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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Bord hing ein rother Shawl, so daß seine Fransen in den Wellen nachschleiften. Sie war beschäftigt, aus schlanken Tannenzweigen und Steinmispeln, denen sie allerlei Blumen einflocht, einen Kranz zu binden. Prüfend hielt sie ihn empor und warf ihn Hans zu, der ihn wie eine Trophäe auf dem Schnabel des Schiffes befestigte. Eh’ er sich wieder niedersetzte, schwang er den Hut und jauchzte so laut, daß einige Fremde vom Wirthshaus neugierig auf den Söller stürzten. Ich selbst, obwohl an die Ausbrüche älplerischer Lustigkeit längst gewöhnt, war doch ein wenig über die laute Freude des schwarzen Hans erstaunt und ergriff das Ruder. Scheinbar gleichgültig auf dem See hin und her lavirend, gelangte ich endlich in die Nähe des Schiffes und konnte mir die Dame genau betrachten. Sie mochte das dreißigste Jahr bereits überschritten haben, doch war ihr freundliches Gesicht, aus welchem ein Paar dunkle Augen blitzten, noch immer schön, obgleich es den Blüthenhauch der ersten Jugend nicht mehr besaß, der selbst häßlichen Mädchen einen großen Zauber verleiht. In den Jahren war sie zwar vorgerückt, in der Mode jedoch zurückgeblieben. Ihre Kleidung zeigte nichts Auffälliges, doch erschien sie dem Städter, der an steten Wechsel gewöhnt ist, trotz einer großen Zierlichkeit veraltet. Das galt freilich nicht von den Stoffen, die, mit Geschmack ausgewählt, durchaus nicht auf eine Trödelbude deuteten, sondern erst vor Kurzem frisch aus dem Laden gekommen und verarbeitet sein mußten. Ich schloß aus dieser Eigenthümlichkeit, daß die Dame nicht vermählt, sondern noch ledig sei; denn bei alten Jungfrauen begegnet man derlei Angewöhnungen ziemlich häufig. Hätte sie einen garstigen Mops bei sich gehabt, so wäre wohl kein Zweifel gewesen. Hans grüßte mich nur flüchtig, er war zu sehr mit interessantern Dingen beschäftigt, und ich vergaß nachträglich, im Wirthshaus mich nach der Fremden zu erkundigen, welche auch beim Abendessen nicht sichtbar wurde, vermuthlich speiste sie auf ihrem Zimmer. Jetzt erinnerte ich mich an diese Umstände und theilte sie Benedicta mit.

„Das ist die Baronin, die ihn geheirathet hat,“ sagte sie.

„Sie hat ihn geheirathet, nicht er sie?“

„Nun ja freilich! Oder war es für den Hans nicht eine rechte Gnade, daß sie ihn mochte? Jetzt hat er’s gut, recht gut, trinkt alle Abend sein Bier, raucht feinen Tabak, ja sogar bisweilen Cigarren und befiehlt selbst Knechten und Mägden, während er sonst hätt’ ein armer Senner bleiben mögen sein Lebenlang. Denn er hat nichts gehabt, als die paar Kreuzerle Lohn und zu Weihnachten ein neues Rupfenhemd, grob wie ein Salzsack; er ist aber auch seiner Frau recht dankbar und hat’s lieb von Herzen, wie sich’s für ordentliche Ehleut’ schickt. Jetzt will ich aber mit der Geschichte anfangen.

Die Baronesse Aurelie von Güstrow war eigentlich anfangs eine arme Haut, sie hat nichts gehabt und die Hofdame bei einer deutschen Fürstin machen müssen. Da mußte sie das Gnadenbrod essen viele Jahre lang, weil sie sich aber nirgends einmischte, so hat sie gerade dadurch die Gunst der Gnädigen gewonnen, damit jedoch ungeheuren Verdruß; denn der Neid, so sagen sie, ist das wüsteste Laster bei Hofe. Andere aber haben ihr den Hof gemacht; man kann sich’s einbilden, wie, insbesondere ein Lieutenant, der gewiß durch ihre Fürsprach’ hätt’ General werden mögen. Die Sach’ war schon richtig, nicht mit dem General, sondern mit dem Heirathen, aber der Mensch denkt und Gott lenkt. Unvermuthet hat die Fürstin die Augen geschlossen, und aus war’s, als ob man einen Bach abkehrt hätt’. Das Hofgesindel hat die arme Baronesse nicht mehr angeschaut, vom Lieutenant ist ein Briefl dahergeflogen, es seien plötzlich Hindernisse eingetreten, er könne sich, ohne den Fluch des Vaters auf sich zu laden, nicht vermählen, wolle jedoch stets ihr Bild in seinem betrübten Herzen herumtragen. Sie hat ihm gleich geantwortet, es sei recht schön, daß er so auf das vierte Gebot achte, ihretwegen möge er sich jedoch keine Sorge machen, sie sei stets gewohnt, selbst auf sich zu schauen. So blieb’s, bis man bei Gericht das Testament der Fürstin aufgemacht hat. Da stund darin, sie vermache der Baronesse, weil sie ihr stets in Treue zugethan, 30,000 Thaler, daß sie frei und unabhängig leben könne.

Ein schönes Maul voll Geld! Da hätt’ man aber sehen sollen, wie der Lieutenant wieder daher gehüpft ist; denn da droben seien zwar die meisten Officiere adelig, aber große Hungerleider. Sie hat ihm jedoch das hintere Thürl aufgethan und ihn laufen lassen.

Der Vogel singt freilich dort am liebsten, wo er aus dem Ei gekrochen, dem Menschen kann aber sogar die Heimath verleiden, das süßeste, wenn ihm die Nächsten Galle hineingießen; so war’s auch mit der Baronin. Es ist gewiß Herzensgut, bei dem Anblick all’ der falschen Gesichter überkam es sie jedoch fast wie Menschenhaß und sie wurde völlig leutscheu. Da hat sie beschlossen den alten Faden ganz abzureißen und ein neues Leben anzufangen. Droben konnte sie es nicht, da traten ihr überall die alten Gespenster entgegen, und gerade diesen wollte sie aus dem Wege gehen. Eine Zeitlang hat sie hin und her überlegt, wo aus? Sollte sie sich in einer andern Stadt ansiedeln? Sie mußte fürchten auch hier Bekannte zu treffen, denn die deutsche Noblesse schmarotzt ja an allen Höfen herum. Wie würden diese Schranzen die Nasen gerümpft und über die alte Jungfrau gespottet haben, die sich aus dem fürstlichen Paradies in die Verbannung gezogen! Sie beschloß einen abgelegenen Winkel zu suchen, setzte sich auf die Eisenbahn und gerieth in’s Tyrol. – Zu Gargan sind Sie wohl schon gewesen, das Dörflein liegt von niedern Hügeln umgürtet, über welche das Sonnenwendjoch hereinschaut, wie auf einem Präsentirteller; thät ich mich einmal pensioniren, so wüßt’ ich kein netteres Plätzchen, auf die vier letzten Ding zu warten. Sie kam auch gerade im Frühling an, wo die ganze Welt lacht und jubelt; wie hätt’ es ihr nicht gefallen sollen? Erinnern Sie sich vielleicht an das kleine einstöckige Häuschen auf der Straße nach Jenbach? Ist’s nicht so nett und zierlich, als käme es aus einem Schächtelchen? Die hohen Nuß- und Aepfelbäume verstecken es fast, und so mögen Sie es wohl übersehen haben.“

„Auf dem abgestutzten Giebel dreht sich ein Wetterhahn von Blech, die Jalousien sind grün angestrichen, rechts von der Thür hinter dem Zaun steht ein Kreuz zwischen Geisblatt und Rosenhecken. Ist es das?“

„Ja! Vor diesem Häuschen, welches damals freilich nicht so elegant aussah wie jetzt, blieb die Baronin stehen und betrachtete es nachdenklich von oben bis unten. Schon legte sie die Hand auf die Klinke des Gitters, konnte jedoch zu keinem Entschluß kommen. Da trat ein alter Mann heraus, nach einem Blick in’s Freie rief er zurück: „„Bringt nur das Essen vor die Thür, die Wolken haben sich verzogen, es ist kein Spritzer zu besorgen.““ Nach einer Weile erschien ein Mädchen, in den Händen eine flache Schüssel, aus der die Fisolensuppe dampfte. Sie stellte dieselbe vor den Alten auf den Tisch. Als sie forteilen wollte, die Löffel zu holen, bemerkte sie die Baronin. „„Du,““ sagte sie zum Vater, „„da schaut uns Jemand über den Zaun herein zu.““ Er hielt die Hand über die Augen, um sich vor den Sonnenstrahlen zu schützen, und betrachtete die Fremde aufmerksam. Dann erhob er sich langsam und rief einige Schritte vortretend: „„Magst etwa mithalten, wir haben Alle genug!““ So ist’s im Unterinnthal der Brauch, da sind die Bauern nicht so nothig und gönnen einem Hungerigen gern einen Löffel voll.

Das hat der Baronin gefallen. Sie nahm die Einladung an, wie einen Wink des Schicksals; die alte Bäuerin humpelte auch daher, und so aßen sie alle vier ruhig und friedlich. Nach dem Beten hat sie gefragt, ob sie ihr nicht ein Stübchen einräumen möchten, sie sei eine alte Jungfer und brauche nicht viel Pflege. Geld zum Zahlen besitze sie hinlänglich. Die haben freilich dreingeschaut und gemeint, sie sei närrisch, und die Händ über dem Kopf zusammengeschlagen, daß eine so vornehme Frau bei ihnen bleiben wolle, endlich aber, weil sie auf keine andere Gedanken zu bringen war, doch eingewilligt. Der Bauer hatte das Gut bereits dem ältesten Sohn übergeben, und sich nebst Weib und Tochter in das Häuschen zurückgezogen, nachdem er sich jährlich eine Summe Geld, Korn und Schmalz ausbedungen.

Sie glauben vielleicht, die Baronin habe zu jenen überspannten Städtern gehört, wie sie wohl auch mir in das Haus laufen und meinen, auf dem Lande sei lauter Schönheit, Rechtschaffenheit und Tugend? Dem ist nicht so. Sie war im Lauf der Welt sattsam gewitzigt, und wußte gar wohl, daß einer, der den Lodenkittel trägt, deswegen nicht besser als der im Frack ist. Hab’ mein Lebtag unter den Bauern gelebt, und muß doch lachen, wenn ich les’ wie man sie jetzt hinaufsetzt, als ob Bildung und Gelehrsamkeit fast nur bei Lumpen anzutreffen sei. Menschen bleiben eben Menschen, mögen sie nun dieses oder ein anderes Röcklein tragen. Unter den Herrschaften, welche mich im Sommer beehren, habe ich recht viel kennen gelernt, die so gut, ja besser sind als die besten Bauern. Doch Ihnen brauche ich das nicht zu sagen, Sie haben es so gut erfahren wie ich, und die Baronin verstand es auch. Was sie suchte,

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