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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Elternpaar, die geistliche Braut und die Kranzeljungfern oder auch wohl die gesammte Freundschaft und alle werthen Gäste hoch leben ließ und abermals hoch!

Das Mahl ward immer belebter, denn der alte Moosrainer wollte seinen Reichthum sehen lassen und zeigen, daß es seinem Sohne nicht um die Freundesgaben der Gäste zu thun war; mit dem Weine ward nicht gekargt und das ungewohnte Getränk begann in den Köpfen der Bauern zu rumoren, daß das Lachen und Geplauder immer lauter in die Runde ging. Besonders lebhaft war es am Ende der Tafel; dort saß Vigili, der Schmied, ärgerlich darüber, daß die Rangordnung ihn so weit von Franzi getrennt hielt, und die Nachbarn hatten Mühe zu verhindern, daß seine unwirschen Ausdrücke nicht gar zu vernehmlich wurden, denn er war weder wählig noch zierlich in deren Wahl.

Es war eine willkommene Unterbrechung, als die Wirthin mit der Ehrentorte erschien und sie mit besonderem Glückwunsch vor Isidor hinsetzte, denn die Torte mußte immer ein Meisterstück der Kuchenbäckerei sein und gab zugleich das vielfach ersehnte Zeichen zum Beginn des Tanzes. Auf der Zuckerfläche der Torte stand, aus Tragant und Zeugläppchen zierlich geformt, ein kleines Männchen in schwarzem Talar und mit dem Chorrock darüber, ein plastisches Ebenbild des Gefeierten. Der Tanz war damals auch bei solchen Festen nicht verpönt, vielmehr mußte der neue Priester selbst den Reigen eröffnen: man war der Meinung, daß nur der im Leben recht rathen und helfen könne, der dem Leben selbst in die Augen gesehen, und verlangte, daß der junge Priester bei seiner Primiz „das erste und letzte Tänzlein“ machen solle.

Schon beim ersten Geigenstrich hatte Vigili sich aufgemacht, um zu Franzi zu kommen und den versprochenen Ersten zu erhaschen … so sehr er aber eilte, er kam doch zu spät.

Der Pfarrer hatte sich bereits erhoben, die vorletzte seiner Pathenpflichten zu üben, welche darin bestand, seinem Schützling die Partnerin zum „letzten Tänzlein“ zuzuführen; die letzte war dann, dem Primizianten, der unmittelbar darnach Mahl und Fest verlassen mußte, in seine Wohnung das Geleite zu geben. Er war eben in ein Stück der Festtorte so vertieft gewesen, daß er darüber beinahe seine Verpflichtung vergessen hätte und durch den Hochzeitslader gemahnt werden mußte, wie das junge tanzlustige Volk mit Sehnsucht darauf warte, sich dem Tanzen in die Arme werfen zu können. In Eile erhob er sich und um den Fehler gut zu machen, sann er nicht lange nach über eine etwa unter den Reichern und Vornehmern zu treffende Wahl, sondern faßte die Hand der zunächst Sitzenden.

Es war Franzi.

Als er mit ihr vor Isidor trat, war eben Vigili herangekommen und sah mit zornfunkelnden Blicken, was er doch nicht zu wehren vermochte; Franzi war zu überrascht und verwirrt, ihn gewahr zu werden.

Auch Isidor theilte sich bei ihrem Anblick die Verwirrung mit. Mit noch nie empfundener Beklommenheit faßte er ihre Hand, die Musik spielte einen leisen, nur von Streichinstrumenten ausgeführten Ländler nach einer bekannten melancholischen Volksweise, die wie ein Abschied klang, und das Paar begann seinen Reigen allein in dem weiten Saale, an dessen Wänden Alle sich als Zuschauer drängten, verschiedene Gefühle und Gedanken in Kopf und Herz.

Ueber Isidor kam es wie ein plötzlicher Trunk übermächtigen Weins; als er seine Tänzerin faßte, war es unvermeidlich, daß die Augen sich wieder begegneten und wieder eines Athems Dauer sich in fragender Verwunderung in die Herzen schauten; er schloß das Mädchen fester an sich und wiegte sich in ihrem Arm so sicher und ruhig durch den Saal, als wäre es nicht der Schluß seines bisherigen Lebens, sondern als ginge der Anfang eines neuen vor ihm auf.

Franzi hielt an, der Primiziant durfte nur drei Mal den Saal umkreisen, dann gehörte dieser der fröhlichen Welt, die auch von dem Rechte augenblicklich jubelnden Gebrauch machte und den Platz mit bunt durcheinander wirbelnden Paaren bedeckte.

Isidor führte seine Tänzerin zur leergewordenen Tafel an seinen Platz, füllte zwei Gläser und band sich das Bräutigams-Kränzlein vom Arm, um es wie einen Rahmen um das eine Glas zu legen, das Kränzlein gebührte der Partnerin des „letzten Tänzleins“.

„Sie sollen leben, Hochwürden!“ sagte sie mit bebender Stimme, als er sein Glas erhob, an das ihre anzuklingen.

Isidor ging ein Stich durch das Herz bei dem Worte.

„Ich danke Dir; es freut mich sehr, daß Du zu meinem Ehrentag gekommen bist.“

„Wie hätt’ ich ausbleiben können? Das war mir ja die größte Freud’ in mein’ ganzen Leben, daß Sie noch an mich gedacht haben …“

„Glaubst Du, ich hätte Dich vergessen? Niemals!“ entgegnete Isidor rasch und begriff zum ersten Male, wie wahr das Wort war, das er gesprochen. „Ich habe Dich nie vergessen,“ setzte er zögernd und wie berichtigend hinzu, „Dich so wenig, wie Vater und Mutter und das ganze Dorf … Aber ich habe Dich erst nicht wieder erkannt!“

„Das ist wohl möglich, Sie sind gar lang’ fortgewesen …“

„Es ist nicht das … Du bist ganz anders geworden … so groß …“ und so schön, wollte er hinzusetzen, aber der Laut starb im Entstehen, Unsägliche, noch nie gefühlte Beklommenheit bemächtigte sich seiner; wie suchend sah er unschlüssig um sich und bemerkte Vigili, der in dem leergewordenen Tafelzimmer unter der Thür stand, die Beiden mit grimmigen Augen und einem Lächeln betrachtend, das ihm wie Hohn in die Seele ging.

Betreten ließ er die Hand des Mädchens fahren und ward jetzt erst gewahr, daß er sie wieder erfaßt gehabt hatte.

„Der Bursche dort betrachtet uns mit so sonderbaren Blicken,“ sagte er, „als sei es ihm nicht recht, daß ich mit Dir spreche … Es ist wohl Dein Schatz?“

Das Wort wollte nicht von der widerstrebenden Zunge.

Franzi erröthete. „Ich hab’ keinen Schatz. Hochwürden,“ sagte sie dann und sah ihn treuherzig an. „Das ist der Schmiedsohn, der Vigili … er will mich heirathen, und ich hab’ ihm den ersten Tanz versprochen …“

„Und Du wirst ihn heirathen?“

„Was will ich machen, Hochwürden Herr Isidor? Es ist eine gute Versorgung, ich bin blutarm, und sein’ Lebtag dienen ist hart …“

„Du hast Recht,“ rief Isidor hastig, „nimm ihn … heirathe ihn und sei glücklich! Warum solltest Du auch nicht? … Der Bursche ist wohl gar eifersüchtig auf mich … er sollte doch wissen, daß er bei mir keinen Grund dazu hat … Lebe wohl, Franzi! Lebe glücklich! Denke manchmal an die Zeit, wo wir Kinder gewesen sind, und an – den heutigen Tag!“

Er ging, vom Pfarrer geleitet; Franzi stand unbeweglich, bis Vigili zu ihr trat.

„So?“ knurrte er grimmig mit gepreßtem Ton. „Heißt das bei Dir Wort halten?“

Franzi sah ihn ruhig und wie von oben herab an.

„Ich hab’ Dir den ersten Tanz versprochen,“ sagte sie, „und bin dabei geblieben, denn der Tanz mit dem hochwürdigen Herrn wird nit gerechnet, das ist was ganz Andres … Aber so laß’ ich mich nit fragen, Vigili! Ein Mensch, der mich so anfahrt, wo ich noch nit einmal sein Schatz bin, der darf sich nit einbilden, daß ich sein Weib werd’ und wenn ich eine Goldschmieden mit ihm bekäm; mit einem solchen tanz ich nit einmal …“

Sie ging und verschwand im Tanzsaal, aus dem Jubel und Musik erscholl. Vigili ballte die Fäuste und drohte ihr nach. –

Isidor war indessen im elterlichen Hause angekommen, Niemand war noch daheim, Alles befand sich noch beim Feste; mutterseelenallein schritt er in der ihm eingeräumten Prunkstube des obern Stockwerks hin und wider.

Was war mit ihm vorgegangen! Wohin war seine sichere Ruhe, seine Zuversicht gekommen … welchen Eindruck hat dies schlichte Mädchen auf ihn hervorgebracht! Wie wenig hatte er sich selbst gekannt, wenn er geglaubt, es gebe kein irdisches Band mehr, das ihn an die Welt kette – jetzt, auf einmal war es ihm klar, daß er sie immer im Sinn getragen, daß er sich selbst absichtlich oder leichtsinnig über dies Andenken getäuscht; jetzt lag es vor ihm, hell, wie ein vom Blitz entzündetes und in seinen Flammen einsinkendes Gebäude, warum er gerade sie so sehnlich beim Feste gewünscht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 722. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_722.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2022)