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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

sahen wir uns von wüthenden Volksmassen umgeben, alle Glocken der Stadt fingen an zu stürmen, Steine hagelten von allen Seiten auf uns, und es fielen sogar einzelne Schüsse, welche indeß wegen der vorgeschrittenen Dunkelheit keinen Schaden anrichteten. Wir hatten uns indeß schnell zur Vertheidigung geordnet, die Musik in die Mitte genommen, vorn und hinten zwei größere Abtheilungen Bewaffneter postirt und auch auf die Flanken an die Enden jedes Glieds je einen Schützen vertheilt, so daß den Angreifern auf jeder Seite Flintenläufe und die als Bajonnete aufgepflanzten Faschinenmesser entgegenstarrten, und bewegten uns nun in Reih und Glied immer mit klingendem Spiel unverdrossen durch die tobende Menge gegen die Lickingbrücke.

Als die Yankees merkten, daß sie in offenem Kampf hier übel anlaufen würden, beschlossen sie mit einem ausgesuchten Bubenstück uns beizukommen. Ein Karren wurde mit Pulver und verschiedenen gefährlichen Gegenständen, welche die Explosion nach allen Seiten auseinanderschleudern sollte, beladen und in die Mitte der Straße geführt, die wir passiren mußten. Allein der Rowdy, welcher diese Höllenmaschine gegen uns loslassen sollte, ergriff bei unserem raschen Anmarsch die Flucht, ehe er noch mit dem Legen der Lunte fertig werden konnte, und wir führten den eroberten Karren als Siegestrophäe im Triumph durch die feindliche Stadt mit fort.

So erreichten wir den Licking, fanden aber die hinüberführende Brücke dicht besetzt, um uns den Uebergang zu verlegen, der nun mit dem Bajonnet durch die vordere Reihe unserer Schützen forcirt werden mußte. Auch dieses Manöver gelang vortrefflich ohne Blutvergießen, und wir waren nun glücklich wenigstens bis Newport gekommen; gelang es vollends das Ferryboot zu gewinnen, das uns in das halbdeutsche Cincinnati hinüberbringen sollte, so war wenig mehr zu fürchten; allein noch standen wir auf dem Sclavenboden Kentucky’s, noch stieg die Gefahr unserer Lage mit dem immer gewaltiger anwachsenden Tumult der feindlichen Menge, welche das Geheul der Sturmglocken nun auch aus Newport gegen uns in Bewegung setzte, während es im Rücken von Covington her über die Lickingbrücke unablässig nachwogte. Dabei mußten wir, was besonders bedenklich schien, stets sorgfältig vermeiden von den Waffen Gebrauch zu machen, wodurch die Erbitterung der Amerikaner noch mehr herausgefordert worden wäre; nur durch unerschütterliche Festigkeit und Besonnenheit konnte es der kleinen, aber wohldisciplinirten Schaar gelingen, das rettende Ferryboot zu erreichen. Allein das Glück blieb uns treu; mit drohend vorgehaltenem Bajonnet bahnten wir uns Schritt für Schritt einen Weg und langten jetzt am Ohio an – aber da war weit und breit kein Ferryboot zu schauen, man hatte schon vorgesorgt uns den Rückzug abzuschneiden, wir sollten, so schien es, wie in einer Mausfalle in den Straßen von Newport aufgehoben oder wenigstens genöthigt werden, uns der Rache der Yankees auf Gnade oder Ungnade zu ergeben. War auch der Marsch durch die feindlichen Städte ein glückliches Abenteuer zu nennen, so stellte sich nunmehr die Situation höchst ernsthaft und kritisch, und bildete einen merkwürdigen Gegensatz zu den heiteren, gemüthlichen Stunden des heutigen Festes. Was sollten wir tun? vor uns der breite Strom, hinter uns die zahllose Menge, die es mit aller Gewalt auf unser Verderben abgesehen hatte! Von Ergebung – darin waren wir einig – durfte keine Rede sein.

In dieser Klemme galt es einen schnellen Entschluß zu fassen.

Es geschah. Dieser bestand darin, uns rasch rückwärts wendend womöglich zur Turnhalle von Newport durchzuschlagen, die gegen die ersten Angriffe ein vorläufiges Asyl gewähren konnte, bis die Aufregung wieder einigermaßen nachgelassen haben würde, und friedlich zu unterhandeln. In völlige Schlachtordnung aufgestellt und zum Aeußersten entschlossen, sollte vorerst der Versuch gemacht werden, ob sich die dichten Massen nicht vielleicht durch eine blinde Salve zertheilen ließen, um durchzudringen, indem wir dabei auf die Feigheit der Rowdies speculirten, welche zwar, wie das Gesindel der großen Städte überhaupt, bei solchen Gelegenheiten stets vorndran sind, aber auch im Davonlaufen, wenn es Ernst wird, voranzugehen pflegen und dann natürlich auch die Muthigeren mit sich ziehen. Wir hatten richtig gerechnet. Kaum pfiffen die sicher gezielten Kugeln unserer wackeren Schützen dicht über die Köpfe der Menge hin, so gab es Luft, die wir im günstigen Moment schnell benutzten, um mit dem Bajonnet nachzudringen, ehe die Angreifer Zeit hatten sich vom ersten Schreck zu erholen und sich wieder zu stellen. Glücklicherweise gestattete die Nacht und das dichte Gedränge den Yankees nur einen sehr beschränkten Gebrauch der Revolver, auch Steinwürfe konnten uns wenig anhaben. Nur von den Fenstern herab hätte man uns schaden können, allein die anständigeren Bewohner der Stadt, die in den Hauptstraßen wohnen, waren ehrenhaft und vernünftig genug, uns unbehelligt zu lassen. So konnte daher, nachdem einmal der dichteste Knäuel durchbrochen war und wir die Menge nunmehr im Rücken hatten, der Marsch auf die Turnhalle nicht mehr ernstlich aufgehalten werden. Mit leichter Mühe wurden die Nachdrängenden durch die hintere Abtheilung unserer Schützen im Schach gehalten, und wir erreichten bald das Obdach der deutschen Turnhalle von Newport.

Jetzt kamen endlich die Behörden der Stadt zur Besinnung. Sie hatten, durch die Kugeln unserer Schützen belehrt, begreifen lernen, daß es denn doch auch für die sprüchwörtliche Geduld der Deutschen ein gewisses Maß gäbe, und taten jetzt, was sie, statt uns durch ihre Häscher wie Strauchdiebe aufgreifen lassen zu wollen, gleich von Anfang an hätten thun sollen: sie unterhandelten.

Das Ende war, daß wir gegen Ehrenwort, uns vor Gericht zu stellen, freien Abzug erhielten. Drei wackere deutsche Bürger, Bierbrauer Constantin aus Covington, ein geborner Elsässer, Eisenwerkbesitzer Wolf aus Cincinnati, ein geborner Pfälzer, und ein zweiter Elsässer, dessen Name mir entfallen ist, leisteten, indem sie selbstaufopfernd für ihre Landsleute eintraten, die ungeheure Caution von 106,000 Dollars.

Wir wählten den Richter Stallo aus Cincinnati, einen der intelligentesten Deutschen Amerikas, zu unserem Anwalt vor dem Gerichtshof von Covington. Dieser führte die Vertheidigung mit glänzender Beredsamkeit. Der Gerichtsanwalt Advocat Stevens von Cevington hatte in Ermangelung besserer Gründe u. A. gesagt: „ist es nicht empörend für uns, diese Fremdlinge gleich Cäsaren in unserer Mitte einherschreiten zu sehen?“ worauf ihm Stallo entgegnete: „er danke ihm für das Compliment und sei stolz darauf, Landsleute zu besitzen, die wie Cäsaren einherschritten.“ In dieser und ähnlicher Weise dauerte der Proceß über ein Jahr lang fort. Rechtlich konnte man uns Nichts anhaben, wir waren eine vom Congreß anerkannte Corporation und der rohe Ueberfall der Polizei von Covington eine entschieden gesetzwidrige Handlung. Ueberdies waren die beiden verwundeten Polizisten glücklicherweise mit dem Leben davongekommen.

Während der Dauer der Verhandlungen hatten sich unsere Leute theilweise wieder in andere Städte des weiten Amerika’s zerstreut; so oft aber einer vorgeladen wurde, so erschien er pünktlich an dem bestimmten Tage vor Gericht, manchmal aus einer Entfernung von 5–600 Stunden, wo er gerade jeweilig in Condition stand. Solche Festigkeit des gegebenen Ehrenworts flößte selbst den Yankees Achtung ein, so daß sie nicht umhin konnten, in ihren Blättern anzuerkennen: „das müsse man diesen Deutschen denn doch nachsagen, daß sie im Worthalten sich nicht überbieten ließen.“ So bewährte sich auch unter diesem den Deutschen sonst so mißgünstigen Volk wieder die alte deutsche Treue, welche schon vor 2000 Jahren die Römer unseren Vätern nachrühmten.

Endlich konnte die Gerechtigkeit unserer Sache unmöglich länger angefochten werden. Sämmtliche Mitglieder der Turngemeinden von Cincinnati, Newport und Covington wurden freigesprochen.

So hatte die Ehre der deutschen Turner einen glänzenden Triumph über niedrigen Haß und Neid davongetragen, wodurch natürlich die Achtung vor unseren Fahnen in den Augen der ganzen Bevölkerung der Amerikaner und Deutschen nicht wenig stieg und Niemand mehr so leicht wagen mochte, den „gleich Cäsaren einherschreitenden Dutchmen“ den Handschuh hinzuwerfen. Nur einen einzigen Verwundeten hatten wir in diesem Kampf zu beklagen, nämlich – den Klingelbaum unserer Musikbande, welcher in Folge der erhaltenen Steinwürfe seither ziemliche Scharten aufzuweisen hat und so das Wahrzeichen des Festes der Fahnenweihe von Covington geworden ist.

Bald darauf verließ ich die schöne Stadt Cincinnati, wo deutscher Fleiß und Ehrenhaftigkeit, vom Vaterland getrennt, sich ganz aus eigener Kraft eine neue Stätte schufen, und kehrte wegen Familienverhältnissen in meine schwäbische Heimath, am Fuß der Alb, zurück. Seiter hat sich drüben Vieles geändert. Beim Beginn des Kriegs mit den Sclavenstaaten stürzten sich die deutschen Turnerschaaren voll Begeisterung zuvörderst in den Kampf, worin

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 479. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_479.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)