vorderen Rand dieser Haube eine fast handbreite Binde, deren Zipfel ebenfalls unter dem Kinne zusammengesteckt werden. Die Löwener haben diese Binde nicht. Ueber Haube (und Binde) wird das eine Elle breite und fast zwei Ellen lange leinene Tuch gelegt, dessen vorderer Rand von der Stirn zu beiden Seiten bauschig absteht, dessen linker Zipfel unter dem Kinn hingezogen an der rechten Schläfe mit einer Stecknadel befestigt wird. Dieses Tuch war die Kopfbedeckung der Frauen des 13. Jahrhunderts überhaupt und wird noch jetzt von Nonnen verschiedener Orden und anderen weiblichen frommen Genossenschaften getragen. Die Beguinen des großen Hofs in Gent legen das Tuch glatt an die Stirn und belegen die vom kleinen Hofe, welche es bauschig tragen, mit dem Spottnamen „Hornträgerinnen“, zum Beweis, daß die Schalkhaftigkeit der weiblichen Natur nicht in der Frömmigkeit der Schwestern untergegangen ist.

(Schluß folgt.)



Zwei Junker von der Schwalm.

Es ist sehr bezeichnend für den denkenden Sinn des Deutschen, daß der urkräftige Bewohner der bekannten Schwalmufer-Landschaft im Hessenlande mit Stolz von seiner Heimath sagt: „Off der Schwalm seng ich derheem!“ – denn der Schwalmfluß ist der Nil seiner schönen Thalheimath, und so heißt diese selbst „die Schwalm“. Von der Schwalm kommt die beliebte „Ziegenhainer Butter“, ein Erzeugniß ihres herrlichen Viehstandes, ihrer saftigen Wiesen; die „Schwälmer Amme“ ist weit und breit gesucht von all’ den vornehmen Städter Damen, denen die heiligste und süßeste ihrer Mutterpflichten zu „gemein,“ zu „unästhetisch“ vorkommt, und – ein großer Theil der kurfürstlichen leibbewachenden Kürassiere (Garde du Corps) besteht aus Kindern der Schwalm, sintemalen es lauter kräftige, himmellange Gestalten sind, die Se. königl. Hoheit zu Allerhöchstihrem Schutze für nöthig hält.

So liefert uns die Schwalm ein scharfausgeprägtes Bild von dem Einfluß des Bodens auf die Beschaffenheit der Bewohner. Diese bilden hier ein eigenthümliches Volk. Durch viele Jahrhunderte hindurch hat es die sonderbare schwerfällige Tracht der Voreltern, aber auch ihre guten, einfachen, harten Sitten aufbewahrt bis auf den heutigen Tag, und hat sich auch hierbei das „königliche Regiment“ des Zeitgeistes geltend gemacht, so bleibt dem Schwälmer doch noch Einzelnes von der Neuzeit einzutauschen, dessen Mangel das anziehende Bild seines Lebens und Schaffens mit einem trüben Schatten überzieht. Alte hessische Geschichtsbücher preisen die Biederkeit des Schwälmervolkes, den großen Reichtum seiner Bauernhöfe. Darin eben liegt ein Widerstreit, der an dem biedern, fleißigen, sittlichen Stamme unangenehm überrascht, den wir uns aber durch das zähe Festhalten desselben an den Gebräuchen vergangener Jahrhunderte leicht erklären können – wir, die Kinder einer Zeit, die vor Allem berufen ist, altheiligen Vorrechten den Garaus zu machen. Was nämlich auf der Schwalm den ungeheuren Reichthum der Hofbesitzer begründet, was dort das Sprüchwort hervorgerufen hat. „Die Bettelleut’ stammen von de reiche Buuern ab!“ – was ein bäuerisches Geld-Junkerthum wie einen giftigen Pilz auf dem Boden angestammter Redlichkeit gedeihen ließ, das ist das Vorrecht der Erstgeburt. Der Erstgeborene erbt das Gut mit Allem, was dazu gehört, und die jüngeren Geschwister werden durchgängig – so will’s die „Sitte“! – mit einer Geldsumme abgefunden, die weit unter dem Maße rechtschaffener Theilung steht. So kommt es, daß der älteste Sohn der „Herr“ und die jüngeren Geschwister die Knechte und Mägde des Bruders werden.

Das ist die Hauptschattenseite eines Volksstammes, an dessen Kraft und Gesundheit, an dessen eisernem Fleiß, an dessen Einfachheit, Sparsamkeit, Sittlichkeit der Blick des Fremden mit stiller Bewunderung hängen müßte.

So wenig Sinn das Völkchen der 13. Dörfer für dichterische Gestalten hat, so lebt doch noch in Einzelnen die Erinnerung an seine Außergewöhnlichkeiten. Eine hiervon hat eine andere Feder bereits in dem Artikel „Fürst und Bauer“ (in Nr. 6 der Gartenlaube) unseren Lesern vorgeführt. Es sei mir vergönnt in kurzen Zügen die Thaten zweier Helden aufzuzeichnen, die auf der Schwalm geboren, doch im Allgemeinen dort fast ebenso vergessen sind, als der Name „Junker Hansens Hof“,[1] von dem der Verfasser des obenerwähnten Artikels irrthümlicherweise erzählt, daß er heute noch gebräuchlich sei.

Wenn der Name „Fürstendiener“ heute, wo die Völker mündiger geworden sind, in Verruf gekommen ist, so haftet dagegen unser Blick mit Rührung auf den Getreuen der Vorzeit, wo hie und da im deutschen Lande zwischen Fürst und Volk Verhältnisse bestanden, wie zwischen einem Vater und seinen Kindern. Ein solcher Getreuer – d. h. unter solchen Verhältnissen – war Heinz (Heinrich) von Lüder, ein Zeitgenosse Philipp’s des Großmüthigen, geboren auf dem Schlosse seiner Väter zu Loßhausen bei Ziegenhain. Als der Kaiser (Carl V.) seinen edlen, ritterlichen Landesherrn nach der für den „Schmalkaldischen Bund“ so verhängnißvollen Schlacht von Mühlberg, wo Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen in Gefangenschaft geriet, nach Halle lockte, um ihn dann in Sicherheit bringen zu lassen, saß Heinz von Lüder als Commandant in der Festung Ziegenhain. Dahin entsandte der Kaiser einen seiner Generäle mit großer Heeresmacht und mit dem Befehle, das Commando der Festung zu übernehmen. Als man aber Heinz von Lüder des Kaisers Begehr zu wissen that und hinzufügte, daß sein eigener Landgraf, der Freiheit zu lieb, es selbst verlange, entgegnete der wackere Junker von der Schwalm: „Mein Herr, der Landgraf, hat mir den Befehl gegeben, die Festung zu halten, da er noch frei war, und was der freie Landgraf befohlen hat, das kann der gefangene nicht umstoßen!“ – und fügte nun seinerseits

hinzu: „Wenn übrigens der Herr General nicht mache, daß

  1. Die damit verknüpfte Geschichte ist mir, als einem Ziegenhainer Kind, von meiner frühesten Jugend an bekannt. Aber gar oft habe ich mich geärgert, daß das Schwälmervolk den interessanten Hof nie anders nannte, als „dem Vorgemeester Hooß in Leimbach seng Hoob.“       J. B.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 398. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_398.jpg&oldid=- (Version vom 18.12.2022)