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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Der pensionirte Schullehrer von Willims.


Die vorjährige „Gartenlaube“ hat in ihrer einundvierzigsten Nummer eine neue Rubrik Schwarzes Brett für die deutsche Volksschule eröffnet und als erstes Stück die Schilderung einer Lehrerwohnung in Ostpreußen gebracht, welche im Aeußern und Innern einem liederlich hergestellten Blockhaus des amerikanischen Urwalds glich, nur daß der Ansiedler sein erstes Nothwohnhaus wenigstens zum Schutz gegen Kälte, Wind und Wetter einzurichten weiß, während dieses Schulhaus bei seinem erbärmlichen Anblick auch noch dieser Wohlthat entbehrte und einer ganzen Lehrerfamilie Gesundheit und Lebensglück kostete. Wir mußten jenen Artikel mit der Bemerkung schließen, daß uns das spätere Schicksal des Lehrers und der Seinigen unbekannt sei.

Unsere Veröffentlichung über dieses allerdings wohl beispiellose Schullehrerelend hat die Aufmerksamkeit da, wo wir es wünschten, und die Theilnahme da, wo wir es erwarteten, bis zur Werkthätigkeit erregt, insofern dem in wahrhaft entsetzlicher Weise körperlich ruinirten Manne von verschiedenen Seiten Unterstützungen zugeflossen sind; und diese halfen ihm wenigstens geistig wieder so weit auf, daß er uns „die Fortsetzung“ seiner Bedrängniß schildern konnte. Davon theilen wir nun das Mittheilbare und so weit als möglich nach den Briefen des Joseph Nowak, so heißt dieser unglückliche Lehrer, wörtlich mit.

Voraus schicken wir noch einige spätere Nachrichten über die Lehrerwohnung. Unsere Beschreibung derselben machte Aufsehen weit und breit, und selbst in der näheren Umgegend von der einer eigenthümlichen Berühmtheit nunmehr unmöglich entgehenden Dorfschaft Willims im Kreise Rössel des Regierungsbezirks Königsberg gab es Ungläubige, die sich an Ort und Stelle begaben, um den Wunderbau in Augenschein zu nehmen. Von solchen Besuchern empfangene Briefe nennen unsere Schilderung in ihren Ausdrücken sehr gelinde. Sie fanden noch Ende Octobers 1870 das Gebäude in demselben Zustand, nur daß der Holzschwamm bereits seine Zerstörungsarbeit an ihm begonnen hatte. Wind und Regen drangen ungehindert durch die Fugen ein und die inneren Wände und der Fußboden standen so voller Pilze, daß der Anblick gar schauderhaft gewesen sein soll.

Was nun den Lehrer Nowak selbst betrifft, so gelangte sein erster herzzerreißender Hülferuf Ende April 1869 an die Redaction der „Gartenlaube“; es wurde ihm sofort eine Summe übermittelt, die ihn in den Stand setzte, sich und Frau und Kinder wieder mit Kleidung und Nahrung zu versorgen. An eine Veröffentlichung seiner Klagen und Anklagen konnten wir nicht sogleich gehen, da wir über die Wahrheit seiner Aussagen durch befreundete Hand in der Nähe seiner Leidensstätte erst sicher gestellt sein mußten. Hatte Nowak doch selbst im ersten und in einem zweiten und dann in mehreren späteren Briefen eingestanden, daß Hunger und Kälte, der Jammer der Seinigen und der Hohn seiner Mitmenschen ihn nicht blos körperlich ganz darniedergebracht haben, sondern daß er zeitweise auch in Geistesverwirrung gefallen sei. Dazu war das von ihm Geschilderte so unerhört, so unglaublich, daß wir mindestens an arge Uebertreibung von Seiten Nowak’s denken durften. Nachdem freilich ein königlicher Baumeister sein Gutachten über den Schulbau abgegeben und Unbetheiligte nach Jahr und Tag denselben noch im gleichen Zustande gefunden, fällt für uns die Ursache weg, in des so schwer Verletzten übrige Angaben Zweifel zu legen. Wir tragen eben deshalb Mehreres, das wir im Artikel „Eine Lehrerwohnung“ noch wegließen, nunmehr getrost hier nach.

Von seinen dreiunddreißig Lehrerdienstjahren hatte Nowak die letzten zwölf in Willims verlebt. Wie bereits bemerkt, stand er mit der ziemlich wohlhabenden Gemeinde auf gutem Fuße, und dasselbe muß mit dem Ortsgeistlichen und Schulinspector der Fall gewesen sein, denn der Lehrer erfreute sich fast jährlich nicht unansehnlicher Remunerationen und sonstiger ehrender Unterstützungen, die ohne das gute Zeugniß seines Vorgesetzten unmöglich gewesen wären. Woher nun der plötzliche Haß und die Verfolgungswuth, die selbst Weib und Kinder des Lehrers nicht schonte? Nowak hat uns darüber allerdings so ausführliche Mittheilungen gemacht, daß sie den Raum einer Broschüre ausfüllen, aber auch zu schweren persönlichen Anschuldigungen führen würden, zu deren Veröffentlichung wir uns um so weniger berechtigt halten, als, wie wir am Schluß dieses Artikels angeben, Nowak die Aussicht eröffnet ist, auf behördlichem Wege seine Unschuld darzuthun, die endlich die Schuld seiner Widersacher von selbst an den Tag bringen muß.

Von leidlichem Wohlstand bis zum Bettelstab ist kein langer Weg, wenn Alles hübsch zusammenhilft, wie gegen den Unglücksmann in Willims. Die dortige Schulstelle gehört zu den guten im Lande, sie ist mit etwas Feldbau ausgestattet, der für Getreide, Kartoffeln und die Nahrung für ein Paar Kühe sorgt. Für Hausrath, Wäsche und Kleider war auch das Nöthige gethan. Die Familie war gesund und konnte zufrieden leben. Dies Alles, dieses ganze bescheidene Glück ging in den beiden Jahren 1867 und 1868 zu Grunde. Als in dem schrecklichen Schulhause das letzte Holz verbrannt war, ging’s an das letzte Geld, und als das zu Ende war, ging’s an das Verkaufen der Habseligkeiten, und als die letzte Kuh verkauft war, deren Milch die Tag und Nacht frierenden Menschen noch aufrecht erhalten hatte, da – ging’s eben an’s Hungern, und als endlich die Pensionirung zu vierzig Thaler jährlich ausgesprochen wurde, war der Bettelmann, die Bettelfamilie auch äußerlich fix und fertig. Nur noch die ältesten Fetzen, die sie auf dem Leibe trugen, hatten sie gerettet, alles Andere hatte die Noth verschlungen.

Nowak schreibt über jene Zeit: „Bei diesem Allen war nun das Schlimmste, daß mir, als ich mit vierzig Thalern pensionirt war, in einem so vernichteten Zustande keine andere Gemeinde Obdach und Wohnung gewähren wollte, alle befürchteten, wir würden ihnen als Ortsarme zur Last fallen. So mußte ich mit den Meinen in Willims bleiben, wo man die Verhöhnung gegen uns soweit trieb, daß man mich als Nachtwächter und Dorfdiener anstellen und meine Familie zum Gänsehüten verwenden wollte. Und wahrlich, so peinigte uns oft der Hunger, daß wir diese Posten übernommen hätten, wenn wir dazu körperlich noch tauglich gewesen wären. Von geheimen Unterstützungen guter Freunde, die sich fürchteten, dies öffentlich zu thun, wurden wir am Leben erhalten, denn es kam Pfingsten herbei, und noch immer war mir von meiner so geringen Pension noch kein Groschen ausgezahlt worden. In dieser Noth schrieb ich damals an die Gartenlaube.

„Am Vortage des Pfingstfestes bestand unser ganzer Speisevorrath in zwei Metzen aus der Handmühle gemahlenen Mehls, keine Kartoffel, kein Stückchen Brod war da! Meine Frau war untröstlich und alle Kinder weinten bitterlich. Da sagte ich zu meiner Frau: ‚Laßt’s nur sein, auch uns wird der heilige Geist trösten, zu Pfingsten werden wir Brod haben. Ich gehe sogleich zum Lehrer B. in L., ich stelle ihm unser trauriges Loos vor und er wird uns helfen.‘ Ich machte mich sogleich auf den langen Weg. Als ich aber todmüde und hungrig in L. ankam, fand ich B. nicht zu Hause und mußte nun mit leeren Händen wieder heimkehren. Wie viel bittere Thränen ich auf dem Heimwege vergossen habe, die sind nur dem Vater im Himmel bewußt, der dafür sie auch reichlich stillte. Als ich Nachts zwölf Uhr nach Hause kam, schlief Alles; ich klopfte daher leise an das Fenster, meine Frau kam eilends, um zu öffnen, und weil ich glaubte, sie eile so aus Freude, um die Gaben zu sehen, die ich mitbringen wollte, rief ich ihr entgegen: ‚Liebe Frau, B. war nicht zu Hause, ich konnt’ ihn nicht abwarten und hab’ also nichts ausgerichtet!‘ Da fiel mir meine Frau um den Hals: ‚Wenn Du auch nichts ausgerichtet hast,‘ rief sie, ‚so hat Gott doch uns zum Pfingstfeste eine ganz andere Freude bereitet, als es dem Lehrer B. möglich gewesen wäre. Da sieh’ nur! fünfundzwanzig Thaler von Leipzig –‘ Als ich das hörte, stürzte ich erst auf meine Kniee nieder und erhob meine Hände zu dem, der es so gut mit uns vorhatte.“

Der Zufall hatte es so freundlich gefügt, daß das Leipziger Geldpaket gerade an diesem Nachmittag dort angekommen war. Nowak benutzte es zugleich, nachdem er sich in Kleidern wieder hergestellt, zu einer Reise nach Königsberg, um bei der Regierung Hülfe zu suchen. Der Gang war diesmal noch vergeblich; Nowak erkrankte sogar in Königsberg am Typhus und konnte nur durch Hülfe des Pestalozzivereins und des vaterländischen Frauenvereins gerettet werden und wieder heim zu den Seinen gelangen. Die Noth brach wieder herein. Er schreibt darüber: „Weil ich zu jedem Broderwerb unfähig gemacht bin, so erlebte ich nun das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_066.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)