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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

nur einen Schritt vorwärts. Solch ein Thier sieht und weiß oft mehr als Unsereiner! Er scheute immer nur vor der Schlucht drüben, als wenn er den Herrn damals gesehen hätte, so wie sie ihn heute brachten!“

„Der Gräfin wird die Geschichte noch das Leben kosten!“ meinte einer der Lakaien. „Die Aerzte und Kammerfrauen wissen nicht mehr, was sie anfangen sollen, sie fällt von einer Ohnmacht in die andere.“

Der gleichfalls schon bejahrte Kammerdiener des Grafen schüttelte ernst den Kopf! „Ich will denn doch lieber die Krämpfe und Ohnmachten der Gnädigen mit ansehen, als das Gesicht unseres Grafen, wie der Pfarrer von N., der die Nachricht brachte, aus seiner Thür trat. Und vollends heute, als er aus dem Gebirge zurückkam – Jesus Maria! Wie sah der Herr aus! Als hätte er einen Blick in die leibhaftige Hölle gethan. Ich wagte nicht, ihm nahe zu kommen.“

„Bei unserem Prälaten ist die Sache auch tiefer gegangen, als wir’s alle für möglich hielten,“ mischte sich jetzt ein Diener des Abtes ein, der seinen Herrn nach Rhaneck begleitet hatte, und nun des Befehls zur Abfahrt harrte. „Der Hochwürdigste hat sonst ein Gesicht wie aus Eisen gegossen. Man sollte meinen, es könnte sich überhaupt nichts darin rühren, und es rührte sich auch wirklich nichts, selbst als der Pfarrer Clemens zu ihm kam – er saß grade mit den übrigen Herren Paters bei Tische – und gleich beim Eintritt meldete, er brächte eine Unglücksbotschaft. Aber als es nun hieß ‚Graf Ottfried‘, da fuhr er doch vom Stuhle auf, weiß wie die Wand, und schrie dem Pfarrer zu: ‚Sie lügen! Das ist nicht möglich! Das kann nicht sein!‘ Heiliger Benedict! In meinem ganzen Leben vergesse ich den Ton nicht.“

Während die Dienerschaft so ihrer Theilnahme Luft machte, herrschte in den oberen Räumen des Schlosses eine unheimliche Stille. Die Gräfin war in ihren Gemächern, von all der äußeren Hülfe umgeben, die ihr Zustand nothwendig machte, der Graf befand sich in seinem Wohnzimmer allein mit dem Bruder, der sofort an seine Seite geeilt war.

Auch der Prälat schien von dem furchtbaren Ereigniß härter getroffen, als man es bei seinem stählernen Charakter hätte voraussetzen sollen, er raffte offenbar all seine Kraft und Energie zusammen, um eine Fassung zu erkünsteln, die er in Wirklichkeit nicht besaß, aber er hielt sich wenigstens noch aufrecht, während der Graf wie gebrochen in seinem Armsessel lag.

„Ermanne Dich, Ottfried! Du darfst Dich von dem Schlage nicht so ganz niederwerfen lassen, Du mußt Besinnung behalten!“

Rhaneck ließ die Hand sinken, mit welcher er das Gesicht verdeckte.

„Warum ließ ich mich auch überreden, ihn allein zurückzulassen! Er wollte durchaus noch bleiben, und doch widerstrebte er anfangs der ganzen Fahrt in’s Gebirge. Ich mußte schließlich befehlen und zwang ihn dazu – zwang ihn zu seinem Verderben!“

Der Prälat machte eine ungeduldige Bewegung. „Du quälst Dich mit selbstgeschaffenen Schreckbildern! Konntest Du ahnen, was bevorstand? Nur was wir wollten, fällt auf uns mit der Last seiner Verantwortung, nicht was der tückische Zufall aus unseren Plänen und Absichten macht.“

Es war eine eigenthümliche Heftigkeit in diesen Worten, fast als wolle der Sprechende damit eine Last von der eignen Seele wälzen. Der Graf sprang plötzlich auf.

„Laß mich! Den Verlust meines Kindes würde ich ertragen, aber – Du ahnst nicht, was es ist, das mich bei diesem Unglück dem Wahnsinn nahe bringt!“

Der Prälat sah ihn befremdet an, er verstand die Worte nicht, aber er begriff die Nothwendigkeit, den Bruder von solchen Gedanken abzulenken.

„Hast Du Benedict gesprochen?“ fragte er. „Wie ich höre, war er ja der Erste, der den Gestürzten entdeckte und die Bewohner von N. zur Hülfe aufrief.“

Es vergingen einige Secunden, ohne daß der Graf antwortete; endlich wandte er ihm das Antlitz wieder zu, in dem die tiefste Seelenqual zuckte.

„Ich sah ihn nur einige Minuten – er war todtenbleich, verstört, und wich mir scheu aus, wie ein Verbrecher – vergebens wartete ich in Todesangst auf einen Blick, auf ein Wort der Theilnahme aus seinem Munde, er blieb stumm und hob das Auge nicht vom Boden. Warum konnte es dem meinen nicht begegnen?“

„Du träumst!“ fiel ihm der Prälat erblassend in’s Wort. „Was konnte Benedict mit Deinem Sohne haben? Sie kannten sich ja kaum!“

„Sie haßten sich!“ sagte Rhaneck dumpf, „schon seit Monden. Schon einmal habe ich Ottfried die geladene Büchse und Bruno das Messer aus der Hand gerissen. Dort freilich brauchte es keine Waffe zwischen ihnen, Bruno ist der Stärkere – o mein Gott!“

Er hielt inne, überwältigt von der Vorstellung, auch der Bruder war bleich geworden, als habe sich plötzlich ein Abgrund vor ihm aufgethan.

„Unmöglich! Das wäre noch entsetzlicher!“

Noch entsetzlicher? Als was?“

„Nichts, nichts!“ Dem Prälaten wollte die Stimme doch nicht mehr gehorchen, wenn er auch die Züge noch beherrschte. „Ich muß Licht in die Sache bringen! Benedict trifft heute wieder im Stifte ein, ich finde ihn vermuthlich schon bei meiner Rückkehr. Mir, seinem Abte, kann er die Beichte nicht verweigern.“

Der Graf sah auf, und mitten durch all seine Gebrochenheit und all sein Entsetzen flammte wieder ein Hauch der alten Angst und Zärtlichkeit. „Schone ihn!“ bat er tonlos, „und schone mich mit der Enthüllung. Ich stehe an der Grenze meiner Kraft.“

Erschüttert legte der Prälat die Hand auf seine Schulter. „Was in dieser unglückseligen Sache jetzt noch zu tragen ist, Ottfried, das will ich Dir abnehmen, verlaß Dich darauf. Und jetzt suche Dich zu fassen und geh zur Gräfin hinüber. Was auch zwischen Euch stand und Euch einander entfremdet hat jahrelang, heute ist Dein Platz an ihrer Seite, Du darfst sie nicht so ganz allein lassen.“

Halb willenlos folgte Rhaneck, er stand auf und ging zu seiner Gemahlin, wenige Minuten darauf kehrte auch der Prälat nach Hause zurück. –

Es war Abend geworden, auch im Stifte herrschte jene Unruhe, welche ein ungewöhnliches Ereigniß hervorzurufen pflegt. Der Abt stand dem Rhaneck’schen Hause zu nahe, als daß das Unglück desselben nicht auch in seiner Umgebung Aufregung und Theilnahme hätte wachrufen sollen. Schon gestern hatte man den Pfarrer Clemens, der die Nachricht brachte, umringt und mit Fragen bestürmt, er konnte freilich nicht allzuviel berichten und war auch nach wenigen Stunden in Begleitung des Grafen wieder nach N. zurückgekehrt. Heute aber traf Benedict ein, und nun galt es seiner Verschlossenheit alle die Details zu entreißen, die er am besten geben konnte.

Aber die Herren Paters irrten sämmtlich, wenn sie von dieser Seite auf irgend eine Mittheilung hofften. Der junge Priester hatte kaum den Fuß auf die Schwelle des Klosters gesetzt, als er auch schon den Prälaten zu sprechen verlangte, der sich noch in Rhaneck befand. Vergebens war alles Drängen und Forschen, stumm und finster wich er jeder Frage aus, erklärte, in den Gemächern des Abtes auf dessen Rückkehr warten zu wollen, und zog sich, ohne irgend Jemandem Rede zu stehen, auch wirklich dahin zurück. Gleich darauf fuhr der Prälat vor, auch seine erste Frage war nach Benedict, zu dem er sich sofort begab. Seine Gnaden hatten darauf, wie der Kammerdiener erzählte, Befehl gegeben, sie unter keiner Bedingung zu stören, eigenhändig hatte er die beiden Thüren des Vorgemachs abgeschlossen, das zum Arbeitszimmer führte, und befand sich nun bereits über eine Stunde dort allein mit dem jungen Mönche.

Die von der Decke niederhängende, reichvergoldete Lampe warf ihr volles Licht auf die Beiden. Das Gesicht des Prälaten war wieder „wie aus Eisen gegossen“, aber es lag eine fahle Blässe darauf. Dennoch beherrschte er Blick und Stimme mit der alten Energie; erschüttert konnte diese eherne Natur wohl werden; sie zu brechen, dazu gehörten noch andere Schläge, als die, welche sie bis jetzt getroffen.

Ihm gegenüber stand Benedict, auch sein Antlitz war todtenbleich, aber es hatte doch jetzt wieder einen Schein von Ruhe, und die Brust athmete freier, als sei die Felsenlast, welche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_186.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)