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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

und es treibt einem den Zorn und den Grimm in alle Glieder, wenn man daran denkt, daß eine elende Diplomatie nach des corsischen Napoleon Sturz die geschichtliche Sünde nicht wieder gut machte und, von gegenseitiger Eifersucht angestachelt, von legitimistischem Wahnwitz getrieben, Straßburg sammt dem Elsaß an dieselben Bourbons zurückgab, deren Vorfahren beide dem Reiche geraubt hatten. Diese Rückgabe deutscher, von uns wieder erworbener Lande an die Franzosen gehört zu den historischen Niederträchtigkeiten der abscheulichsten Art. Die deutschen Fürsten haben Vieles wieder gut zu machen, um solche Dinge in Vergessenheit zu bringen.

Nirgends in der Welt giebt es eine Landschaft, welche von der Natur selbst als etwas so ganz und gar Zusammenhängendes geschaffen wurde, wie das Rheinthal zwischen Schwarzwald und Vogesen. Derselbe Menschenstamm, derselbe Boden, dieselben Erzeugnisse und eine gemeinsame geschichtliche Entwickelung von zweitausend Jahren! Diesen historischen Faden durfte Ludwig der Vierzehnte durchschneiden, und die Sünder des Wiener Congresses begingen den Frevel, ihn nicht wieder anzuknüpfen. Während meines zweiten Aufenthaltes in Baden-Baden, 1843, lernte ich dort einen sehr wohlhabenden und hochgeachteten Altbürger von Straßburg kennen; wir schlossen uns näher aneinander und bald wußte ich, daß ein echt alemannisches, kerndeutsches Herz in seiner Brust schlug. Die Lage und die Verhältnisse des Elsasses bildeten täglich einen Gegenstand unserer Gespräche.

„Warum habt Ihr uns 1814 nicht behalten?“ sagte er eines Tages. „Ich bin es gewesen, der damals das deutsche Commando bei der Straßburger Nationalgarde wieder eingeführt hat. Wir waren darauf gefaßt, wieder mit Deutschland vereinigt zu werden, wohin wir gehören. Die Wälschen sind uns Fremde; sie schleppen unsere Leute nach Algier, wo sie am Fieber oder an Kabylenkugeln hundertweise zu Grunde gehen; davon weiß jedes Dorf zu sagen. Wir haben kein Herz zu ihnen; aber Ihr habt uns bei ihnen gelassen. Gott verd –!“ Dabei nahm der alte, greise Mann sein Glas und warf es in tausend Scherben. Das war oben im schattigen Hofe des alten Schlosses von Baden-Baden.

Mich ergriff dieser Auftritt tief. Wir schwiegen eine Weile dann fuhr der wackere Z–f fort: „Es hat nicht sein sollen. Vielleicht ist es auch gut so; denn sehen Sie, an wen hätten wir Elsasser fallen sollen, wem wären wir zugetheilt worden? Einem von Euren Duodezstaaten? Dafür müssen wir danken, das kann uns nicht locken; wir könnten nur zu einem großen Deutschland gehören, weil wir seit zweihundert Jahren einem großen Staate einverleibt sind. Auch lockt uns Eure Censur nicht, Euer Bundestag thut es eben so wenig; aber der Zollverein, wohlan, den lasse ich mir gefallen. Nur so fortgefahren. Sehen Sie, wir haben constitutionelle Verfassung und freie Presse, die doch für gebildete Menschen einen hohen Werth besitzen, und was könntet Ihr Deutschländer uns dagegen bieten? Also jetzt tauschen wir nicht. Ihr habt viel versäumt; nun sind seit 1814 wieder dreißig Jahre verflossen, in denen bei uns das Werk der Verwälschung Fortschritte gemacht hat, denn darauf versteht man sich in Paris, und Monsieur Guizot, der Protestant und Doctrinair, treibt es damit am allerärgsten.“

Ich entgegnete: „Das Alles ist sehr wahr. Aber Deutschland ist im Aufsteigen und es werden Tage kommen, da es wieder stark und mächtig dasteht. Dann wird durch Pflicht, Interesse und Nothwendigkeit vor allen Dingen geboten sein, daß wir wieder nehmen, was uns geraubt worden ist. Wir werden dann nicht lange fragen, ob die Elsasser Sympathien für uns haben und wieder mit uns vereinigt sein wollen. Nur ein Schwachkopf würde sich darum kümmern. Anderthalbhundert Jahre habt Ihr die Euch aufgezwungene Vereinigung mit Frankreich widerwillig ertragen und nur durch lange Gewohnheit und materielle Vortheile Euch mit demselben eingelebt; mit der Wiedervereinigung, dem Beitritt zum alten Haupt-und Stammlande, würde sich die Sache rascher machen; ohnehin weisen ja alle materiellen Interessen vorzugsweise nach uns, nach dem Rheinlande hin.“

„Darin pflichte ich Ihnen bei. Hätten die Deutschländer 1814 das Elsaß behalten, so wäre es bei uns überall wie in Landau, wo man nichts von Wälschen sieht und hört. In Straßburg, Mülhausen, Colmar und anderen Städten hätten wir dann wohl noch an paar tausend Dutzend Franzosen behalten; aber was wollte das sagen gegen die Million Landesbewohner?“

Noch in demselben Herbste besuchte ich meinen würdigen Freund, der ein echter Mann von Schrot und Korn war, in seinem behäbigen Hause, das seit einigen Jahrhunderten im Besitze derselben Familie sich befindet. Ich fühlte mich wohl und heimisch, und in goldgelbem elsasser Wein haben wir auf das Wohlergehen, die Freiheit und die Macht Deutschlands getrunken.

Wenn, mein lieber Alfred, unter Deinen Cameraden sich der Eine oder der Andere befände, der in Sympathie für fremde Nationalitäten schwärmte; so rede Du ihnen vom Elsaß und sage, daß man Theilnahme, Mitgefühl und Thatkraft vor allen Dingen für sein eigenes Land und seine eigenen Brüder haben müsse. Deutschland muß stark und mächtig sein; darauf kommt Alles an!

Bei uns begannen das Unheil und die Verluste, als Kaiser und Reich schwach wurden und der Particularismus obenauf kam; dazu haben die nichtswürdigen dogmatischen Zänkereien und die Religionskriege wesentlich beigetragen. In Folge derselben schnappte Frankreich zu; während es im eigenen Lande die Protestanten mit Feuer und Schwert verfolgte; leistete es den deutschen Protestanten gegen den katholischen Kaiser Vorschub; und so gingen für uns durch den kläglichen Passauer Vertrag und Moritz von Sachsen die drei lothringischen Bisthümer Metz, Tull und Werden (Verdun) verloren. Metz, die alte Reichsstadt, in welcher die sieben deutschen Kurfürsten die goldene Bulle unterzeichneten, wurde dadurch aus einem Schlüssel Deutschlands ein Bollwerk und eine Vormauer Frankreichs gegen uns.

Aber von allen Verlusten, die wir durch die Uneinigkeit und Schwäche unserer paar hundert souveränetätsschwindelkranken Fürsten erlitten haben, ist kein einziger so beklagenswerth und nachtheilig, wie jener des Elsasses. Nicht nur, daß wir unsere allerherrlichste Landschaft und Vorburg einbüßten, sondern unser Reichsbollwerk Straßburg ist zu einem Pfahl in unserem Fleische geworden. Den dürfen wir nicht stecken lassen.

Das Elsaß! Es ist im dreißigjährigen Kriege, im westphälischen Frieden vom Reich abgetrennt worden, zu welchem es vom Anfang der Geschichte an gehört hat. Das sind für Deutschland die Folgen der kirchlichen Zänkereien gewesen, der dogmatischen Streitigkeiten, der abscheulichen Religionskriege, des überwuchernden Pfaffenthums, das so viel Unheil über die Völker gebracht hat. Beim Keifen über „himmlische Dinge“ ging uns unsere irdische Macht, Größe, Blüthe, gingen Wohlstand und Bildung verloren, und unsere Nachbarn vergrößerten sich auf unsere Kosten.

Als schon das Elsaß der französischen Macht gehorchen mußte, blieb doch die alte Reichsstadt Straßburg noch länger als dreißig Jahre bei Deutschland. Aber kein Tag verging, an welchem Ludwig der Vierzehnte nicht Ränke gesponnen hätte, um dieses deutsche Juwel seiner wälschen Krone einzuverleiben.

Laß Dir nun erzählen, wie Straßburg durch innern Verrath und Schwäche des von den Türken bedrängten Kaisers an den Erbfeind kam. Es ist eine lehrreiche und spannende, aber traurige Geschichte, aus der wir auch heute noch Nutze ziehen können.

Auf Straßburgs Bürgern lastet kein Vorwurf; sie haben volle sechszig Jahre lang mit bewundernswürdiger Geduld und Ausdauer auch die größten Opfer getragen und Alles, was in ihren Kräften stand, gethan, um die Reichsfreiheit zu behaupten und im uralten Verbande mit Deutschland zu bleiben. Selbst in dem Unglücksjahre 1681, als sie der Noth und dem Zwange weichen mußten, legte noch die ehrsame, allzeit streitbare Schneiderzunft auf ewig Verwahrung ein gegen die Gewaltthat Ludwig’s. Ja, die Schneider sind in Straßburg die tapfersten Leute gewesen und haben viele Jahre lang unermüdlich auch an den Wällen, Schanzen und Mauern gearbeitet; bei jedem Aufrufe zu den Waffen waren sie allemal, wohlgerüstet mit Wehr und Waffen, unter den Ersten auf dem Sammelplatze.

Auch nachdem 1648 im westphälischen Frieden das Elsaß zum größten Theile an Frankreich verloren gegangen war, war Straßburg noch reichsfrei geblieben, zum großen Verdruß des Pariser Hofes, der fortan unablässig darauf hinwirkte, das „Bollwerk“ in seine Gewalt zu bringen. Ludwig der Vierzehnte unterhielt einen Residenten in Straßburg, dessen Aufgabe es war, eine Partei des Verraths in der Stadt zu bilden und Uneinigkeit unter den Bürgern anzuzetteln. Während er es an Bestechungen und Geldversprechungen nicht fehlen ließ, brach der König jede

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 559. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_559.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)