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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


ganzen Unternehmens viel zu gering geschätzt, daß er in dem Voranschlag die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Da hier die Actionäre des Theaters zugleich dessen Publicum bilden, muß aus dem von ihnen aufgebrachten Capital nicht blos der Bau, sondern auch der gesammte künstlerische Betrieb bestritten werden. Wagner beabsichtigt sein Orchester ungewöhnlich massenhaft zu besetzen, dazu durchweg mit den erlesensten Kräften. Auch nur die allerbesten Sänger und Sängerinnen gedenkt er für sein Werk zu werben. Im Voraus gar nicht zu berechnen ist aber der Aufwand an Mühe und Zeit, dessen es bedürfen wird, um alle an der Darstellung Betheiligten zur genauesten Erfüllung ihrer musikalischen und dramatischen Pflichten in den Stand zu setzen. Was es mit dem Einstudiren einer Wagner’schen Partitur auf sich hat, kann man ungefähr danach ermessen, daß der ersten Berliner Aufführung der „Meistersinger“ etwa fünfzig Proben vorangingen, und hier handelte es sich doch nur um eine einzige Oper, während in Bayreuth gleich vier auf einmal das Licht der Lampen erblicken sollen. Auch macht es einen gewaltigen Unterschied, ob man ein lediglich für den bestimmten Anlaß improvisirtes Personal zur Verfügung hat, oder einen in langjähriger Zucht und Gewöhnung zusammengewachsenen und erstarkten Organismus. Außerordentliche Summen muß ferner das Decorations- und Maschinenwesen verschlingen, welchem, wie wir sahen, in den Nibelungen eine gar einflußreiche Rolle beschieden ist. Es steht zu erwarten, daß für so viele Anforderungen und Bedürfnisse der Säckel der Patrone nicht langen wird. In diesem Fall hat jedoch der Bauherr des Theaters einen letzten kräftigen Rückhalt an der ihm gegenüber stets geöffneten Hand seines großmüthigen Freundes und Gönners, des jungen bayrischen Königs.

Wagner erblickt in den deutschen Bühnenzuständen dasjenige, „was auf deutschem Boden als das des Ruhmes der großen Siege unserer Tage Unwürdigste sich bezeigt und fortgesetzt bewährt, dessen Tendenz sich laut und kühn als den Verräther deutscher Ehre bekennt“. Befangen ist nach ihm das gegenwärtige Schauspiel in dem rathlosen Hin und Her zwischen dem falschen Pathos, der mißverstandenen Erbschaft unserer großen nationalen Dichter, und der platten Prosa des bürgerlichen Schauspiels, die Oper aber der ihr ureigenen Sphäre des Erhabenen entfremdet und zu einem gefälligen, blos die Sinne reizenden Spielzeug herabgewürdigt. Dennoch könne sie allein die Wiedergeburt des deutschen Theaters bewirken. Seine auf dieses Ziel gerichteten Bestrebungen würden jedoch durch die in dem verdorbenen Dunstkreise des heutigen Bühnenwesens entarteten Directoren, Capellmeister und Sänger gänzlich vereitelt. Allenthalben stoße er hier auf Uebelwollen, Unvermögen und Mißverstand; nur entstellt und gefälscht wären bisher seine Schöpfungen dem Publicum geboten. Sie in ihrer ursprünglichen Echtheit und Lauterkeit zur Erscheinung zu bringen, das ist die Bestimmung des Theaters, das auf sein Geheiß in Bayreuth ersteht. In pomphafter Rede hat er der Welt verkündigt, daß hier nichts Geringeres vorbereitet werde, als das höchste Culturwerk des deutschen Genius, dessen reinste, beseligendste Ausstrahlungen in sich begreifend. Besäße er aber selbst das geeinigte Vermögen von Shakespeare und Beethoven, Schiller und Gluck, Goethe und Mozart, seine neue Bühne würde deshalb doch nimmermehr den von ihr beanspruchten Platz in dem geistigen Leben der Nation einnehmen. Schon ihre Ausschließlichkeit prägt ihr den Stempel des Besonderen, rein Persönlichen auf. Die erlauchten Mehrer unserer künstlerischen Habe schufen immer für das gesammte Volk, darauf vertrauend, daß ihre Werke schon die rechten Hände finden würden, fähig und bereit, ihnen die Wege zu den Herzen der Menschen zu bahnen. Unsere klassischen Schauspieler und Sänger sind die Kinder unserer klassischen Dichter und Tonsetzer. Von deren Geiste geweckt und groß gezogen, sehen wir sie ihnen stets auf dem Fuße folgen. Diese bildende Kraft scheint Wagner seinen Opern nicht beizumessen. Lediglich mit Hülfe einer in Rücksicht auf sie besonders hergerichteten, von ihm in jedem Stück überwachten und geleiteten Bühne steht er für ihre Wirkung ein. Auch blos an der vornehmen Gesellschaft der ihnen blind ergebenen Patrone und Patroninnen sollen sie ihre Macht üben. Nach einem treffenden Worte Fröbel’s will der Schöpfer der Nibelungen an die Stelle von Staat und Religion ein Opernhaus setzen. Wie reimt sich aber damit der hocharistokratische Charakter des Bayreuther Theaters? Der heilspendende Kunsttempel, das große, ruhmreiche Nationalwerk, zu dem es sich aufbauschen möchte, hat mit dem eigentlichen Volk auch nicht das Mindeste zu schaffen. Ihm bleiben seine Pforten geschlossen; den Einlaß finden nur wenige Auserwählte.


Otto Gumprecht.



Orientalische Palast- und Hofbilder.
Von Heinrich Freiherrn von Maltzan.
Nr. 1.
Der Hof in Tunis. – Prinzenkäfige. – Ein orientalischer Kaspar Hauser. – Geistererscheinung eines Lebenden. – Ein Prinz als Rebell wider Willen.


Etwa eine halbe Stunde außerhalb Tunis ragt aus der einförmigen Ebene eine kleine Stadt von Palästen, Wachthäusern, Wohnungsgebäuden, Werkstätten und Bazars mit eigenen Mauern und Thoren hervor. Es ist der Bardo, die Palaststadt des Bey’s von Tunis, eine ausschließliche Hofschöpfung, denn Alles, was hier lebt, existirt einzig und allein durch und für den Hof. Gänzlich ohne Einheitsplan ist diese kleine Stadt, die etwa zweitausend Bewohner zählen mag, angelegt, ein wirres Durcheinander von Prachtbauten und bescheideneren Häusern, luftigen Säulenarcaden, schattigen Bogengängen, sonnigen Sälen, dunklen Haremskammern und finsteren gefängnißartigen Hintergebäuden, die der Volksmund mit geheimnißvollem Grauen als „Prinzenkäfige“, um nicht zu sagen Gräber für Lebendige, bezeichnet. Könnten diese Mauern das Echo aller Seufzertöne, den Angstschrei der Gemarterten, das Todesröcheln der Erwürgten, das sie im Laufe der Zeiten vernommen, wieder ertönen lassen, sie würden eine finstre, grauenerregende Geschichte erzählen. Aber in den vorderen Hallen und Prunkgemächern sieht Alles heiter und glanzvoll aus. Da herrscht ein fast zu blendendes Licht, wie hinter ihnen nur zu finsterer Schatten. Dennoch sind und waren es Glieder einer und derselben Fürstenfamilie, welche sich hier im Licht sonnten, dort im Schatten ihr Dasein elend endeten, und oft hat eine einzige Stunde das Trauerspiel gesehen, das den Einen mit seinem gesammten zahlreichen Anhang von dem Glanz der Vordersäle in die Nacht der hinteren finstern Kammern stürzte, um dort eines Todes zu sterben, von dem Niemand etwas zu sagen weiß, als der Fürst, der ihn befahl, und das blindgehorchende Werkzeug, das ihn zur That machte.

Die allerwenigsten jener dunklen Thaten sind von den einheimischen Geschichtschreibern angedeutet. Europäische wissen noch viel weniger davon. In der älteren Geschichte finden wir die Mordthaten nur dann erwähnt, wenn der Fürst auf dem Thron selbst getödtet wurde. Dies kam zwar oft vor, oft jedoch war der Uebergang weniger plötzlich. Manche Fürsten, von einem glücklichen Rivalen besiegt, glaubten durch Abdankung ihr Leben zu sichern. Thörichte Hoffnung! In tiefer Nacht stellte sich ein verhängnißvoller Besuch bei ihnen ein. Es waren die Würgengel in Gestalt von nubischen Eunuchen. Von einem solchen entthronten Fürsten heißt es dann gewöhnlich. „Er starb bald darauf im Gefängniß,“ oder es ist auch gar nicht mehr von ihm die Rede. Es galt für selbstverständlich, daß er nicht weiter lebte.

Nur ein einziges Mal in der Geschichte nordafrikanischer Höfe hatte dieser grausige Zustand der Unsicherheit des Fürstenlebens zu einem rettenden Familienvertrag geführt. Das war zur Zeit der Meriniden in Marokko. Eine Anzahl gefangen gehaltener Prinzen hatte sich das Wort gegeben, daß, wenn einer derselben auf den Thron gelangen sollte, er seine Vettern nicht um’s Leben bringen, sondern sich mit deren Verbannung begnügen werde. Dieser Vertrag wurde innegehalten, ein ziemlich seltnes Beispiel im Orient. Als Sultan Abu’l Abbas einst von einem Feldzug heimkehrte, fand er sein Land und seine Hauptstadt in den Händen eines siegreichen Rivalen und sah sich selbst dessen Willkür

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_061.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)