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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

mit dem Domcapitel und der Bürgerschaft noch einen letzten Versuch; sie schickten den Domherrn Käs von der Osterburg, des Bischofs Rath und vertrauten Freund, in das Gemach, der sich des erhaltenen Auftrags in würdigster Weise entledigte, indem er eine gehaltvolle eindringliche Rede über das Thema: Vergieb uns unsere Schuld, wie wir unsern Schuldnern vergeben, hielt und die menschliche Barmherzigkeit als nothwendig aus der göttlichen ableitete. Der Bischof hörte ihn ruhig an und fragte dann eben so: „Sagt mir doch, wie hieß der alte Römer, der seine beiden Söhne enthaupten ließ?“

„Die Söhne des Lucius Junius Brutus hatten das ganze Vaterland beschimpft, und diese Schmach mußten sie mit dem Leben büßen; Euer Neffe hat ein einzelnes niederes Bürgermägdlein verletzt. Sie vergiebt ihm, ihr Vater vergiebt ihm, die erst erbosten Bürger vergeben ihm. Da ist denn doch ein gewaltiger Unterschied zwischen der Schuld der Brutussöhne und der des Rabensburgers.“

„Wer den Theil verletzt, beleidigt das Ganze. Ich selber habe die Auffrischung des Gesetzes gegen Nothzüchter beantragt, und sollte nun selbst zuerst die Spitze desselben gegen meinen Neffen abbrechen? Auch die römischen Consuln würden Jungfrauenschänder haben hinrichten lassen, wenn das Gesetz es vorgeschrieben hätte.“

„Auch ist,“ fuhr der Domherr fort, „zwischen der altrömischen und der deutschen Denkungsart ein großer Unterschied. Jene gefiel sich in schroffer Strenge; wir lieben Mäßigung und Milde.“

Der Bischof deutete auf ein vor ihm liegendes Buch mit der Frage: „Was meint Ihr, waren die Sigambern nicht ein deutscher Volksstamm?“

Der Domherr, dem die Absicht dieser Frage dunkel blieb, versetzte nach einigem Zaudern: „Gewiß waren sie das! Sind sie doch die Väter des Frankenstammes, und der Franke ist mit Recht stolz auf solche Abstammung.“

„Wohl, so hört denn eine sigambrische, altfränkische oder deutsche Geschichte!“ Und der Bischof las aus dem Buche Folgendes: „Vor Alters lebte ein Herzog der Sigambern, Namens Basan, ein Mann, so fest, gerecht und tugendhaft, daß sein Volk den Lebenden eben so liebte und fürchtete, als dem Todten göttliche Ehre erwies. Sein Sohn Sedan, ein schöner, aber leichtfertiger Jüngling, verführte das Weib eines armen Mannes, nahm es mit Gewalt hinweg und lebte mit der Buhle in sündiger Gemeinschaft. Der geschädigte Mann trat klagend vor den Herzog, der ihn anhörte und beruhigte, den Handel untersuchte und, als er des Klägers Aussage wahr befunden, dem schuldigen Sohne die Strafe des Todes zuerkannte. Drauf traten die Großen des Reichs vor den Richterstuhl und baten um das Leben ihres künftigen Oberhauptes. Der greise Richter aber entgegnete: „Streitet nicht, ihr sonst so starken Männer, wider die Gerechtigkeit, damit euer Arm nicht im ungleichen Kampfe erschlaffe! Denn leichter ist’s, den Sturmwind mitten in seinem Laufe zu hemmen, als meinen Willen von der Bahn des Gesetzes abzuwenden.“ Die Fürsten schwiegen; Basan zog sein Schwert, und die Wohlgestalt des gefesselten Jünglings noch einmal mit dem Blicke väterlicher Liebe messend, durchbohrte er ihn mit den Worten: „Mein Sohn, nicht Dein Vater tödtet Dich, sondern das um Sühne schreiende Gesetz.“ – Da stürzte des Herzogs Gemahlin, die Mutter des Hingerichteten, herbei, warf sich im wüthenden Mutterschmerze über des geliebten Sohnes Leiche und schalt den Gemahl einen Mörder und Barbaren. Der gerechte Fürst sprach zu ihr vor allem Volke. „Weib, Dir kommt es zu, Deinem Herrn zu gehorchen, nicht aber Deinen Gatten und Herzog zu beschimpfen. Ich schwöre Dir bei dem höchsten Gotte, wäre ich in diesem Augenblicke nicht von Leidenschaft bewegt, ich würde auch Dich sogleich mit diesem Schwerte erschlagen, obgleich Du mir das Teuerste auf der Welt bist.“ Nach Verlauf einer Woche, als des Herzogs Schmerz über des Sohnes Tod gemildert und sein Unwille über die von der Gattin erfahrene Beschimpfung erloschen war, berief er die Fürsten und Aeltesten des Volkes und verstieß vor der Versammlung die von ihm so sehr geliebte Gemahlin, indem er sie mit Schätzen zu ihrem Vater zurückschickte. Seit dieser Zeit nannte das sigambrische Volk Basan’s Namen als gleichbedeutend mit dem Worte Gerechtigkeit, und noch lange nach des streng gerechten Herzogs Tode riefen die Sigambern einem strauchelnden Stammesgenossen und die Eltern einem strafbaren Kinde zu: Kennst du den großen Basan nicht?“ Der Bischof legte das Buch bei Seite und fuhr fort: „Dieser einst starke Arm ist jetzt zu schwach, um dem Beispiele des Sigambern zu folgen und dem Frevler eine schmählichere Todesart zu ersparen. Auch lassen unsere Zeit und unser Glaube ein solches Verfahren nicht zu. Und so muß der Verbrecher unter dem Henkersschwerte sterben!“

Mit diesem Bescheid zog der Domherr ab. Der Bischof aber wanderte wieder händeringend und bitterlich weinend durch seine einsamen Gemächer, so daß die Diener draußen selbst in Jammer ausbrachen. Sie hörten ihren schwerbelasteten Herrn in die kummervollen Worte ausbrechen: „Unseliger! Der Ohm wird über der Leiche des Neffen zu Grabe fahren, der Herzog aber muß den Verbrecher enthaupten lassen!“ Und hinaus tretend, gebot er dem im Vorzimmer harrenden Blutbann die ungesäumte Vollstreckung des Urtheils. Der Stöcker that seine Pflicht, die Bürger zogen von der Richtstätte in den Bruderhof und dankten dem Bischof für seine strenge Gerechtigkeit, er aber durchwachte die Nacht in Schmerz und Trauer um den geliebten Neffen.

In der Frühe des folgenden Morgens schickte er sich an, im nahen Dorfe die Messe zu lesen. Allein und in sich gekehrt, das kummervolle Haupt gebeugt, trat er aus dem Bruderhof auf die Straße. Da standen vier Männer, deren er nicht achtete. Bei ihnen angekommen, sah er sich plötzlich von ihren geschwungenen Schwertern bedroht. Der Arm, den er zum Schutz gegen sie erhob, wurde ihm im Nu durch den ersten Hieb vom Leibe getrennt; die folgenden Streiche trafen das ehrwürdige Haupt des wehrlosen Greises, der unter ihnen den Geist aufgab. Die Mörder waren seine beiden Neffen Bodo von Rabensburg und Hund von Falkenberg mit ihren Knechten, deren Rachedurst ihm an der Leiche ihres Genossen den Tod geschworen hatte. Auf ihren bereitgehaltenen Rossen flohen sie aus der Stadt, deren Straßen vom Mordioruf und dem Schalle der Sturmglocken ertönten. Das Volk stürzte aus den Häusern, die Schreckenskunde verbreitete sich schnell, und Alles strömte zum Dome, wohin die Leiche des allverehrten Oberhirten getragen worden war. Der Name der Mörder flog mit Verwünschungen und Wuthgeschrei von Mund zu Mund; jede Hand bewaffnete sich, und Schaar an Schaar drängte aus dem Thore thalabwärts der Rabensburg zu, die erstürmt und der Erde gleich gemacht wurde. Ein anderer Haufe zertrümmerte die Neuenburg, ebenfalls ein Haus der Rabensburger bei Triefenstein. Dann loderte der Stammsitz der Falkenberger in Flammen auf, und was sich von den Angehörigen und Dienstmannen der beiden Familien nicht durch eilige Flucht rettete, fiel durch das Schwert der schonungslosen Rächer. Erst als alle Habe der Rabensburger und Falkenberger verwüstet, alle ihre Leute, die zu erreichen gewesen, erschlagen waren, kehrten die Bürger zur Stadt zurück, um den edlen Märtyrer der Gerechtigkeit mit großer Trauerpracht zu bestatten und an die Stelle der Mordthat eine Denksäule zu setzen. Dort steht sie noch, wenn auch erneuert, an der Wand des Hauses, mit dem alten lateinischen Distichon versehen, welches freilich die tiefe sittliche Bedeutung des Steines nicht bezeichnet. Sonst enthält der Stein nur noch den Todestag des Bischofs und keinen Namen, keine Angabe der That. Und da er an der Wand steht, wird er von Fremden nicht groß beachtet.

Die Mörder flohen nach Rom, um sich vom Papst Absolution für ihr Verbrechen zu erflehen, vertrauend auf den Umstand, daß der erschlagene Bischof früher im Kirchenbann gelegen. Jedermann verlangte den Tod der Mörder, Innocenz schenkte ihnen das Leben. Das ist charakteristisch für die Gerechtigkeitsliebe des Statthalters Christi. Was er den scheußlichen Blutmenschen als Buße auferlegte, war doch nur elendes Komödienspiel: sie sollten einem Kreuzzuge beiwohnen und nur gegen die Saracenen und zur eignen Lebensrettung die Waffen führen dürfen. Bis zu ihrer Fahrt nach dem gelobten Lande sollten sie barfuß im Linnenkittel einhergehen, nur an den drei höchsten Feiertagen und während des Kreuzzuges nur Sonntags Fleisch essen, an drei Wochen- und vielen andern Jahrestagen bei Wasser und Brod fasten. Ferner sollten sie weder Pelzwerk, noch farbige Tücher tragen, an keiner öffentlichen Festlichkeit oder Gelag Theil nehmen, täglich hundertmal das Vaterunser auf den Knieen beten, das Sacrament nur in Todesnot empfangen, in jeder größern deutschen Stadt halbnackt, Weiden um den Hals, Ruten unter dem Arme in die Kirche gehen und von den Priestern Züchtigung begehren und, um den Grund befragt, laut ihre Missetat bekennen, in Würzburg selbst aber, wofern sie da Sicherheit wünschten, zu Ostern, Pfingsten,

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