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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

wohl unter den schläfrigen Lidern diese funkelnden, eine unbändige Gluth und Leidenschaft ausströmenden Augen! Wer aber auch hätte je gedacht, daß über dies hochmüthige Marmorgesicht ein so lebendiger Ausdruck von Verzweiflung Hingleiten könne!

Jutta’s Kopf schlüpfte elastisch unter der Hand des Hüttenmeisters weg; dann bog sie sich rasch nieder, nahm das Bouquet auf und vergrub ihr glühendes Gesicht in den Blumen; weniger gelang es ihr, die Hand zu befreien – der Hüttenmeister hielt sie mit fast schmerzendem Drucke fest und zog sie ohne alle Hast, aber unwiderstehlich an sich heran; das junge Mädchen mußte ihm wohl oder übel nach dem Seezimmer folgen, wenn es nicht eine förmliche Scene machen wollte.

An der Thür wandte sich der junge Beamte um und verbeugte sich ruhig – der Blick des Ministers fuhr glitzernd über ihn hin, aber diesmal unterblieb das gnädige Handwinken Seiner Excellenz.

„Vergessen Sie nicht, Fräulein von Zweiflingen, daß ich noch das Notturno von Chopin hören muß, ehe ich nach A. zurückkehre!“ rief er hinüber – seine Stimme klang heiser, und das Lächeln, das seine zuckenden Lippen erzwingen wollten, mißlang.

Eine tiefe, stumme Verbeugung des jungen Mädchens war die Antwort, und während er, die kleine Gisela an der Hand, die Zimmer entlang schritt, um in das untere Stockwerk zurückzukehren, trat sie mit dem Hüttenmeister und der ihr wie ein Schatten folgenden Frau von Herbeck in das grüne Zimmer.


8.

Und nun stand auch der Student zum ersten Mal vor der Braut seines Bruders. Die unverbindliche, schlaffe Haltung, das scharfgespannte Muskelspiel in dem fleischlosen Gesicht und die kahlgewordene Stirn machten ihn alt. Zorn und Groll brannten in seinen tiefliegenden Augen – er war ja in seiner Ecke ungesehener Zeuge des Gesprächs zwischen dem Minister und seinem Bruder gewesen. … Jutta hatte offenbar einen sehr unangenehmen Eindruck von ihm, um so mehr, als auch nicht das geringste Zeichen verrieth, daß ihn ihre äußere Erscheinung überraschte. Sie fand kein freundliches Wort und reichte ihm kalt die Fingerspitzen, die er ebenso frostig einen Moment berührte.

Wie ermüdet, oder auch gelangweilt, ganz im Stil einer hochgebietenden, vollendeten Weltdame, ließ sie sich in eine Causeuse fallen – der hinreißende Zauber kindlicher Befangenheit, mit welchem sie vor dem Minister gestanden, war verschwunden. Sie lud die Herren mit einer Handbewegung ein, Platz zu nehmen. Frau von Herbeck setzte sich neben sie auf die Causeuse. Die gute Dame, die nicht wich und wankte in ihrem ehrenhaften Amt als Tugendwächterin, sah sehr echauffirt aus – der Student dachte bei diesen glühenden Wangen und den im feuchten Glanze schwimmenden Augen unehrerbietig genug an einige silberhalsige Flaschen, die er im Vorüberschreiten auf einem Büffet des Vestibüles gesehen.

Sie hatte ihre Verlegenheit und Indignation von vorhin tapfer niedergekämpft und bemächtigte sich sofort der Conversation, da Jutta schweigend und sichtlich verstimmt einzig und allein damit beschäftigt schien, die Hyacinthenglocken ihres Bouquets zu zählen. … Sie sprach von dem großen Wasser draußen, von der Möglichkeit einer Ueberschwemmung, von ihrer Angst, daß das Wasser bis an die Treppe des weißen Schlosses steigen könne, aber mit keinem Wort von den bedrohten Lehmhütten des Dorfes.

Der Hüttenmeister ließ sie eine Zeitlang gewähren – vielleicht hörte er gar nicht, was sie plauderte – sein Blick haftete fest auf dem Gesicht seiner Braut – einmal mußten sich doch diese gesenkten Wimpern heben. … Man sagt, das schlafende Kind erwache unter einem durchdringenden Blick – eine mimosenhafte Empfindlichkeit der reinen Kinderseele! – War alles kindliche Element aus dem scheinbar tief in sich versenkten Mädchengemüth gewichen, oder fehlte der erweckende elektrische Funke, in dem Augenstrahl des ihr gegenübersitzenden Mannes? – sie sah nicht auf, kein Zug ihres Gesichts veränderte sich.

„Ich bin sehr begierig, das Notturno von Chopin von Dir zu hören, Jutta,“ sagte der Hüttenmeister plötzlich mit seiner festen, wohllautenden Stimme mitten in eine fließende Phrase der Gouvernante hinein.

Jutta fuhr empor – jetzt waren die Wimpern aufgeschlagen, und die Augen, größer als je, sahen ihn mit einem Gemisch von Schrecken und Erstaunen an. Frau von Herbeck aber verstummte und erstarrte sollte dieser Mensch wohl so maßlos unverschämt sein, an die Möglichkeit seiner Gegenwart im Musikzimmer Seiner Excellenz des Ministers zu denken? …

„Begreiflicherweise nicht hier, wo Du kein eigenes Instrument hast!“ fuhr er gelassen fort. „Wir gehen in’s Pfarrhaus –“

„In’s Pfarrhaus?“ rief Frau von Herbeck und schlug die Hände zusammen. „Um’s Himmelswillen, wie kommen Sie denn auf diese Idee, bester Herr Hüttenmeister? … In’s Pfarrhaus kann Fräulein von Zweiflingen doch unmöglich gehen – sie ist ja mit den Leuten total zerfallen!“

„Das höre ich zum ersten Mal,“ sagte der junge Mann. „Wie, zerfallen, weil Deine angegriffenen Nerven den Kinderlärm nicht ertragen konnten?“ wandte er sich an Jutta.

„Nun ja, das war der hauptsächliche Grund,“ entgegnete sie trotzig. „Ich schaudere, noch in der Erinnerung an diese Linchen und Minchen, Karlchen und Fritzchen mit ihren nägelbeschlagenen Schuhen und den ohrzerreißenden Stimmen – mein nervöses Kopfweh ist eine Errungenschaft aus jener entsetzlichen Zeit. … Weiter aber – ich sehe nicht ein, weshalb ich Dir’s länger verschweigen soll – habe ich einen unsäglichen Widerwillen gegen die Pfarrerin selbst. Diese grobe, hausbackene Person steckt vollmaßloser Herrschsucht, und ich fühle selbstverständlich nicht die mindeste Lust, mich unter ein Commando zu stellen, das mir durchaus Besen und Kochtopf aufnöthigen und alle höheren Interessen in mir ersticken will.“

Sie sank wieder zurück und ließ die Lider über die Augen fallen. Die dunkle Lockenfluth breitete sich über das grüne Polster, und das marmorweiße Gesicht mit den energisch geschlossenen Lippen hatte etwas Sphinxartiges.

(Fortsetzung folgt.)




Land und Leute.

Nr. 29. Bei den Pichern im Voigtlande.

Wer sein Knabenalter im deutschen Flachlande verlebte und seine ersten Waldstudien unter den mächtigen Eichen und Buchen der Niederungen machte oder an den erlenbesäumten Flüssen im üppigen Grase der großen ebenen Wiesen das, erste stille Naturleben genoß, der kann sich lange nicht an den düstern Schwarzwald der Gebirge gewöhnen. Mich beschlich in den ersten Jahren meines Aufenthaltes in Gebirgsgegenden stets eine Art Heimweh, wenn ich auf meinen Spaziergängen nichts und wieder nichts als die schwarzen Fichten- und Tannenbestände als Belebung der Landschaftsbilder vor Augen hatte, und nur dann wich das beklemmende Gefühl, wenn ich nach Ersteigung eines kühn aufstrebenden Felsens oder eines hohen Berges mich der herrlichen Fernsichten erfreuen konnte. Hat man aber, wie ich, einige zwanzig Jahre in solchen Umgebungen verlebt, so wird der Aufenthalt darin immer angenehmer, wozu die Gemüthlichkeit der Gebirgsbewohner selbst wesentlich beiträgt.

Bald streifte ich mit wahrer Freude in den dunkelen Nadelholzwäldern umher und lernte auf diesen Wanderungen mancherlei menschliche Gewerbe und Arbeiten kennen, die lediglich dem Walde ihre Nahrung verdanken. Besonders interessant war mir eine Begegnung mit dem eigenthümlichen Völkchen der Pechsieder oder Picher, wie wir’sie in unserem sächsischen Voigtlande, meiner derzeitigen Heimath, nennen. Da auch anderwärts, namentlich in den Bergwäldern des Harzes und Böhmens, die Pechgewinnung zahlreiche Hände beschäftigt, so ist es den Lesern der Gartenlaube vielleicht nicht unwillkommen, sich den Picher und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_116.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2021)