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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Stellung gefährden wollte, und Cassation ist kein angenehmes Wort für einen Officier.

Auf seinem Sterbebette – er war nahezu achtzig Jahre alt geworden – flehte er um die Gnade, Etwas von Amerika hören zu dürfen, ehe es mit ihm zu Ende ging, und zum ersten Male seit dem langen Zeitraume von sechsundfünfzig Jahren gab ihm einer der ihm befreundeten Officiere ein getreues Bild seines Heimathlandes, was es geworden war, wie es gedieh, welche Bedeutung es für die Gegenwart gewonnen. Mit dem Lächeln seliger Befriedigung hörte er zu und sah, wie sich ein mächtiges Gebäude vor seinen Blicken entfaltete. Nur Eines konnte der Freund nicht über sich gewinnen: von dem Bruderkriege durfte Nolan nichts wissen. Als er sich schwächer fühlte, mußte derselbe das neben ihm liegende Gebetbuch öffnen und die angezeichnete Stelle lesen. Sie lautete: „Für uns selbst und im Namen unseres ganzen Landes danken wir Dir, o Gott, daß Du uns, trotz unserer mannigfachen Vergehen, Deine Gnade erhalten hast. Segne und erhalte Deinen getreuen Diener, den Präsidenten der Vereinigten Staaten und Alle, die ein öffentliches Amt bekleiden.“ Dann schlief er ruhig ein, mit sich selbst und aller Welt in Frieden.

In seiner Bibel lag ein Zettel, auf dem er die Bitte niedergeschrieben hatte: „Begrabt mich im Meer, es ist meine Heimath geworden und ich habe sie lieben gelernt; hat die Regierung, welche mich so hart gestraft hat, so viel Achtung vor mir bewahrt, daß sie mir in Fort Adams einen Gedenkstein setzen will, so sage sie auf demselben:

In Memoriam
Philipp Nolan,
Lieutenant in der Vereinigten Staaten Armee,
Friede sei mit Dir!“

F. v. W–te.




Die Seele des Orchesters.

(Mit Abbildungen.)

Aus einem noch jetzt von den Arabern benutzten sehr unvollkommenen Saiteninstrumente, dem Rebec, das die Eroberungen der Mauren nach Europa brachten, scheint sich nach und nach das entwickelt zu haben, was heute die Seele des Orchesters bildet – die Violine. In Italien war es, wo der Bau derselben die ersten und sehr rasche Fortschritte machte, so daß z. B. Gaspare di Salo in Brescia (1535) bereits Instrumente fertigte, welche vollkommen die heutige Form haben. In der zweiten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts finden sich auch schon Nachrichten über die größere Ausbreitung des Violinspiels und es wird überdies des Violoncellos und des Basses gedacht. Die ersten Geigen sollen größer gewesen sein, als die heutigen, und erst am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts durch Testator il Vecchio in Mailand verkleinert worden sein. Man erklärt sich hieraus den Namen Violine, der so viel als „kleine Viola“ bedeutet.

Außer Gaspare di Salo sind noch mehrere andere Brescianer, besonders Maggini, Zanetto und Laussa als berühmte Geigenmacher des sechszehnten Jahrhunderts bekannt. Sehr bald wurde jedoch Brescia, die Wiege des Violinbaues, durch die ausgezeichneten Leistungen mehrerer Künstler in Cremona, namentlich des Andrea Amati (1575) in den Hintergrund gedrängt. Auch die Söhne Amati’s, sowie einer seiner Enkel, bauten ausgezeichnete Instrumente, welche noch jetzt theils als Seltenheiten, theils wegen ihres lieblichen Tones sehr theuer bezahlt werden. In dem letzten Viertel des siebenzehnten Jahrhunderts verfertigte ein Schüler des letzten Amati, Andrea Guarneri (1675–94) ebenfalls ganz vortreffliche Violinen, welche sich, wie die seiner Nachfolger, noch heute durch ihren brillanten Ton auszeichnen und von vielen Künstlern allen andern vorgezogen werden. Der Geigenbau pflanzte sich in der dadurch berühmt gewordenen Familie Guarneri bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts fort. Die ausgezeichnetsten Werke lieferte Joseph Guarneri del Gesù (1728–42). Paganini’s Lieblingsvioline war aus seiner Hand hervorgegangen. Ein dritter großer Meister des Cremoneser Violinbaues, Antonio Stradivari (Straduarius), gestorben 1738, hatte nicht das Glück, seine Kunst auf seine Söhne vererbt zu sehen. Die Amati und Guarneri, sowie Antonio Stradivari begründeten den hohen Ruhm Cremonas in der gedachten Beziehung und wurden übrigens durch ihre zahlreichen Nachfolger in Italien und andern Ländern nicht übertroffen. Die Cremoneser Geigen sind vielmehr von einer so classischen Vollendung, daß man nach einem Jahrhundert des Probirens und Suchens nach andern Constructionen in der neuesten Zeit zu der Ueberzeugung gekommen ist, es sei das Beste, die von den alten italienischen Meistern noch vorhandenen Instrumente rücksichtlich ihres Baues ganz genau nachzuahmen. Natürlich braucht dies nicht in unwesentlichen Aeußerlichkeiten zu geschehen. Die erwähnte Nachbildung würde nun durchaus nicht so entschieden angestrebt werden, wenn man von dem prachtvollen Klange der meisterhaften Arbeiten aus der classischen Zeit des Violinbaues nur aus geschichtlichen Aufzeichnungen etwas wüßte. Nein, man kann noch jetzt die wunderbar reinen, vollen und dabei schmelzenden Töne jener Kunstwerke bewundern. Manche besitzen einzelne Exemplare, Andere ganze Sammlungen derartiger alter und ausgezeichneter Instrumente, und dies nicht als bloße Raritäten. Die Violine hat nämlich die merkwürdige Eigenschaft, daß sie mit dem zunehmenden Alter einen immer schöneren Klang erhält. Deshalb ist es auch schwierig, neue Violinen richtig zu beurtheilen. Nicht selten sehen die Geigenmacher nur darauf, daß ihre Instrumente sich im neuen Zustande durch einen tadellosen Klang auszeichnen. Es wird dies in manchen Fällen durch Verdünnung der Decke und des Bodens des Resonanzkörpers, mitunter auch durch eine sehr verwerfliche Beizung des Holzes erreicht. Diese Mittel kürzen aber erfahrungsmäßig die Dauer der guten Eigenschaften einer Violine bedeutend ab und sind nur bei ganz gewöhnlichen Instrumenten zulässig. Der Violinbauer muß also hinsichtlich seiner bessern Werke mehr auf die Zukunft, als auf die Gegenwart bedacht sein. Mit jedem Jahre werden dieselben dann besser.

Im siebenzehnten Jahrhundert verpflanzte sich die Kunst des Violinbaues von Italien aus nach Spanien, Frankreich und Deutschland, in letzterem zuerst nach Tirol, wo besonders die Instrumente von Stainer in Absam bei Innsbruck bald so beliebt wurden, daß man sie lange Zeit den Cremonesern gleich schätzte. Die Stainerschen Violinen haben das Eigenthümliche, daß ihre Decken und Böden stark gewölbt sind. In späterer Zeit haben sie bedeutend an Ruf verloren.

Ein Schüler Stainer’s, Egid. Klotz, vervollkommnete und erweiterte die Geigenmacherei in Mittenwald an der obern Isar in Baiern, welcher Ort für Deutschland das wurde, was Cremona für Italien gewesen war, wenn auch nicht in einem so hohen Sinne. Gegenwärtig beschäftigen sich in Mittenwald gegen einhundert Familien mit Anfertigung von Violinen, Guitarren und Cithern, und es besteht seit 1858 eine eigene Musterwerkstätte daselbst, in der zwei der tüchtigsten Lehrer, welche die Regierung auf Staatskosten von den vorzüglichsten Meistern unterrichten ließ, praktischen Unterricht ertheilen. Außerdem sind auf Staatskosten ausgezeichnete alte Violinen angekauft und mit einigen der vorzüglichsten neuern Instrumente zu einer Mustersammlung vereinigt worden, welche nicht blos für die besten, sogenannten Künstlergeigen, sondern auch für die ordinären oder Marktgeigen die Vorbilder liefern soll. Hierdurch wird gewiß der dortige Violinbau künftighin auch höheren Anforderungen der Musiker immer besser Genüge leisten.

Für gewöhnliche Violinen, sowie für gute und kräftige Concertinstrumente derselben Art, ist jetzt in Deutschland unbestritten die Stadt Neukirchen – früher Markneukirchen genannt – im sächsischen Voigtlande nebst den nahen Orten Adorf und Klingenthal der Hauptfabrikationsort. Dazu kommen außer dem schon erwähnten Mittenwald noch Graslitz und Schönbach im böhmischen Erzgebirge, ferner Nürnberg, Prag, Wien, Berlin, einige Orte in Würtemberg und Schlesien. Die Vororte der französischen Geigenmacherei sind Mirecourt in Lothringen (seit 1680; jetzt sechs- bis achthundert Arbeiter), Paris und mehrere größere Provincialstädte. England und Amerika beziehen ihre Violinen größtentheils aus Deutschland.

Nach Neukirchen und Umgebung ist der Violinbau nach dem dreißigjährigen Kriege durch Vertriebene (Exulanten) aus Böhmen, diesem der Musik so ergebenen Lande, verpflanzt worden


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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 774. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_774.jpg&oldid=- (Version vom 11.12.2022)