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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Ohe amice!“ sagte der Quacksalber. „Ich war anfangs so freundlich, so zuckersüß, wie weiland bei einem Professor, den ich günstig stimmen wollte, in examine ein Auge zuzudrücken … es half Alles nichts! Erst das argumentum ad hominem, das Klirren der Büchse, die ich unterm Rock versteckt hatte, schlug durch! Ich sage Dir, statuire ein exemplum oder die Reputation ist beim Teufel!“

„Warst Du bei dem Kranzwirth in Pfersee und bei dem Gerber?“ fragte Hiesel, wie ausweichend.

„Freilich, aber der Gerber ist ein Schuft! Ich weiß gewiß, daß ich ihm nach und nach wenigstens zwanzig Hirschdecken in’s Haus gebracht habe, er aber leugnet’s und will nur zehn bekommen haben. Zwanzig lumpige Gulden warf er mir hin und sagte, ich sollte nicht wieder kommen, er verdiene nichts bei dem Geschäft und könne nichts mehr wagen, die Polizei und das Gericht gingen dem Handel gar zu unerbittlich auf die Haube …“

„Wir werden auf andern Absatz denken müssen,“ sagte Hiesel, „aber wie war’s mit dem Kranzwirth?“

„Der ist, wenn möglich, ein noch größerer Hallunke!“ erwiderte der Sternputzer. „Er könne seine Gäste nicht mit lauter Wildbrät füttern, sagte er; ich sollte mich meiner Wege scheeren, er sei uns nichts schuldig, und wenn ich nicht in Güte ginge, es sei eben Mannschaft im Ort, dann wollt’ er mir Beine machen lassen!“

„Frecher Kerl!“ rief Hiesel. „War ich doch selbst dabei, wie wir ihm die drei Rehe und den wilden Eber über die Planke in seinen Hof geworfen haben!“

„Er will nichts davon wissen! Was man ihm heimlich in den Hof werfe, sagte er, das könne auch ein Anderer heimlich wieder mit sich nehmen! Ich habe mich aber erkundigt und habe erfahren, daß er das Wild wohl gefunden, aber, um sich einzuschmeicheln, an den Förster abgeliefert hat!“

„Was? Das von mir erlegte Wild?“ rief Hiesel zornig. „Nun, ich will ihm nächstens einen Besuch machen und ihm sagen, was das heißt!“

Der Sternputzer zuckte die Achseln. „Was wird’s helfen?“ sagte er. „Auch dort herum liegt die ganze Gegend voll Soldaten … das Dringendste ist und bleibt, exemplum statuiren und dafür sorgen, daß die Cameraden nicht Noth leiden und den guten Muth nicht verlieren!“

„Wo nur die Kundl bleibt!“ murmelte Hiesel, indem er wie unwillkürlich an seinen gegen frühere Tage gar sehr verschrumpften Leibgurt fühlte. „Es ist mir unbegreiflich … aber was besinn’ ich mich lang! Da drunten liegt ja das Dorf mit dem blinden Gockel, den ich sehend gemacht, und wo ich den Bauern wieder zu dem schweren Strafgeld verholfen habe – das ist so gut, wie eine Schuld, die ich ausstehn habe! … Geh’ hinunter in das Dorf,“ fuhr er, sich zu dem Quacksalber wendend, fort, „such’ den Bauer aus, der damals mit uns gegangen ist in’s Amthaus … sag’ ihm einen schönen Gruß von mir! Der bairische Hiesel hat ihnen damals aus der Noth geholfen, jetzt sollen sie mir wieder helfen … wenn jedes Haus einen Gulden beisteuert, ist es nicht der zehnte Theil von dem, was ihnen der Amtmann abgenommen hat … ich verlang’ es auch nit geschenkt, nur leihen sollen sie mir das Geld, es kommen wohl wieder andere Zeiten und dann werden sie sehn, daß der kein schlechtes Geschäft gemacht hat, der dem bairischen Hiesel borgt!“

„Ich will reden wie Cicero!“ rief der Sternputzer lachend und eilte davon. „Will auch sehn, ob ich dem alten Filz mit seinen Aepfeln nicht ein kleines gaudium machen kann.“

Hiesel wollte ebenfalls dem Lagerplatze zu, als er von der andern Seite den Ton streitender Stimmen vernahm: es war Studele, der in heftigem Wortwechsel mit dem Buben unter den Bäumen hastig herankam. Er war roth im Gesichte und seine Aufregung um so erkennbarer, jemehr er sonst in Allem eine gesetzte Ruhe zu bewahren wußte. „Nun,“ rief ihnen Hiesel verwundert entgegen, „Ihr werdet doch nicht uneins miteinander werden, jetzt wo es gerade am nöthigsten ist, daß wir zusammenhalten?“

„Das sag’ dem Buben, Hiesel, und nicht mir!“ erwiderte Studele heftig, „Leg’ ihm das saubere Handwerk, Du brauchst keinen Spion unter uns!“

„Ich bin kein Spion!“ rief der Bube in keckem, drohendem Tone entgegen, „aber wer ein schlecht’s Gewissen hat, der fürcht’t sich, wenn man ihm hinter seine Schliche kommt!“

Studele ward noch ergrimmter, aber er hielt an sich. „Du bist mir zu wenig, als daß ich mich an Dir vergreifen möcht!“ rief er. „Du bist dem Schulmeister zu früh davon gelaufen, aber ich erleb’ es wohl noch, daß die Ruthe über Dich kommt!“

Der Bub verzog höhnisch den Mund und blinzte den Zürnenden von der Seite an. „Hab’ keine Sorg’ um meinen Buckel,“ sagte er, „ich geh’ nit unter die Soldaten!“

Studele ward todtenbleich; die Erinnerung an die erlittene schmachvolle Strafe war die immer schwärende Wunde seines Innern. „Mach’, daß Du mir aus den Augen kommst, Creatur,“ rief er, „oder es wird nicht gut! Wehr’ dem Buben seinen Uebermuth, Hiesel, oder er macht noch Alles von Dir abspenstig!“

„Still!“ sagte Hiesel und trat mit dem Ansehen eines Herrschers zwischen die Streitenden, „ich will nichts mehr davon hören! Vertragt Euch miteinander, ich will es haben, und Du, Studele, nimm dem vorwitzigen Buben ein keckes Wort nit so übel … er meint es gut mit mir auf seine Art, wie Du auf die Deine! … Was habt Ihr miteinander?“

„Ich will Dir’s erzählen, Hiesel,“ rief Anderl eifrig, „Du sollst es dann sagen, ob er mich einen Spion nennen darf … Weißt Du’s noch, wie wir neulich die drei Soldaten getroffen haben, die sich verdingt hatten, den Bauern bei der Grummet-Ernte zu helfen? Wir hatten sie wieder erkannt: es waren solche, die schon gegen uns gestreift hatten, drum haben wir sie gefaßt! Du hast gesagt, wir sollten ihnen den gewöhnlichen Denkzettel geben, und bist Deiner Wege gegangen … wie wir aber über die Kerle her wollten, die wir gebunden und hinter den Zaun geworfen hatten, da waren sie fort – der Studele hat ihnen die Stricke abgenommen und sie entwischen lassen!“

„Warum hast Du das gethan?“ fragte Hiesel befremdet.

„Es waren Soldaten von dem Regiment, bei dem ich gedient hab’,“ war die ruhig gegebene Antwort, „von derselben Compagnie, bei der ich gestanden bin …“

„Und die Dich mit Spießruthen verhauen haben?“ rief Hiesel rasch. „Und denen hast Du zum Dank dafür durchgeholfen?“

„Die armen Bursche haben nur gethan, was sie thun mußten … ich weiß, es ist ihnen gewiß schwer genug angekommen … und dann war einer darunter, der ist aus derselben Gegend gebürtig, wo ich daheim bin, ein guter Bursch, der mich immer gern gehabt hat … er hat oft seinen letzten Bissen mit mir getheilt …“

Hiesel ergriff seine Hand und schüttelte sie. „Bist ein ganzer Kerl, Studele,“ sagte er herzlich, „ich wollt’ ich hätt’ ein halbes Dutzend Cameraden, wie Dich! … Aber das kann doch nicht der Grund Eures Zwistes sein?“

„O, die Hauptsache kommt noch!“ rief Anderl. „Wie Du mich vorhin fortschicktest, den Tiroler und den Studele aufzusuchen, da machte sich der Eine gleich mit seinem Stutzen auf den Weg; von dem da aber war nichts zu sehn und zu hören, er sei gegen den Hügelabhang vorgegangen, sagten die Andern. Ich geh’ ihm also dahin nach, und wie ich so nach allen Seiten herumgucke, da seh’ ich einen Musketier, der sich hinter das Gesträuch versteckte und gegen uns heranstrich. Hollah, hab’ ich gedacht, und schlich mich sachte hin, bis ich ihn auf’s Korn nehmen konnte … auf einmal aber wär’ mir der Stutzen bald aus der Hand gefallen vor Verwunderung, denn wie man eine Hand umkehrt, war der Musketier nicht mehr allein … ein Mann war bei ihm, der ganz vertraulich mit ihm redete … Ich hab’ mir die Augen ausgewischt, ob mich denn das Licht nicht blend’t, aber es war nit anders, es war kein anderer Mensch, als der Studele …“

Hiesel hörte in steigender Spannung zu; Studele stand vollkommen ruhig.

„Mußt doch wissen, was die Zwei so heimlich miteinander auszumachen haben, hab’ ich mir gedacht … wie ich aber just so nahe war, daß ich’s hätt’ hören können … da hat ein Ast geknackt, auf den ich getreten bin … sie bemerkten mich, im Hui war der Soldat davon, der Studele aber sprang auf mich los, hat mich anpacken wollen und hat mich geschimpft …“

„Und darf man nit wissen, was Du mit dem Soldaten verhandelt hast?“ fragte Hiesel ernsthaft.

„Hättest den Spitzel da nicht gebraucht, um das zu erfahren,“ erwiderte Studele, „auch ohne das wär’ ich jetzt schon bei Dir, um Dir zu sagen, was geschehen ist … Der Soldat ist der nämliche gewesen, dem ich durchgeholfen hab’; mein Schlafcamerad

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 338. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_338.jpg&oldid=- (Version vom 18.6.2023)