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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Ein Mann ohne Vaterland.

Nach den Mittheilungen eines nordamerikanischen Marineofficiers.

Es ist nur die Geschichte eines einfachen Mannes, dessen Erscheinen auf dem Welttheater keine Epoche machte, die ich meinen Lesern erzählen will, denn das Unternehmen, an dem er sich betheiligte, schlug fehl und überlieferte ihn der Gnade seiner Richter, auch ist wohl kaum einer unter unseren Lesern, der je von ihm etwas gehört hat, – sind doch selbst in seiner eigenen Heimath nur Wenige, welche sich seiner erinnerten, als die Zeitungen im Herbst 1863 die Anzeige seines Todes brachten, die mit den Worten erschien: „Am 11. Mai starb am Bord der Vereinigten Staaten-Corvette Levant auf 2° 11’ südlicher Breite und 131° westlicher Länge Philipp Nolan.“

Und doch war dieser Mann, Philipp Nolan, einst dazu bestimmt gewesen, eine große Rolle zu spielen.

Es war im Jahre 1806, als Oberst Burr, Vicepräsident der Vereinigten Staaten unter Jefferson (1801–1809), des Landesverrathes angeklagt und auf die Anschuldigung hin, eine Verschwörung angezettelt zu haben, deren Zweck die Errichtung eines südlichen Kaiserreiches unter seiner Herrschaft war, verhaftet wurde. Sein Plan scheint ein wohlorganisirter gewesen zu sein, und unter den zahllosen Anhängern des kühnen Abenteurers war Philipp Nolan, Lieutenant in der Armee, einer der thätigsten und hervorragendsten. Es war im Fort Massac, wo er sich dem Unternehmen anschloß, welches, wie schon oft geschehen, zu früh in Scene gesetzt wurde, um den gewünschten Erfolg erzielen zu können. Bei der Expedition auf Neu-Orleans ward er mit seinem Chef gefangen genommen und vor das Kriegsgericht in Fort Adams gestellt. Er war nicht mehr und nicht weniger schuldig, als Andere, die sich von den lockenden Aussichten Aaron Burr’s hatten blenden lassen. Es ist aber ein altes Sprüchwort, daß man die kleinen Diebe hängt und die großen laufen läßt, und so ging es auch hier.

Burr wurde wegen mangelnder Beweise freigelassen und Nolan und Andere mußten die Sündenböcke sein. Wüthend über die ihm widerfahrene Behandlung stand er vor seinen Richtern, um sein Urtheil anzuhören, und wir würden wohl schwerlich je wieder Etwas über seine Zukunft vernommen haben, da man sämmtliche Betheiligte mit einer unbedeutenden Strafe entließ, wenn ihn nicht sein jugendlicher Uebermuth zu einer Antwort hingerissen hätte, welche ihn zu dem machte, was er seit jenem Tage wurde: „der Mann ohne Vaterland“. Auf die übliche Frage des Vorsitzenden, ob Nolan noch Etwas zu seiner Rechtfertigung zu sagen habe, ehe das Urtheil über ihn gesprochen würde, erhob er sich, schlug mit geballter Faust auf den Tisch und schrie: „Der Teufel hole die Vereinigten Staaten! Ich wollte, ich brauchte nie wieder Etwas von ihnen zu hören!“

Fast alle Officiere des Gerichtshofes hatten den Befreiungskrieg mitgemacht und für die Idee, welche er hier mit Füßen trat, ihr Leben eingesetzt. Nolan aber war ein ungezähmtes Naturkind; auf einer Plantage in Texas geboren, wo die beste Gesellschaft, die er hatte, im günstigsten Falle ein spanischer Officier oder ein Händler von Neu-Orleans war, hatte er keine andere Erziehung genossen als den Unterricht, den er einmal im Winter durch einen englischen Lehrer bekam. Im Uebrigen hatte er seine halbe Jugend mit seinem Bruder in den Prairien der Heimath mit dem Lasso in der Hand oder Büffel jagend auf dem selbstgefangenen, wilden Pferde zugebracht, so daß er wenig von den Vereinigten Staaten wußte. Später gab ihm die Union allerdings die Uniform, welche er trug, und das Schwert, mit dem er sein Vaterland zu schützen geschworen hatte – aber der Staat wollte an ihm das Vergehen eines Anderen strafen, und wenn wir seine Handlungsweise auch nicht rechtfertigen können, müssen wir doch nicht zu strenge urtheilen.

Das Gericht zog sich nach Nolan’s Aeußerung, welche unendliche Entrüstung hervorrief, zurück, aber schon nach fünfzehn Minuten erschien es wieder mit dem Urtheilsspruch: daß der Lieutenant Philipp Nolan des Landesverrathes schuldig und verurtheilt sei, „nie wieder Etwas von den Vereinigten Staaten zu hören“.

Nolan lachte; allein auf den bleichen Gesichtern ringsum sah er keine Heiterkeit. Die Strafe schien mild genug – nur sein eigener Wunsch sollte erfüllt werden, und er wurde erfüllt. Vom 23. September 1807 bis zu seinem Todestage 1863 hat er nie den Namen seiner Heimath wieder gehört, und sechsundfünfzig Jahre lang war er ein Mann, der kein Vaterland hatte. Präsident Jefferson bestätigte das Urtheil, von dem Nolan eine Abschrift erhielt. Bei dem spätern Brande des Regierungsgebäudes in Washington verbrannten alle auf diesen Proceß bezüglichen Papiere, und als im Jahre 1817 Capitän Watson beim Departement in Washington über Nolan rapportirte, ward dieser ganz ignorirt, ob absichtlich oder unabsichtlich, muß dahingestellt bleiben; Thatsache aber ist, daß nach dieser Zeit kein Marinecommandeur in seinem Rapport des Gefangenen je mehr Erwähnung that. Lieutenant Mitchell vom „Nautilus“, in dessen Gewahrsam der Gefangene zunächst gegeben wurde, bekam die folgende schriftliche Instruction mit: „Durch Lieutenant Neale wird Ihnen die Person des Philipp Nolan, vormaligen Lieutenants in der Armee, übergeben werden. Er hat bei seiner Untersuchung vor dem Kriegsgericht mit einem Fluch den Wunsch an den Tag gelegt, nie wieder Etwas von den Vereinigten Staaten zu hören, und das Urtheil des Gerichts lautet auf Erfüllung seines Wunsches. Sie werden den Gefangenen an Bord Ihres Schiffes nehmen und Alles anwenden, um seine Flucht zu verhindern. Sie werden ihm diejenige Aufmerksamkeit, Pflege und Meldung zukommen lassen, wie es seine frühere Stellung mit sich bringt. Die Officiere an Bord werden sich in Betreff seiner Gesellschaft unter sich einigen; es soll ihm aber stets mit Anstand begegnet und er nie daran erinnert werden, daß er ein Gefangener ist. Unter keinen Umständen aber soll er je Etwas über sein Vaterland hören oder Etwas sehen, was ihn daran erinnern könnte, und Sie werden besondere Sorge tragen, daß jeder Officier unter Ihrem Befehl diese Anordnung, in welcher seine Bestrafung liegen soll, selbst in der ihm bei Vorkommenheiten zu gewährenden Nachsicht nie verletze. Es ist der Wille der Regierung, daß er das Vaterland, das er verleugnet hat, nie wieder sehe, und werden Sie vor Ablauf Ihrer Kreuzung die zur Aufrechthaltung dieser Bestimmung nöthigen Befehle empfangen.

gez. Der Marinesecretair.“

Vom Nautilus wird Nolan auf ein Schiff gebracht, das auf eine lange Fahrt ging, und der Commandeur desselben, Shaw, ordnete die zu befolgende Etiquette und die nöthigen Vorsichtsmaßregeln an, die von allen Hütern Nolan’s bis zu dessen Tode befolgt und als Instruction von einem Wächter dem andern eingehändigt wurden.

Capitän Shaw erlaubte ihm unbeschränkten Verkehr mit den Officieren an Bord, mit der Mannschaft aber nur in Gegenwart eines Vorgesetzten. Trotzdem wurde er schüchtern und zurückhaltend, wie alle Menschen, welche fühlen, daß sie nur geduldet werden. Da seine Gegenwart alle Gespräche über heimathliche Verhältnisse, von Krieg und Frieden, von politischen und Familienangelegenheiten – Gespräche, welche mehr als die Hälfte des Unterhaltungsstoffs auf See liefern – ausschloß, so mochte ihn keine Classe dauernd bei sich haben, und weil es doch gar zu hart gewesen wäre, ihn ganz auszuschließen, wurde ein förmliches System beobachtet. Am Montag lud der Capitän ihn zum Essen und an jedem andern Tage war er der Gast einer andern Gesellschaft, während er seine übrigen Mahlzeiten in seinem Cabinet einnahm, welches ihm da angewiesen wurde, wo die Schildwache postirt war. Auch die Mannschaft lud ihn zu ihren kleinen Belustigungen ein und es schien fast, als ob sie den „Tuchknopf“, wie sie ihn nannten, weil er keine blanken Knöpfe an der Uniform tragen durfte, aufrichtig bedauerten. Auf allen seinen Reisen durfte er nie an’s Land gehen und alle Zeitungen und Bücher, die er in die Hand bekam, wurden vorher revidirt; selbst die allerunschuldigste Annonce eines amerikanischen Hauses wurde herausgeschnitten, und so konnte es sich ereignen, daß er in Mitten der Berichte über Napoleon’s Schlachten oder Canning’s Reden ein großes Loch fand.

Als Capitän Shaw heimcommandirt wurde, lief er Capstadt an und signalisirte nach mehrtägigem Warten die ansegelnde „Warren“. Seither hatte Nolan seine Gefangenschaft nur als

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 772. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_772.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2022)