Seite:Die Gartenlaube (1869) 212.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

der pflichtschuldigst in allen möglichen Lagen Rath wissen mußte; weit und breit war keine menschliche Stimme, kein Fußtritt zu hören – keine stärkende Essenz, nicht einmal ein Glas frischen Wassers stand der rathlosen jungen Dame zu Gebote. Dabei befand, sie sich auf völlig fremdem Terrain – ihre eigenmächtigen, einsamen Waldwanderungen hatten immer nur den See zum Ziel gehabt. Es half nichts, sie mußte nach der weitentlegenen Waldwiese zurücklaufen.

Zu demselben Augenblick war es ihr, als höre sie das Plätschern eines Brunnens. Sie schritt sofort den Holzweg entlang und kam dem Geräusch immer näher. Rechts zweigte sich ein schmaler Weg durch das Unterholz ab; sie betrat ihn ohne Zögern – er führte sicher in Menschennähe.

Hinter ihr schrie das Kind jäh auf, als sie seinen Augen entschwunden war – sie beschleunigte angstvoll ihre Schritte und stand plötzlich der hochaufspringenden Fontaine des Waldhauses gegenüber. Sie fuhr heftig zusammen und trat unwillkürlich in’s Gebüsch zurück.

In diesem grünumsponnenen, alterthümlichen, grauen Hause, „halb der Wohnsitz eines Märchenprinzen und halb der eines nordischen Barbaren“, wie sich die schöne Stiefmutter ausgedrückt hatte, wohnte der Portugiese – er konnte jeden Augenblick dort in die weitoffene Thür treten. … Um Alles mochte sie den zwei Augen nicht wieder begegnen, die vorgestern so finster und kalt strafend auf ihr geruht und heute wieder scheu, in Abneigung sich von ihr gewendet hatten. …

Dort quoll das belebende Naß, das sie so angstvoll suchte, aber aus dem Murmeln und Plätschern schollen ihr dunkle, strenge, zurückweisende Stimmen entgegen – jeder der funkelnden Tropfen schien kältend auf ihr Herz zu fallen – sie schauerte in sich zusammen – und dennoch mußte sie das schützende Dickicht verlassen; das ferne klägliche Weinen des Kindes trieb sie unwiderstehlich vorwärts.

Sie verließ den Waldboden und erschrak auf’s Neue über den Kies, der unter ihren leichten Tritten knirschte. … Todtenstille herrschte um das Haus – auf den Spiegelscheiben glitzerte die höher emporsteigende Sonne, und die losen Ranken der Aristolochia bewegten sich leise hin und her im schwachen Windhauch – kein Menschenantlitz ließ sich hinter den Fenstern sehen. Vielleicht war der Herr des Hauses in Neuenfeld – er sollte ja unermüdlich thätig sein. Irgend einer von der Dienerschaft aber verstand sich gewiß dazu, sie zu begleiten und dem armen Weibe beizustehen.

Ermuthigt schritt sie bis an den Fuß der Treppe, die auf die Terrasse führte, doch mit einem leisen Aufschrei fuhr sie zurück – der Papagei, der sich bis dahin mäuschenstill verhalten hatte, stieß ein mißtönendes Krächzen aus, und der kleine Affe sprang zähnefletschend, mit einem ungeheuren Satze von seinem Lieblingsplatz herab – es wurde unheimlich lebendig um das junge Mädchen her.

Ihr Schrei mußte im Hause gehört worden sein – ein alter Mann trat mit forschenden Augen aus der Halle, blieb aber bei Gisela’s Anblick, als sähe er ein Gespenst, wie festgewurzelt auf der Terrasse stehen.

Die junge Dame hatte wenig Gelegenheit gehabt, physiognomische Studien zu machen, allein das wußte sie sofort – der Mann dort stand ihr gegenüber wie ein ergrimmter Feind. Haß und schreckhafte Ueberraschung spiegelten sich auf dem dunklen, harten Gesicht. Er streckte ihr abwehrend die großen, knochigen Hände entgegen und rief rauh hinab:

„Was wollen Sie? … In dem Hause hier haben Sie gar Nichts zu suchen! Es hat mit den Zweiflingen und dem Fleury nichts, mehr zu schaffen!“ – Er zeigte nach einem der schmalen Waldpfade zur linken Hand. „Dorthin führt der Weg in’s Arnsberger Holz!“ fügte er hinzu, als gehe er von dem Wahn aus, sie habe sich verirrt.

Wie zu Stein erstarrt blickte das junge Mädchen mit entsetzten Augen zu dem unheimlichen Mann auf. Eine dunkle Erinnerung aus ihrer Kinderzeit stieg in ihr empor – sie wurde in diesem Augenblick zum zweiten Mal von der Schwelle des Waldhauses fortgewiesen. … Eine unsägliche Furcht überschlich Ihr Herz, aber das stolze Blut der Reichsgrafen Sturm und Völdern kreiste nicht umsonst in ihren Adern – es schoß ihr siedend nach dem Kopfe; und wenn sie auch am liebsten spornstreichs in den schützenden Wald zurückgeflüchtet wäre, so fand sie doch den Muth, die äußere Ruhe zu behaupten.

Sie maß den alten Mann mit einem stolzen Blick, und ihre Mundwinkel senkten sich genau in jener hochmüthig verächtlichen Weise, mit welcher einst die Gräfin Völdern manchem Herzen den Todesstoß versetzt hatte.

„Ich habe nicht daran gedacht, dieses Haus zu betreten!“ sagte sie schneidend und wandte ihm den Rücken – sie wollte sich langsam entfernen – aber durfte sie gehen, ohne Hülfe mitzubringen? … Es kostete ihr eine unsägliche Ueberwindung, noch einmal zurück in das Gesicht des schrecklichen Mannes zu sehen – aber sie that es – die Lehre von der Liebe, die sie heute in ihr Herz aufgenommen, ließ sich nicht wieder verlöschen.

„Ich lasse Ihre Herrschaft um ein Glas bitten, damit ich dort Wasser schöpfen kann!“ sagte sie in demselben gebieterischen Ton, mit welchem sie im weißen Schlosse zu befehlen gewohnt war, und deutete nach dem Springbrunnen.

„Holla, Frau Berger!“ rief der Mann in das Haus zurück, ohne jedoch seine Stellung im Mindesten zu verändern – er stand dort, als gelte es, die Schwelle mit dem feurigen Schwerte zu hüten.

Eine stattliche Frau mit weißer Haube und Schürze jedenfalls die Haushälterin – erschien im Hintergrund der Halle.

„Ein Trinkglas!“ rief ihr der Alte zu.

Sie verschwand wieder.

„Was giebt es, Sievert?“ fragte plötzlich in der Halle die Stimme des Portugiesen.

Der alte Soldat erschrak sichtlich – fast schien es, als hüte er die Thür so ängstlich wegen des Mannes da drinnen. Er streckte hastig und abwehrend die Hand gegen das Haus, aber da stand der Portugiese bereits auf der Schwelle.

Er sah bleich aus – „kreideweiß vor Schmerz um den erschossenen Hero“ hatte vorhin der Diener auf der Waldwiese gesagt. Als jedoch seine Augen auf Gisela fielen, die noch, mit Stolz und Hochmuth umgürtet, am Fuß der Treppe stand, da flog eine tiefe Gluth über das braune, männliche Gesicht. In diesem Moment jäher Ueberraschung zeigten seine Züge nichts weniger als Abscheu und Verachtung – das dunkle, menschenfeindliche Gepräge der Stirn freilich schien unverwischbar, aber die Augen leuchteten, wenn auch nur meteorartig, in einem eigenthümlichen Glanze auf.

Unter diesem Blick verwandelte sich Gisela’s Haltung sofort. Sie verlor fast unbewußt den Schild des Trotzes und der Entrüstung und stand plötzlich wieder dort, wie sie gekommen – als junges, scheues, hülfeheischendes Mädchen. … Wie infolge einer Eingebung hob sie die Hände zu ihm empor.

Diese eine Bewegung brachte den alten Soldaten völlig außer sich.

(Fortsetzung folgt.)




Land und Leute.

Nr. 30. „Dat söte Länneken“.

Nach Fluchten und nach Zügen
Weit über Land und Meer,
Mein trautes Ländchen Rügen,
Wie mahnst du mich so sehr!
O Eiland grüner Küsten,
O bunter Himmelschein!
Wie schlief an deinen Brüsten
Der Knabe selig ein!

Wie locken deine Minnen
Mit längst verklungnem Glück
Den grauen Träumer hinnen
In alter Lust zurück!
Drum grüß’ ich aus der Ferne
Dich, Eiland, lieb und grün:
Sollst unterm besten Sterne
Des Himmels ewig blühn!

So sang aus dem junggebliebenen Herzen des alten Arndt im Paradies des Rheinlandes noch das Heimweh nach seiner Heimathinsel. Und wenn auch nur von den Bewohnern des

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_212.jpg&oldid=- (Version vom 3.3.2020)