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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Kinder im Freien auf den Hunden und schlafen, so rühren diese sich nicht, zeigen aber jedem sich nahenden Fremden die Zähne. Und wird ihnen von den Kindern vielleicht einmal zu übel mitgespielt, so gehen sie ruhig in eine andere Ecke, ohne ein Zeichen des Unwillens. Das sind zwar oft und überall vorkommende Sachen, aber sie helfen das Bild von dem hier geschilderten interessanten Hundeleben vervollständigen, und darum durften sie auch hier zum Schlusse nicht fehlen.

L.




Am Altar.


Von E. Werner, Verfasser von „Ein Held der Feder“.


(Fortsetzung.)


Jetzt endlich sah Lucie Benedict an, aber es war ein Ausdruck der Todesangst in diesem Blick, und doch galt ihr Flehen in diesem Augenblick nicht dem Bruder. Nicht die Verweigerung, die Gewährung der Bitte war es ja, die sie fürchtete. Wäre er jetzt befremdet zurückgetreten, hätte er gesagt: „Ich kann nicht, mein Fräulein, mir fehlt jede Macht dazu“ – ihr eignes Leben und Bernhard’s Freiheit hätte sie hingegeben für das eine Wort aus seinem Munde, aber dies Wort kam nicht, er sah sie an, nur einen Moment lang, dann wandte er sich plötzlich ab und – schwieg.

Lucie wußte genug! Sie schlang den Arm um den noch aufrecht stehenden Stamm des gestürzten Heiligenbildes und lehnte halb bewußtlos das Haupt an das feuchte Holz. Einige Secunden vergingen so, sie standen so nahe bei einander und doch gähnte eine Kluft zwischen ihnen, tiefer als jene, in der Ottfried den Tod gefunden. Ueber ihnen der graue Himmel mit den jagenden gährenden Wolkenmassen, um sie her die rauschenden Tannenwipfel und tief unten der Fluß mit seinem dumpfen Brausen.

Erst Benedict’s Stimme rief das junge Mädchen wieder zur Besinnung zurück, er stand jetzt neben ihr.

„Ich will nicht fragen, wer Ihnen das Geheimniß verrathen hat, das Sie wissen müssen, um so mit mir zu sprechen, aber Sie kamen zur rechten Zeit. Zittern Sie nicht so angstvoll um den Bruder, Lucie, seine Gefahr ist zu Ende mit meinem Schweigen! Hätte ich gewußt, daß der Verdacht sich auf einen Unschuldigen richtet, es wäre längst gebrochen. Ich habe jetzt nichts mehr zu schonen.“

Lucie ließ die Stütze fahren und richtete sich empor. „Sie kennen also – den Thäter?“

Es folgte eine secundenlange Pause. „Ja!“ sagte er endlich schwer.

„Und Sie werden ihn nennen?“

„Ich werde!“

„Ich danke Ihnen!“ Sie wandte sich um und wollte gehen, aber es war jetzt zu Ende mit ihrer Kraft. Die Last war auch zu schwer für das junge Wesen, das bis vor wenig Tagen noch kaum gewußt hatte, was Schmerz sei, sie schwankte und war im Begriff zu sinken, doch in demselben Moment war Benedict auch schon an ihrer Seite und fing sie in seinen Armen auf.

„Lucie!“

Sie zuckte zusammen bei der Berührung seiner Hand, als habe die Spitze eines Messers sie getroffen; ihre ganze Gestalt bebte krampfhaft in seinen Armen und doch entzog sie sich ihnen nicht.

„Lucie, verdammst Du mein Schweigen? Es war das letzte Opfer, das ich Jenen brachte! Der Orden befahl und ich gehorchte, aber jetzt werde ich reden, und brächte das Wort mir auch zehnfaches Verderben. Ich habe den Muth, die ganze Wuth des Klosters herauszufordern, aber ich ertrage es nicht, daß Du, Du Dich so von mir wendest!“

Mitten durch die starre Härte seines Wesens brach wieder der Ton der alten Weichheit, brach ein Strahl heißer, leidenschaftlicher Zärtlichkeit, und der Ton, der Blick, sie scheuchten Alles weg, was so drohend zwischen ihnen stand; stumm, bebend noch, aber mit dem Ausdruck unendlicher Hingebung legte Lucie das Haupt an seine Schulter und sah zu ihm auf – er las es jetzt auch in diesen Augen, daß er nicht mehr gehaßt wurde.

Er hatte nichts von dem berauschenden Glück der Liebe, dieser Augenblick, wo sich zwei Herzen endlich fanden. Wohl wollte es aufglühen in den Zügen des jungen Priesters, aber eine Eiseshand schien dort Alles niederzuhalten und das liebliche Antlitz, das zu ihm emporblickte, war bleich wie der Tod. Und dennoch, für den Moment versank alles Andere um sie her, selbst die düstere Felsenkluft mit den unheimlich zischenden Wellen und ihrem gespenstigen Drohen. Fern und ferner verklang jenes Zischen und Tosen und endlich löste es sich auf in das leise melodische Rieseln einer Quelle. Die starren Felsen wichen zurück und statt ihrer umrauschte sie wieder der sonnige Wald, umdufteten sie die weißen Blüthen. Der Waldeszauber von damals hatte doch Recht behalten, die unsichtbaren Fäden, welche er gesponnen, hielten fest für alle Ewigkeit, selbst diese furchtbare Stunde hatte nicht vermocht, sie zu zerreißen.

Langsam ließ Benedict das junge Mädchen aus den Armen, nur ihre Hand behielt er noch fest in der seinigen. Der Moment des Traumes war vorüber und der drohende Ernst der Gegenwart forderte gebieterisch sein Recht.

„Ich kann Sie nicht sofort begleiten, ich muß zurück zum Pfarrer Clemens, aber heute Abend noch bin ich in E. und morgen ist Ihr Bruder frei. Fürchten Sie nicht, daß mich etwas zurückhalten könnte, ich weiß jetzt, wo allein meine Pflicht liegt.“

Lucie erwiderte nichts, es giebt Minuten wo selbst die Kraft zum Leiden fehlt, und die ihrige hatte sich in dieser letzten Viertelstunde erschöpft, sie folgte ihm willenlos, als er, ihre Hand noch immer festhaltend, sie zu dem Gehöfte hinunterführte, wo der Bauer ihnen bereits entgegentrat.

„Ambros, ich kann mich darauf verlassen, daß Du die Dame sicher bis zu ihrem Wagen zurückbringst?“

„Keine Sorge, Hochwürden, ich stehe ein für das junge Fräulein.“

Benedict ließ ihre Hand fahren. „So leben Sie wohl!“

Die Gegenwart des fremden Mannes verbot jedes fernere Abschiedswort, gleich darauf befand sich Lucie an seiner Seite und trat mit ihm den Rückweg an.

Nach einer Weile wandte der Bauer sich um. „Der Herr Caplan scheint große Sorge zu haben, wie wir hinabkommen,“ sagte er gutmüthig, „er steht noch immer und schaut uns nach!“

Lucie blieb gleichfalls stehen und folgte der Richtung seines Armes. Da stand die hohe Gestalt noch immer auf der Höhe, neben dem zerschmetterten Heiligenbilde, ihr unverwandt nachschauend, und von den Schultern flatterte der verhängnißvolle dunkle Mantel, dessen Falten jetzt dem Winde preisgegeben waren. Morgen war Bernhard frei, er hatte es ihr versprochen – aber um welchen Preis!




Am nächsten Morgen erschien ein junger Geistlicher, der schon am Abend vorher spät in E. angelangt war, vor dem dortigen Gefängnisse und verlangte den in Untersuchungshaft befindlichen Gutsherrn von Dobra zu sprechen. Das Benedictinergewand und die Abzeichen des hochverehrten Stiftes, welche er trug, öffneten ihm sofort alle Thüren. Man befürchtete nur, daß sich Günther schwerlich bereit finden lassen werde, einen katholischen Priester zu empfangen; wider Erwarten aber willigte er sofort ein, als ihm Pater Benedict genannt ward, und diesem, der, wie man glaubte, im Auftrage des Prälaten kam, gelang es auch, ein ungestörtes Alleinsein mit dem Gefangenen durchzusetzen.

Die Unterredung war lang und inhaltvoll gewesen, man sah es an dem Gesicht Günther’s, das seinen sonst so ruhigen gleichgültigen Charakter völlig verleugnete, es sprach ein unverhülltes Grauen, zugleich aber auch eine tiefe Bewegung daraus, als er dem jungen Priester die Hand reichte und einfach sagte: „Ich danke Ihnen!“

Benedict’s Züge waren unbewegt geblieben, stumm und düster nahm er den Dank in Empfang und wandte sich dann zum Gehen, Bernhard hielt ihn zurück.

„Sie wollen nach dem Stifte?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_232.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)