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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

miteinander durch das Dorf gewandert, eine große Veränderung mit ihr vorgegangen: der anmuthige Mund hatte sein liebliches Lächeln verlernt und um die treuherzigen Augen zuckte und blinkte es, als entstehe eine Thräne darin.

Hastig eilte sie am Heckenzaune dem Gestade zu, sich über den See rudern zu lassen.

In der engen Gasse stand auf einmal Sylvester vor ihr.

„Wo ’naus, Dirn’l,“ rief er ihr entgegen und seine Augen blitzten vor freudiger Erregung. „Hast’n Weg verfehlt? Dort hinum geht’s zum Tanzboden!“

Als das Mädchen ihn erblickte, schoß ihr das Blut in’s Gesicht, aber sie faßte sich rasch und entgegnete, zur Seite weichend, in fast nur unmerklich bebendem Tone: „Kann sein – mein Weg führt nit zum Tanzboden!“

„Wär’ nit übel!“ lachte er in der seligen Ausgelassenheit seines Glücks. „Die schönste von den Prangerinnen darf beim Erntetanz nit fehlen! Komm’ mit, Clarl, mir müssen wieder gut freund werden miteinander, wir tanzen miteinander, wir schwatzen miteinander … o mein! Ich hab’ Dir so viel zu sagen …“

„Ich hab’ nichts zu schaffen mit Dir,“ sagte sie finster, „und will nichts zu schaffen haben; geh’ mir aus dem Weg!“

„Oho, bist noch fuchtig, Madel? Wirst schon wieder gut werden, hör’ mich nur erst an und tanzen mußt Du mit mir, das hab’ ich mir einmal vorgenommen und lass’ Dich nit aus …“

Sie sah ihn mit einem Blick an, der ihm ein gut Theil seiner zuversichtlichen Laune raubte. „Müssen?“ sagte sie. „Nit auslassen? Hätt’st Schneid’ über ein einschichtig’s Madel, wie über die armen Rothkröpfeln mit Dein’ Netz?“

Sylvester zuckte zusammen und trat erbleichend einen Schritt zur Seite … „Das dürft’ mir kein and’rer sterblicher Mensch sagen, als Du …“ stammelte er, „aber es mag geh’n, wie’s will, anhören mußt’ mich doch, ich hab’ ein ernsthaftes Wort mit Dir zu reden … Du kennst mich ja noch gar nit, Du weißt ja gar nit, wer ich bin …“

„O,“ erwiderte sie, „ich kenn’ Dich wohl, Vestl: wenn Du’s auch vergessen hast, ich denk’s noch wohl, wie wir miteinander gespielt haben, als kleine Kinder … Ich bin dazumal in Fischhausen gewesen, beim Fischer, weil der Vater seine Kohlhütten im Josephsthal drinnen gehabt hat … da bist Du manchmal mit dem Vetter hereingekommen zum Kirchenbauern, dann haben wir am See gespielt miteinander …“

„Ja, ja …“ rief der Bursche mit aufleuchtenden Augen, „das hab’ ich nit vergessen! Und das bist Du gewesen? Und wie ich mich einmal zu stark hinausgebeugt hab’ über’n Kahn und bin hineingestürzt in den See … da ist das Kind hineingewatet und hat mich herauszieh’n wollen und wär’ mit mir ertrunken, wenn nit justament der Vetter herzu’kommen wär … Und das bist Du gewesen, Clarl? Weiß Gott, ich hab’ Dich nit wieder erkennt, aber jetzt weiß ich, warum Du mir gleich so eigen vor’kommen bist, warum’s über mich ’kommen ist auf einmal, gerad’ wie wenn der Blitz einschlagen thät … Clarl, geh’ nit fort, bleib’ bei mir, Clarl … schau, ich hab’ Dich so gern!“

Sie stand mit glühenden Wangen und gesenkten Augen, aber regungslos. „Es ist nit wahr …“ sagte sie und wollte an ihm vorüber.

„Nit wahr? Ich will Dir den Beweis geben dafür! Mein Vetter ist gesinnt, mir Haus und Hof zu übergeben … nichts brauch’ ich mehr, als ein Madel, das Brunnhoferin wird … Sag’ Ja, Clarl, und auf Heilig-Drei-König ist Hochzeit! … Glaubst mir noch nit?“

„Es ist doch Alles, Alles nit wahr …“ wiederholte sie, beinahe wehmüthig, aber fest.

„… Madel …“

„Du weißt gar nit, was das heißt, Jemand gern haben, so recht gern, von Herzensgrund!“ fuhr sie fort. „Du bist ein eigensüchtiger Mensch, der an Niemand denkt, als an sich selber! …“

„Aber Clarl!“

„Ob’s etwann anders ist? Deinem Vettern zum Widerspielen bist statt einem Bauern ein halbeter Jager ’worden; wann’s ihn auch ’kränkt hat – nur weil Dir selber das Herumschlenzen lieber gewesen ist! Dein Vetter verlangt, Du sollst den Hof übernehmen und Dir eine Bäurin suchen; Du thust ihm den Willen, aber wie? Auf Deine eigensüchtige Weis’! Wie’s Dir gefallt in Dein’ übermüthigen Sinn, Du treibst Dein G’spött mit der Lieb’, mit der Kirch’ und mit unserm Herrgott … Aber auf Eins,“ fuhr sie näher tretend fort, „auf Eins hast doch nit ’denkt, Du übermüthiger Bue … ob Dich das Madel auch mag, die die Fünfte ist auf der Evangeliseiten …“

„Das weißt Du …“ rief Sylvester bestürzt.

„Wohl weiß ich’s und mehr … und darum weiß ich auch, daß Du gar kein’ Ahnung davon hast, was das heißt, Jemand gern haben, so recht von Herzensgrund gern, und daß Du nur Dein’ Muthwillen treiben willst mit mir! Wer sich ein Weib aussucht durch’s Loos und durch’s blinde Ungefähr, der taugt nit zu mir, und wenn er zehn Bauernhöf’ hätte und ich noch zwanzigmal ärmer wär’, als ich bin! B’hüt Dich Gott, Sylvester … es ist schad’ um Dich … aber wir Zwei kommen nit zusammen!“

Sie ging; sie hatte mit Strenge gesprochen, aber durch die Strenge klang der Schmerz, bebte die Wehmuth, so sprechen zu müssen.

Vernichtet, keines klaren Gedankens fähig, starrte ihr Sylvester nach.

Eine schöne reine Gluth war angefacht in den beiden Herzen, aber eine finstere Aschenschicht legte sich erstickend auf die glimmenden Kohlen.



(Fortsetzung folgt.)


Die letzte Ehre.


Sie nennen’s „Bett der Ehre“, wo als Held
Der Krieger in dem Kampfgetümmel fällt.
Beim Trommelschall, beim Knattern der Gewehre
Legt man die Todten in ihr großes Grab.

5
Oft keine einz’ge Thräne fällt hinab –

Ein froher Marsch – vorbei die „letzte Ehre“.

Und spät darnach, und hundert Meilen weit
Fließt erst die Thräne all dem großen Leid,
Das tausend arme Menschenherzen tragen.

10
Da schreit der Schmerz: Du siehst ihn nimmermehr!

Da fühlt die Seele erst, wie schwer, wie schwer
Ist ohne Kranz und ohne Grab das Klagen!

Wie blickt voll Neid zu Dir der tiefe Schmerz,
Wie bist Du glücklich, treues Mutterherz,

15
Daß Du kannst weinen auf dem Sarg des Lieben!

Heim kam Dein Kind, Dein Sohn aus blut’ger Schlacht,
Und hat er heim den Tod mit sich gebracht:
Dein ist sein Grab, sein Sarg, sein Kranz geblieben!

Die Rosse, die sein starker Arm gelenkt,

20
Der alte Vater führt, das Haupt gesenkt

Zum Beten, auf der Grabfahrt ihre Zügel.
Und Du, o Mutter, siehst verklärt im Licht
Durch Sarg und Thränen nur sein Angesicht,
Und Deine Blumen schmücken seinen Hügel!

25
Des Himmels Abendglühen grüßt herab,

Wo klanglos zieht ein Held der Schlacht zu Grab,
Kein Trommelschall, kein Knattern der Gewehre!
Doch ward vor Tausenden ihm wohl und gut,
Dem unter Vaterhand und Mutterhut

30
Die letzte Liebe weiht die letzte Ehre!
Friedrich Hofmann.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_052.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2017)