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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

fremd gewesen, sprach sie: „Schmach über Dich, der Du den Abwesenden verleumdest, um seine Stelle zu erringen! Schande über Dich, der Du ihn der Untreue beschuldigst und mich zur Meineidigen machen möchtest! Wo ist jetzt das Erbtheil Eueres edeln Volksstammes, Herr Larsson, jenes Herz, das von keinem Falsch weiß, jenes Gewissen, das rein wie der Schnee ist, und jene friesische Ehre, die kein Flecken trübt? In Worten, in glatten, glänzenden Worten besteht Euer Ruhm, edler Friese! Euere Thaten sind schwarz, dunkel wie die Nacht, und darum fort von hier, mir aus den Augen für immer und ewig!“

Erich Larsson war aufgesprungen. Wie ein verwundeter Löwe stand er vor dem Mädchen – dem Kinde, und als sie geendet, zeigten ihr seine flammenden Augen zu ihrem Entsetzen, was sie im aufwallenden Zorne gethan.

„Erich!“ rief sie bebend, kaum hörbar.

Er schreckte zusammen.

„Verzeih!“ bat sie innig und versuchte seine Hand zu fassen.

Wäre ihm die giftigste Natter zu nahe gekommen, erschrockener hätte er nicht zurückweichen können. Noch einmal sah er sie an, eine kurze, eine flüchtige Minute, sah sie an mit Augen, in denen eine Welt von Gefühlen und Gedanken, aber kein Blick von Verzeihung lag, dann wandte er sich ab und hatte in der nächsten Secunde den Schauplatz seiner kurzen Schmach, den Ort, der einst der Schauplatz all seiner Freuden gewesen, verlassen, verlassen auf immer.

„Erich! Erich!“ rief Ingeborg ihm flehend nach. Es war vergebens, er kehrte nicht zurück!




Drei Jahre sind vergangen. Es ist ein heißer Sommertag und über Sylt wölbt sich der Himmel in wolkenloser Bläue. Die Luft ist schwül, wie sie die Insel selten kennt. Von der Küste stößt ein kleines Boot ab, in dem rudernd zwei Personen sitzen. Sie schaukeln auf den nur leicht bewegten Wogen des Meeres, welches das reine Blau des Himmels wiederspiegelt. Hell schimmert das weiße Segel in der Sonne und an der Spitze des schlanken Mastes flattert ein purpurrothes Wimpel. So gleitet das Schiffchen dahin, der Meeresküste entlang. Die Beiden, die ihr Leben diesem schwankenden Fahrzeug und ihrer schwachen Kraft anvertraut, reden mit einander und scheinen den duftigen Wolkenschleier nicht zu bemerken, der jetzt im fernen Westen, über dem Meere wie aus den Wogen aufsteigt, das Blau des Himmels und das Blau des Wassers in schmalem Bande durchschneidend.

„Gott sei Dank, Ingeborg!“ ruft der Mann im Boote aus, „nun ist’s endlich wie einst, der Verbannte hat zurückkehren dürfen und Du bist ihm von Neuem geschenkt; aber furchtbar, entsetzlich war diese Zeit, diese Trennung von Dir!“

Der leichte Schatten, der über dem einst so sonnigen Antlitze Ingeborg’s lag, wurde dunkler.

„Lassen wir die Vergangenheit ruhen, Oscar,“ entgegnete sie hastig, „leben wir einzig der Gegenwart! Sieh, wie schön Meer und Himmel sind.“

„Licht! Licht wie unser Leben sein wird, wenn Du Geliebte nun endlich ganz die Meine bist!“

Ihr Ruder schlug rascher und heftiger in die blaue Fluth, und der Stoß trieb sie weiter ab von der Küste.

„Halten wir uns näher am Lande!“ rief der junge Mann mit deutlich erkennbarer Besorgniß.

„Fürchtest Du Dich?“ fragte sie ernst und richtete das blaue Auge fest auf ihn.

„Fürchten?“ wiederholte er lachend, wenn auch ein wenig gezwungen, „o nein! ich habe blos Deiner Tante fest versprochen, uns nicht von der Küste zu entfernen, im Fall Petersen nicht mit uns fahre. Wir sind allein, und darum muß ich mein Wort halten.“

Was war’s für ein Lächeln, das jetzt Ingeborg’s Mund umspielte? Verschieden, ach ganz verschieden von jenem süßen, jenem lieben und unschuldigen Lächeln, das einst die vollen Lippen kräuselte, das wir an jenem Tage an ihr kennen lernten, wo ihr Glück schattenlos war und der Geliebte noch keine Proben seiner Treue abgelegt hatte!

Die starke Anstrengung Oscar’s, das Boot in die Linie zurückzubringen, die er seinem Versprechen angemessen fand, erzielte das Gegentheil, weil er in der Aufregung Steuer und Ruder falsch gebrauchte. Sie schnellten eine Strecke weiter in’s Meer hinaus. Aus seinem Gesichte schwand die Farbe; Ingeborg lachte hell auf, verstummte aber in der nächsten Secunde und fragte erschrocken: „Bist Du unwohl oder in der That so furchtsam? Ich bitte Dich, laß uns landen,“ setzte sie rasch hinzu, „Du bist todtenbleich.“

Der Verlobte wollte um jeden Preis seine Ehre retten. Er blickte seine Braut mit möglichster Ruhe an und sprach lächelnd: „Ich muß mein Wort schon brechen, um der muthigen Ingeborg nur zu beweisen, daß ich weder furchtsam bin, noch krank werde von einem bischen Wellenschlag.“

Er steuerte weiter in’s Meer, und sie ließ es, in Gedanken verloren, geschehen, denn ihr Blick hatte oben auf dem Kamm der Düne eine Gestalt getroffen, die unbeweglich dort stand und sich in scharfen dunkeln Umrissen vom lichten Horizonte abhob, und schaute starr nach ihr hin. Nach einigen Minuten war die Gestalt verschwunden. Sie war aber nicht gegangen. Den Blick auf das Meer geheftet, lag sie auf ihren Knieen; doch kein Gebet, nur die Frage brach sich Bahn über die bebenden Lippen: „Kannst Du es zulassen in Deiner Gerechtigkeit, daß er triumphirt und ich leide?“

„Nanna, bist Du das?“ fragte eine Stimme am Fuß der Dünen. „Was machst Du dort?“

„Ich raste ein wenig hier oben!“ entgegnete Nanna Hansen ruhig und saß wirklich ruhig in einer Höhlung der Düne, als die Fragerin den wellenförmigen Hügel erkletterte. Auch sie war eine unserer Bekannten, eins der Seemannskinder, jene muntere Alfhilde, nun seit zwei Jahren die Frau eines Schiffscapitains und zwar die des Arnulf Braderöp von Föhr, den Nanna nicht erhört und der sich mit Alfhilde getröstet hatte.

„Wie kommst Du nach Sylt?“ fragte Nanna.

„Um diesen Schatz, diesen prächtigen Knaben endlich meiner Mutter zu zeigen. Sieh ihn Dir an, dies Wunder von Geschöpfchen!“

Sie legte bei den Worten ein schlafendes Kind in Nanna’s Schooß, wischte sich den Schweiß von der Stirn, nahm neben ihr Platz und sagte ernst: „Ich war bei Larssons. Gott, wie krank die arme Frau ist! Der alte Knud meinte, sie erlebe den Abend nicht.“

„Sahst Du Erich?“

„Ja, und wie er drein schaut! dazu verfallen, daß man ihn für eine Leiche halten könnte, tobte er nicht so wild umher.“

„Sein ganzes Herz hängt an der Mutter, Alfhilde, an dieser armen Mutter, die ihren Sohn drei volle Jahre nicht gesehen.“

„Sein ganzes? Höre, Nanna, ich glaube, was Erich Larsson von Herz besitzt, und Alle sagen, viel sei das nicht, hängt an Ingeborg Fordenskiöld.“

„Wer Erich Larsson das Herz abspricht, versteht sich wenig auf’s Urtheilen. Wir, wir, Alfhilde, die wir ihn kennen, seit den Kindertagen, wissen besser, was hinter seiner rauhen Außenseite verborgen schlägt. Wie kommst Du übrigens auf den Unverstand zu denken, daß er Ingeborg liebt?“

„Weil ich ihn eben, wie Du sagst, seit den Kindertagen kenne; weil ich weiß, wie sehr er sich gegen sonst verändert hat.“

Nanna beugte sich auf das Kind herab und sagte ernst: „Ich denke, Du irrst!“ leise hinzusetzend: „fast glaub’ ich, er haßt sie!“

„Irren?“ rief Alfhilde, „nein, Nanna, sein Großvater denkt’s auch, er sagt sogar, diese Liebe habe Erich ganz verdreht gemacht, habe ihm die tolle Idee in den Kopf gesetzt, zu den Preußen überzugehen und Soldat zu werden, jetzt wo gerade sein Onkel gestorben war und ihn zum alleinigen Erben seines Vermögens eingesetzt hatte.“

„Nun eben, weil er Geld hatte, konnte er thun, was er wollte: Kaufmann war er nie gern; Soldat oder Seemann, dahin ging von jeher stets sein Streben.“

„Aber der Grund, Nanna, der Grund, der ihn bewogen …“

„Wird kein anderer sein, als daß Erich hofft und denkt, mit den Preußen noch einmal gegen Dänemark in’s Feld zu ziehen und für die Rechte Schleswig-Holsteins zu kämpfen.“

„So!“ sprach die junge Frau gedehnt, „Knud Larsson meint, es sei einzig Hochmuth. Erich habe Oscar Fordenskiöld immer um seine glänzende Uniform beneidet und habe dasselbe werden wollen, was der ist.“

„Gott bewahr’ ihn, das zu werden, was Jener ist! Uebrigens scheint Knud Larsson bei Dir von seiner Schweigsamkeit abzuweichen und Dir volles Vertrauen zu schenken.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_115.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)