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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

herbeigelaufen waren, und bald waren die Schützen im Wirthshause bei dem einfachen, aber ausgiebigen Mahle versammelt und ließen der Bestellung des Sternputzers alle Anerkennung widerfahren. Sie waren lustig und guter Dinge und neckten sich mit den Bauern, die anfangs scheu, dann immer vertraulicher näher kamen. Hiesel entging es nicht, daß sie betrübte Gesichter machten, unter sich beriethen, einander wie ermuthigend anstießen und sich doch nicht zu reden getrauten.

Eben wollte er entgegenkommend sie um ihr Anliegen befragen, als vor dem Wirthshause Lärmen und Gerauf entstand. Alles eilte hinaus.

Als Hiesel hinzukam, traf er den Rothen in den Händen eines Fuhrmannes, der eben mit einem großen Frachtwagen vor dem Hause angefahren und darangegangen war, seine Pferde auszuschirren; da erblickte der Mann den Rothen, der behaglich in der Thür lehnend und mit spöttischem Lachen seiner eigenen Fuhrmannslaufbahn gedachte, und hatte ihn im nächsten Augenblick schon am Kragen gepackt und zu Boden geworfen.

„Was hast Du mit dem Mann?“ rief Hiesel. „Es ist einer von meinen Leuten – laß ihn los!“

„Wer er ist, weiß ich nicht,“ rief der Fuhrmann entgegen, „aber daß er ein Spitzbub’ ist, sag’ ich ihm vor Gott und der Welt in’s Gesicht!“

„Warum nennst Du ihn so? Was hat er gethan?“

„Ah bah, nichts,“ sagte der Rothe lachend, aber man sah ihm an, daß ihm nicht ganz wohl bei der Sache war, „es ist nichts als ein Spaß!“

„Das wär’ mir ein sauberer Spaß!“ rief der Fuhrmann. „Bei Ulm bin ich mit ihm in einer Herberg’ zusammengetroffen, ich hab’ ihn für einen ordentlichen Menschen gehalten und bei mir in der Kammer schlafen lassen – wie ich aber Morgens aufgewacht bin, da ist er fort gewesen und mein Geldbeutel mit ihm und die Brieftasche, worin alle Frachtbriefe steckten, und alle meine Zeugnisse…“

„Ist das wahr?“ rief Hiesel mit flammenden Augen.

„O, das ist noch nicht Alles,“ fuhr der Fuhrmann fort, „mit meinen Zeugnissen ist er nach Ulm zu einem Kaufmann, der hat ihm darauf hin getraut, hat ihn als Fuhrknecht angenommen und ihm einen ganzen großen Frachtwagen nach München übergeben – er aber hat Roß und Wagen in München verkauft und ist mit dem Geld auf und davon …“

Die Wildschützen machten finstere Gesichter, der Rothe war bleich bis in die Lippen, ängstlich schielte er um sich her und versuchte ein halblautes „Nicht wahr“ hervorzustottern.

„Nicht wahr?“ brach Hiesel los. „Du willst auch noch leugnen? Steht es Dir nicht auf dem Gesicht geschrieben? … Nehmt ihm Hut, Stutzen und Hirschfänger ab, Cameraden,“ fuhr er, zu diesen gewendet, fort, „zieht ihm statt des Schützenrocks einen schäbigen Kittel an – gebt ihm zwei Gulden, damit er für die ersten Tage zu leben hat, und dann fort mit ihm! Augenblicklich fort! Der Hiesel kann keinen Dieb brauchen, sondern nur ehrliche Leute, und wenn Du Dich unterstehst und Dich noch einmal in der Näh’ blicken lass’st, wo ich bin, so ist es Dein letzter Augenblick!“

Das Urtheil war wie gesprochen auch vollzogen; der Rothe ließ Alles mit sich geschehen, er war wie erstarrt, nur seine Augen funkelten und hingen grimmerfüllt an Hiesel, der sich abgewendet hatte und in’s Haus zurückkehrte. Einen Augenblick stand er noch unschlüssig, dann war er schnell hinter den Häusern verschwunden, dort kehrte er sich halb um, ballte drohend die Faust und murmelte: „Nur Geduld, wir Zwei kommen doch noch einmal zusammen!“

Die Schützen kehrten zum Essen zurück; den Bauern aber hatte der Vorfall, den sie mit angehört, den Muth gesteigert, daß sie Hiesel den Weg vertraten und ihm ihr Anliegen vortrugen. Sie erzählten dem „Gestrengen Herrn“, wie auch sie vom Wilde so erschrecklich viel zu leiden gehabt, durch den Schaden, den es in den Feldern angerichtet, und durch die Jagden, bei welchen der Herr Reichsbaron gar oft mit Roß und Hund durch die schönsten Saatfelder ziehe, und der Amtmann ihnen in’s Gesicht gelacht, wenn sie um Ersatz gebeten; wie sie über dem Frohntreiben die beste Zeit versäumen und oft die dringendste Arbeit liegen lassen müßten und wie sie um Hülfe sich mündlich und schriftlich an den Reichsbaron gewendet, wie sie bis an den Kaiser gegangen und wie Alles nichts geholfen. Da hatten sie in der Desperation sich entschlossen, sich selber zu helfen; sie hatten das Wild, das auf die Aecker und Aenger gekommen war, erlegt, sich aber wohlweislich gehütet, auch nur das Geringste davon sich anzueignen, sondern hatten Alles getreulich dem Jäger in’s Haus gebracht. Der aber hatte sie doch als Jagdfrevler angezeigt, und so waren sie gestraft worden mit hartem Gefängniß und noch härterer Geldbuße – die letzte Habe mußte hingegeben werden, um die fünfhundert Gulden zusammen zu bringen, welche zu zahlen dem ganzen Dorfe auferlegt worden war; erst am Tage vorher hatte der alte Mauthner, der zugleich die Einnehmerei besorgte, das Geld auf’s Amt gebracht.

„So?“ rief Hiesel, der mit Spannung zugehört. „Hat der alte Neidkragen auch die Hand im Spiel? Wo ist das Amthaus?“

Die Bauern deuteten nach einem schloßähnlichen Gebäude, das in nicht großer Entfernung sich aus einen, ummauerten baumreichen Parke erhob. Der Amtmann sei zu Hause, erzählten sie; er werde eben abgespeist haben und pflege dann im Gartenhaus zu schlafen und Niemand dürfe ihn stören.

„Ho, wir wollen ihn schon munter machen!“ rief Hiesel. „Kommt, Cameraden, es ist Zeit aufzubrechen und es giebt unterwegs noch ein kleines Geschäft abzumachen! Einer von den Bauern soll mit, damit er uns den Weg zeigt und Euch dann sagt, was der Hiesel ausgerichtet hat!“

Man brach auf; die Bauern drängten nach, an der Thür konnte der glänzend bezahlte Wirth kaum fertig werden, seine Bücklinge zu machen und sich zur Wiedereinkehr zu empfehlen. „Ich muß Euch doch ein Andenken dalassen,“ rief Hiesel, als der Zug an der Kirche vorüberkam. „Ihr habt ja da auf Eurem Kirchendach einen blinden Gockel sitzen … wartet einmal, ich will ihn sehend machen!“ Er legte an, drückte los und die Kugel schlug mitten durch den Kopf des blechernen Hahnes, daß das Loch als ein Auge dient und dort noch zu sehen ist bis auf den heutigen Tag.

In kurzer Zeit war das Amthaus erreicht und nach allen Seiten umstellt; Hiesel, von dem Buben und Tiras geleitet, zog die Glocke am Thor. Ein Guckfensterchen öffnete sich und ließ den grauen Kopf eines mürrischen Bedienten erblicken, der darüber zu schelten anfing, daß er nicht eine Viertelstunde Ruhe habe. „Was giebt’s schon wieder?“ rief er. „Jetzt ist keine Amtszeit – wer ist da?“

„Der bairische Hiesel, er will ein Wörtel mit dem Amtmann reden!“

Die Antwort schleuderte den Alten zurück, als ob ihn ein Schlag vor die Stirn getroffen hätte, und das Guckfenster flog zu und zeigte, auch nach längerem Warten, keine Neigung, sich wieder zu öffnen. Hiesel läutete nochmals, stärker und bedeutsamer; da kam hinter dem verschlossenen Thürchen die schüchterne Meldung hervor, der Herr Amtmann lasse für den Besuch danken, er wisse sich nicht zu erinnern, daß er mit dem Herrn Hiesel etwas zu verhandeln hätte.

„Aber ich hab’ mit dem Amtmann zu verhandeln,“ rief Hiesel ungeduldig und stampfte mit dem Fuß, „ich geb’ ihm noch ein Vaterunser lang Zeit, wird dann nicht geöffnet, so spreng’ ich das Thor und dann steh’ ich für nichts …“

In wenig Augenblicken hörte man den Riegel gehen und das Thor that sich auf; zwei Schützen besetzten dasselbe, Hiesel trat ein. Im Hofraume führte eine schöne Freitreppe von rothem Marmor in das prunkende Gebäude, das in allen Theilen von Reichthum und dessen rücksichtsloser Verwendung zeugte. Oben auf den Stufen stand der Amtmann, ein stattlicher, wohlbeleibter Mann mit rothem Gesicht, in welchem die Furcht mit dem Hochmuth rang; hinter ihm die Frau Amtmännin, weinend und die Hände ringend, und eine Schaar Kinder, die angstvoll durcheinander schrieen. „Um aller Heiligen willen,“ rief die Frau, als sie Hiesel erblickte, stürzte die Treppe hinab und warf sich ihm mit aufgehobenen Händen zu Füßen, „habt Barmherzigkeit mit meinen armen Kindern und mit mir – thut meinem Manne nichts zu Leid!“

„Schau, schau,“ sagte Hiesel, indem er das rauschende Seidenkleid und den künstlichen Kopfputz der Knieenden musterte, „wie die Frau Amtmännin so schön bitten und von der Barmherzigkeit reden kann! Schade, daß sie das nit allemal thut … bei den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_299.jpg&oldid=- (Version vom 16.11.2022)