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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

auf dem Weltmarkt erschienenen und heute noch unerschöpflich scheinenden Seeauswurf?

Nirgend anders offenbar, als von derselben blauen Bernsteinschicht, die, sich nördlich sowohl, wie vielleicht zehn Meilen westlich bis gegen Danzig hin unter’m Meeresbecken fortsetzend, in Folge starker Absenkung des letztern bloßgelegt und von der Gewalt der stürmischen Wogen benagt wird. Diese thun dort, wenn man will, ungefähr dieselbe Wirkung im Großen, wie es die schweren Bagger in der Schwarzorter Sandschicht im Kleinen thun (die sich beiläufig als eine Bernsteinablagerung secundärer Art erwiesen). Bei günstiger Richtung der abstillenden Winde wird dann der vom Wogendrang seinem Lager entrissene Stein mit seinem steten Begleiter, dem Seetang (Bernsteinkraut) dem Lande zugetrieben und von den bei seinem Erscheinen eiligst am Strande versammelten Dörflern mit Sacknetzen (Käschern) aufgefischt (geschöpft), wobei die Männer, bis zur Brust im Wasser stehend, deren Inhalt den weiter zurückbleibenden Weibern und Kindern zur gründlichen Sichtung hinschütten. Eine Arbeit, die zumal im Spätherbst, wenn der steife Nordost den oft über die Köpfe spritzenden Wogengischt in Eis wandelt, wahrlich kein „Sport“ zu nennen ist!

Allein gerade die größeren Stücke des werthvollen Minerals sinken oft, in Tangmassen eingehüllt, weit vor der Brandung, von großen Steinen aufgehalten, zu Boden, und werden beim Spiel der Wellen von jenen bedeckt. Diese Beute zu erlangen, warten die Bernsteinfischer die völlig wiedergekehrte Meeresstille ab und beginnen dann die zweite bisher gebräuchliche Gewinnungsart: das Bernsteinstechen.

Ein Taucher in voller Rüstung. Nach der Natur aufgenommen.

In der ersten Frühe eines Hochsommertages sieht man oft genug diese emsigen Schatzsucher in Booten zu fünf bis sechs Mann weit vorgeneigt die grünliche Salzfluth von zehn bis dreißig Fuß Grundtiefe mit gierigen Augen durchspähen. Vermittelst langer Spieße mit verschieden geformter Spitze, nöthigenfalls mit mächtigen gekrümmten zweizinkigen Gabeln, lockern die Einen den beschwerenden Stein, während die Anderen mit gleich langen Käschernetzen das Bernsteinkraut auffangen und emporziehen. Eine außerordentlich reiche Ablagerung ähnlicher Art, in diesem Fall wohl Jahrhunderte lang angetriebener, von mächtigen Steinen und Geschiebeblöcken beschwerter Bernstein, befindet sich auf einer Strecke von etwa sechshundert Schritt Länge und vierhundert Schritt Breite, am Fuß der allen kreuzenden Winden und Wogen ausgesetzten Nordwestspitze von Brüsterort.

Zur Erlangung dieses seiner schönen Farbe und Qualität halber sehr geschätzten „Reef“- oder „Riffsteins“ ist dort vielfach experimentirt worden. Auf Anordnung der königlichen Regierung wurden im vorigen Jahrhundert auch Versuche mit Tauchern (Halloren) gemacht; doch mußten diese alsbald der ungewohnten Rauhheit des Klimas, wie dem Brodneid ansässiger Arbeiter weichen. Da die eben geschilderte Manipulation des „Stechens“ sich den wuchtigen Decksteinen gegenüber als unzureichend erwies, so nahm man seine Zuflucht zu mächtigen Zangen und Flaschenzügen, mittelst deren man die Steinkolosse auf Flöße hob; ein höchst mühsames und nicht immer erfolgreiches Gewaltmittel gegenüber dem sich hartnäckig am Meeresschooß festklammernden Kleinod! So mußte denn den intelligenten Inhabern unserer Bernsteinfirma, welche inzwischen durch Abfindung der bisherigen „Stechereipächter“ auch die Pachtung des Wasserregals bei Brüsterort erworben, der sinnreich erfundene Taucherapparat des französischen Marine-Capitains Rouquayrol-Denayrouze hochwillkommen sein, von dessen praktischer Verwendbarkeit sie auf der Pariser Weltausstellung von 1867 Kenntniß gewonnen hatten. Unverzüglich wurden nun ein paar junge französische Mechaniker, zugleich des Tauchens kundig, nach Brüsterort entführt, und diese sind dann die Lehrmeister des nach und nach in Brüsterort herangebildeten Taucherpersonals nicht nur, sondern auch die Werkführer bei Anfertigung neuer Apparate etc. geworden.

Somit ständen wir denn nach einer zur gründlichen Orientirung unerläßlichen Abschweifung wieder bei unseren Tauchern, deren Verfahren wir in diesen Zeilen schildern wollen, da wohl nur die wenigsten unserer Leser Gelegenheit haben mochten, den Experimenten des Herrn Recher beizuwohnen, der sich vor Kurzem in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_364.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)