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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Mein Gefährte, ein Oelbild beleuchtend, das ein junges Weib von blendender, fremdartiger Schönheit in Lebensgröße und halbindischem Costüm darstellte, sprach „Diava“ … Tiefe dunkle Kinderaugen, ein kränklicher Zug im zartgoldbraunen Antlitz, tief in die Stirn gescheiteltes, schwarzes Haar, ein Profil wie aus einer baktrischen Medaille herausgeschnitten, als Diadem und Halsgeschmeide blitzender Schuppenschmuck, den die indischen Goldschmiede von Cutsch gefertigt haben mochten, und eine schneeige Musselinwolke, durch welche die Haut wie ein Goldfaserngewebe schimmerte …

„Arme Diava!“ flüsterte mein Freund, mich rasch fortziehend.

Wir traten in eine Bibliothek … Welch’ fremdartiger Bücherkram! Die heiligen Bücher Manu’s bemerkte ich neben der Niti-Sastra in javanesischem Texte, hier das Drama Sakuntala mit der Jones’schen Uebersetzung neben dem Schu-King, des Confucius Bibel, dort die uralten Götterepen Indiens im Urtexte und die drei Bücher der Zend-Avesta. außerdem viele Sanskritwerke, in „göttlicher“ Schrift geschrieben, tamulische und malayische Manuscripte auf die Blätter der Taliputpalme eingeritzt und andere orientalische Curiosa mehr, ein Entzücken für sprachkundige Bibliophilen, ein Entsetzen für gewöhnliche Menschenkinder. Wir stiegen nun eine geheime Wendeltreppe hinab, schwacher Dämmerschein grüßte, und plötzlich standen wir inmitten eines Hindutempels. Die gemalte Decke ruhte auf zwei Marmorelephanten und Sculpturen deckten die Wände. In einer Altarnische kauerte ein dunkelblauer Gott mit Lotus und Elephantenrüssel … Wischnu und stierte in die ersterbende Opfergluth. War’s ein Traum? Welche Hand hatte hier das heilige Feuer entzündet? Mein Führer öffnete lächelnd eine versteckte Thür. Ich prallte unwillkürlich zurück … Vom Lampenschein, der das reichgemalte Innere eines pagodenartigen Anbaues spärlich erhellte, schimmerte der nackte Fakirschädel eines uralten Mannes, der, auf einer Art Pritsche kauernd, in die Lectüre eines Folianten vertieft schien. Sein kolossaler Bart überfluthete förmlich die Blätter des Buches, goldene Ringe funkelten in seinen Ohren, ein schmutzigweißes, zerrissenes Gewand verhüllte nothdürftig den geheimnißvollen Leser, der quer über die Brust einen breiten Strick trug. Als ich einzutreten zögerte, sprach der Baron.

„Nähern Sie sich ohne Furcht; es ist Dhruva, der Brahmane, er hört und sieht nichts, denn längst ist er halb blind und taub, und besäße er auch alle seine Sinne, so wäre doch nichts in der Welt im Stande, den Alten in der Lectüre der heiligen Vedas zu stören … Was sagen Sie zu meiner Ueberraschung? …“

Ich betastete mich ängstlich, wie war mir doch? Alles dies Wirklichkeit?! … Der Götzentempel, die Pagode, der gespenstische Brahmapriester!! … Ich trat näher, der Greis saß unbeweglich wie sein Gott draußen in der Nische – eine versteinerte Ewigkeit.

Jetzt erst bemerkte ich ein halbnacktes Individuum, das, wie ein Höhlenthier zu den Füßen des Brahmanen zusammengekauert, uns blöd anstierte.

„Brigu, des Brahmanen Diener,“ erklärte der Baron … „und sein einziger Gesellschafter seit vierzig Jahren, beide zusammen zählen wohl zwei Jahrhunderte.“

Wenige Augenblicke später saßen wir im Tempel auf dem Sockel des Götzen.

H. begann. „Was ich Ihnen erzählen will, ist eine Chronik meiner Familie, deren Details ich oft aus dem Munde meiner mütterlichen Großtante, Theobalde van Schapenham, gehört habe, die zur Stunde in unserer Familiengruft zu Zütphen ruht.“

Und jetzt erzählte mir Baron H. die sonderbare Geschichte, die ich „das Geheimniß des Brahmanen“ genannt habe.

Piet van Schapenham war Mitte des vorigen Jahrhunderts der reichste Geizhals in Broek. Er hatte zwei Töchter, Theobalde und Walburga, und einen Sohn, Dirk. Walburga, die Großmutter mütterlicherseits des Barons, starb zur Zeit, während Onkel Dirk, wie mein Freund sagte, der in Folge eines Zerwürfnisses mit seinem Vater in britische Dienste getreten war, sich in Indien gegen die Fürsten des Mahrattenbundes schlug. Dreißig Jahre verlebte Dirk im Lande der Hindu’s, erwarb Ehren und Schätze, und wenn er etwas von sich hören ließ, so war’s in ein paar Zeilen an seine Schwester Theobalde, die er immer zärtlich geliebt hatte. Da starb der alte Schapenham im Alter von neunzig Jahren mit Hinterlassung eimes kolossalen Vermögens. „Dirk kam nach Europa zurück, jedoch in einem so seltsamen Aufzuge, daß alle braven Broeker Mund und Nase vor Erstaunen aufrissen Er trug nämlich ein weißes Brahmanencostüm mit Sandalen und Turban, goldene Ohrringe und eine baumwollene Brustschnur als Kastenabzeichen. Begleitet war er von seiner sechszehnjährigen Tochter Diava, deren Hinduamme Naorie, einem wahrhaftigen Brahmanen in Fleisch und Blut, mit Namen Dhruva, und zwei indischen Dienern Brigu und Savra, blutarmen Teufeln aus der niedrigen Sudrakaste, von denen der letztere noch mit der Bewachung eines garstigen Affen aus der heiligen Affendynastie von Mattra betraut war. Unter diesen braven Leuten waren insbesondere Naorie und die beiden Hindu’s in einer den klimatischen und anstandsüblichen Traditionen Althollands wenig entsprechenden Weise costümirt, indem die Toilette Ersterer aus einem blaugläsernen Nasenring und einem kürzen Röckchen bestand und die armen Sudra's außer Turban und Wollhemd nichts Warmes, als einen Ledergürtel und ein Paar Bronzeohrgehänge besaßen. „Heiliger Gott,“ riefen die Broeker mit aufgehobenen Händen, „Dirk van Schapenham ist verrückt geworden was will er mit seiner gottlosen, halbnackten Gauklerbande?!“ …

Der indische Crösus antwortete auf die Entrüstunug seiner honorablen Landsleute damit, daß er zur Stelle einen Architekten aus England kommen ließ, der ihm in einem Jahre den indischen Palast hinzauberte, welcher noch heute den Namen des „Brahmanenhauses“ trägt. Hier installirte sich der Sonderling mit seiner Tochter, seinem Brahmanen, seinen Hindu’s und dem heiligen Affen, nachdem er seine Schwester Theobalde, die aus Neigung und ihres mangelhaft schönen Wuchses halber unverheirathet geblieben war, gebeten hatte, die Leitung des Haushaltes zu übernehmen. Tante Theobalde, erzählte der Baron, eine grundgescheidte, vorurteilsfreie Frau, die ihren Bruder trotz seiner Brahmamanie herzlich lieb hatte, hat mich in meiner Kindheit oft stundenlang von den Wunderlichkeiten dieses Haushaltes köstlich unterhalten. Dhruva, der Brahmane, entschieden die Hauptperson im Hause, war Hauscaplan, Hofmeister, Vertrauter und Factotum des Onkel Dirk, der dem heiligen Manne die unbegrenzteste Ehrfurcht bezeigte. Theobalde schilderte ihn als einen wunderschönen Hindu von etwa fünfzig Jahren, mit großen, glanzvollen Augen, feinen, wie aus vergilbtem Elfenbein gedrechselten Zügen, kurzem, schwarzem Bart und Haar, mit Händen, durchsichtig wie Bernstein, und einer gebieterischen Gestalt. Cousine Diava schien eine besondere Zuneigung zu ihm zu nähren, welche der schöne Indier sichtlich erwiderte.

Diava war ein zartschlankes Sonnenkind, launig, indolent, krankhaft phantastisch, bald nur Jubel, bald nur Thränen und von ihrem Vater förmlich vergöttert. Schapenham war ein harmloses Original seltenster Art. Eine von Natur krankhafte Phantasie und das jahrelange Studium der indischen Literatur hatten ihn zur fixen Idee geführt, die Seele eines Brahmanen habe sich in ihm verkörpert und er müsse deshalb durchaus nach dem Gesetz Manu’s leben. Er hatte eine Indierin aus der Brahmanenkaste geheiratet und aus diesem Grunde schon von allen Europäern abgeschlossen gelebt. Diava’s Geburt, nachdem er mehrere Kinder verloren, war der Lichtpunkt seines einsamen Lebens. Die Taufe des Kindes war äußerst seltsam. Der glückliche Vater nämlich öffnete das heilige Buch Manu’s und las folgende Stelle:

„Der Name des Weibes soll leicht auszusprechen, sanft und hellklingend sein und in Vocalen enden, damit er töne wie Worte des Segens.“

Und so nannte er das Kind der indischen Mutter „Diava“, das ist „Himmelskönigin“.

Ein zweiter Glückstag war für den indischen Gelehrten der Tag, wo ihm die Leydener philosophische Facultät, in Anerkennung seines analytisch-kritischen Werkes über die „Puranas“ oder indischen Legendensammlungen, das Ehrendoctordiplom verlieh.

In der Hierarchie der Bewohner des seltsamen Hauses kam nun der heilige Affe, der seinen Namen „Dämon“ in jeder Beziehung rechtfertigte. Tante Theobalde konnte nicht genug von dem boshaften Thiere erzählen, das insbesondere die Sudra´s unbarmherzig mißhandelte, welche ihrerseits die gottgeweihte Bestie nicht zu berühren wagten. Diava allein stand in Gnaden bei diesem vierhändigen Satan, dessen Streiche ihr oft viel Kurzweil bereiteten. Das eine Mal hatte der Affe die Bananen und Mangofrüchte verspeist, welche Mynheer Schapenham selbst in einem besonderen Gewächshause zog, um sie Wischnu als Opferspende

darzubringen. Dann raubte „Dämon“ seinem in die

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