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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


No. 14.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Ein Held der Feder.
Von E. Werner.[WS 1]


Ein klarer Januartag lag über einer jener Städte des Mississippi, die noch vor zwei Jahrzehnten aus einem Dutzend roh gezimmerter Holzhäuser bestanden und sich im Laufe dieser Zeit mit dem schnellen Wachsthum der amerikanischen Ortschaften zu mächtigen, reich bevölkerten Handelsplätzen emporgeschwungen hatten. Die Mittagssonne fiel hell in die Fenster eines Landhauses, das, in einiger Entfernung von der Stadt gelegen, von einem Hügel die ganze Aussicht beherrschte, und sich durch die Pracht seiner Bauart und den Reichthum seiner Anlagen vor allen übrigen auszeichnete.

In dem reich ausgestatteten Parlour, dessen Einrichtung die ganze Fülle jenes Comforts zeigte, der dem reichen Amerikaner als unerläßliches Lebensbedürfniß gilt, saß eine junge Dame in eleganter Hauskleidung am Kamin. Es war ein Mädchen von vielleicht achtzehn bis zwanzig Jahren, das im vollsten Lichte des auf- und niedersinkenden Feuers, das Haupt nachdenklich auf den Arm gestützt, der Unterhaltung ihres Gegenübers zuhörte. Das dunkle Haar umgab ein Gesicht vom reinsten Oval und jenem matten, klaren Braun, welches das Antlitz bleich erscheinen läßt, die großen dunklen Augen und die mit vollendeter Regelmäßigkeit gezeichneten Züge gaben ihm unbedingt Anspruch auf Schönheit, und dennoch fehlte etwas in diesem schönen Gesicht. Es war jener Ausdruck von Heiterkeit und Unbefangenheit, der der Jugend so selten mangelt, jener Hauch von Schüchternheit, der den achtzehn Jahren fast immer eigen ist, und vor Allem jener Zug von Weichheit, den ein Frauenantlitz fast niemals ganz, und dann niemals zu seinem Vortheil, entbehrt. Es lag ein kalter Ernst in dieser ganzen Erscheinung, eine sichere Ruhe, ein unleugbares Selbstbewußtsein, und doch schien es nicht, als hätten schwere Lebensstürme oder frühzeitige bittere Erfahrungen dem jungen Mädchen jetzt schon die Errungenschaften späterer Jahre aufgezwungen; dazu war die Stirn noch zu klar, das Auge zu hell; angeboren oder anerzogen mußte dieser Ernst sein, durch den ihre Schönheit an Eindruck so mächtig gewann und an Anmuth so unendlich viel verlor.

Ihr gegenüber, gleichfalls im niedrigen Fauteuil, saß ein junger Mann in tadellosem Gesellschaftsanzuge. Es lag eine gewisse Aehnlichkeit in dem Aeußern der Beiden, die wohl nicht allein in der gleichen Farbe des Haares und der Augen ihren Grund hatte, sondern vielmehr in dem Ausdruck kalter Ruhe und selbstbewußten Stolzes, der Beiden in gleich hohem Maße eigen war; nur trat bei dem Mädchen das Alles viel bedeutender und schärfer ausgeprägt hervor, während es bei dem Manne zum Theil unter einer conventionellen Glätte und Förmlichkeit verschwand, die seiner Erscheinung, trotzdem auch sie unbedingten Anspruch auf Schönheit erheben konnte, doch eine gewisse Nüchternheit gab. In lebhafter Unterhaltung mit der jungen Dame begriffen, fuhr er in der eben begonnenen Erzählung fort.

„Mein Vater hält diese europäische Reise für nothwendig zur Vollendung meiner kaufmännischen Ausbildung, und ich füge mich seinen Wünschen um so lieber, als sie mir viel Interessantes verspricht. Ich gehe zuvörderst auf einige Monate nach New-York, wo das Interesse unseres Hauses augenblicklich eine persönliche Vertretung verlangt, und von dort im März nach Europa. Ein Jahr wird gerade hinreichend sein, um England und Frankreich, auch Deutschland kennen zu lernen, und zum Schluß eine Tour durch die Schweiz und Italien zu machen, ohne die gesehen zu haben man ja nicht zurückkehren darf. Im nächsten Frühjahr hoffe ich wieder hier zu sein.“

Die junge Dame war mit augenscheinlichem Interesse dem in kurzen Zügen entworfenen Reiseplan gefolgt; sie ließ jetzt den aufgestützten Arm sinken und blickte empor.

„In der That ein reiches Jahr, das vor Ihnen liegt, Mr. Alison! Es wird meinem Vater leid sein, daß sein Zustand ihm nicht erlaubt, Sie noch einmal vor der Abreise zu sehen.“

„Auch ich bedaure, daß Mr. Forest zu leidend ist, um meine Abschiedsgrüße persönlich zu empfangen. Darf ich Sie bitten, Miß, ihm dieselben in meinem Namen zu überbringen?“

Sie neigte leicht das Haupt. „Gewiß! Und inzwischen nehmen Sie auch von mir die besten Wünsche für eine glückliche Reise und eine frohe Wiederkehr.“

Sie reichte ihm mit ruhiger Freundlichkeit die Hand; es blitzte etwas auf bei dieser Berührung in dem Auge des jungen Mannes, er ergriff diese schöne kühle Hand und hielt sie fest.

„Miß Forest, darf ich eine Frage an Sie richten?“

Ein flüchtiges Roth glitt einen Augenblick lang über die Züge der jungen Dame, aber es verschwand ebenso schnell wieder.

„Sprechen Sie, Mr. Alison!“

Er erhob sich rasch, und ihre Hand noch immer fest in der seinigen haltend, trat er dicht an ihre Seite.

„Der Zeitpunkt ist vielleicht schlecht gewählt zu einer Erklärung; aber ich weiß zu gut, daß Miß Forest das Ziel so vieler Bestrebungen ist, die dem Abwesenden gefährlich werden können. Verzeihen Sie deshalb, Miß, wenn ich gerade jetzt von einer Neigung zu sprechen wage, die Ihnen vielleicht kein Geheimniß

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage Heft 14: C. Werner
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1871, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_225.jpg&oldid=- (Version vom 17.9.2017)