Seite:Die Gartenlaube (1873) 063.JPG

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

hielt es der erste Minister, dem der Fürst die Schrecken jener Erscheinung geschildert, für angemessen, den Prinzen in Ketten zu legen. Wenn er aber glaubte, seinem Herrn dadurch eine ruhige Nacht zu verschaffen, so irrte er sich. Wieder zeigte sich die Gestalt, diesmal mit den Ketten belastet, die ein grauenerregendes Gerassel ertönen ließen, so daß der Bey noch viel mehr erschreckt wurde. Die Untersuchung ergab ganz dieselben Resultate wie die frühere. Da aber doch etwas geschehen mußte, so verfiel der erste Minister auf den Gedanken, dem Prinzen die Bastonade auf die Fußsohlen ertheilen zu lassen. Nach dieser Operation vermag der Mensch tage-, oft wochenlang nicht zu gehen. Diesmal glaubte man also alle Gefahr des Wiedererscheinens des Tausendkünstlers, von dem man trotz seiner Einfalt anzunehmen schien, daß er Riegel und Ketten brechen und wieder unbemerkbar schließen könne, beseitigt zu haben. Eitle Hoffnung! In der Nacht zeigte sich eine auf Knieen und Händen kriechende Gestalt am Bette des Fürsten. Es war der Prinz, der mit einem Ausdrucke des Vorwurfs dem Bey seine blutigen Fußsohlen zeigte. Neuer Lärm, neue fruchtlose Untersuchung. Der Bey rief seinen ersten Minister und befahl ihm, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln die Wiederholung der Erscheinung zu verhindern. Er habe volle Freiheit, mit dem Prinzen zu machen, was er wolle. Aber sein, des Ministers, Kopf stehe auf dem Spiele, wenn die Erscheinung sich noch einmal zeige.

Hätte der Minister noch Haare auf dem Kopfe gehabt, so würden sie ihm wahrscheinlich zu Berge gestanden sein. In seiner Angst rief er seine Vertrauten, darunter auch einen europäischen Arzt. Dieser meinte mit seiner ketzerischen Gesinnung, der Bey habe nur eine sogenannte Vision gehabt und das Beste wäre, ihm blutreinigende und nervenstillende Mittel beizubringen, den Prinzen aber, der ganz unschuldig an der Sache sei, ungeschoren zu lassen. Diese Ansicht war so sehr im Widerspruch mit Allem, was ein frommer Moslem glaubt, daß sie nicht durchdrang. Alle Andern waren der Meinung, daß der Prinz ein Hexenmeister sein müsse, der mit dem Teufel im Bund stehe und von ihm übernatürliche Macht erhalten habe, und daß er dem Tode verfallen sei.

In der nächsten Nacht hatte unser Herr, der Bey von Tunis, wieder eine Erscheinung, schrecklicher, grauenvoller, als alle früheren, aber glücklicherweise auch die letzte. Abermals erblickte er den Prinzen, diesmal sich auf dem Boden windend, eine Schnur um den Hals, die von zwei auf ihm knieenden Eunuchen fest angezogen wurde. Er glaubte das Todesröcheln seines unglücklichen Vetters zu vernehmen; er sah seine Glieder in krampfhaften Zuckungen ringend, wie ein Huhn, das man erwürgt; er sah ihn erst kupferroth im Gesicht werden, dann allmählich erbleichen und ihn zuletzt mit geisterhaften Augen, voll entsetzlichen Vorwurfes erstarren. Ueber diesem schrecklichen Gesicht verfiel der Bey selbst in Krämpfe. Als er wieder zu sich kam und das Geschehene schilderte, erfuhr er, daß in eben jener Stunde Mohammed auf Befehl des ersten Ministers erdrosselt worden war. Von diesem Augenblick an verbot unser Herr, der Bey von Tunis, allen Personen seines Hofes, jemals wieder des Prinzen mit einer Sylbe zu erwähnen. Er ließ ihn übrigens im Stillen ehrbar begraben und soll sogar heimlich auf seinem Sarge geweint haben.“

So weit der Tuniser. Es wird natürlich Niemandem zugemuthet, an seine Geistergeschichte zu glauben, mich aber erinnert sie unwillkürlich an etwas, das ich mich entsann in Immermann’s Münchhausen gelesen zu haben. Dort erzählen nämlich die sechs Gebrüder Piepmeyer, jene hoffnungsvollen zopfverschlungenen Gardisten von Hessen-Cassel, daß während König Jerôme’s Herrschaft der in Prag abwesende Kurfürst Wilhelm dennoch jedesmal an seinem Geburtstage auf der Löwenburg erschienen, dort eine gewisse Sorte Varinas (linker Hand oben) geraucht habe und dann eben so geisterhaft wieder verschwunden sei, wie er von Prag, das er körperlich nie verlassen, gekommen war. Als ich im letzten Sommer die Löwenburg besuchte, erzählte mir der Castellan (leider kein Piepmeyer mehr) etwas, das jenes Gerücht, auf welches Immermann seine satirische Erzählung gegründet hat (denn das Gerücht existirte wirklich), erklärt. Das Merkwürdige war, daß Jerôme an die Sache zu glauben schien. Dieser vermied nämlich während seiner letzten Regierungsjahre, einen gewissen Saal auf der Löwenburg zu betreten, weil ihm dort etwas Seltsames begegnet war. In diesem Saal befindet sich der Schreibtisch des Kurfürsten Wilhelm und an diesem Schreibtisch hatte Jerôme einst, wie er deutlich zu sehen glaubte, den Kurfürsten, von dem er doch genau wußte, daß er sich zur Zeit in Prag befand, sitzend gefunden. Jerôme glaubte vielleicht an eine Vision, und da diese Vision ihm seinen Feind gezeigt hatte, mochte für ihn der Saal von nun an eine unangenehme Erinnerung haben. Aber es war Fleisch und Blut gewesen, was er gesehen hatte, nämlich einen seiner Pagen, einen Schalk[1], der in einem alten Schrank eine abgelegte Uniform nebst Hut und Perrücke des Kurfürsten gefunden, diese angelegt und sich an den Schreibtisch gesetzt hatte, um Jerôme einen Streich zu spielen. Jerôme verließ erschreckt den Saal. Er untersuchte übrigens die Sache damals nicht, sprach überhaupt nur sehr selten davon. Erst nach den Befreiungskriegen soll der Thäter sich dazu bekannt haben. Es wäre nun freilich ein sehr schlechter Geschmack gewesen, wenn irgend einer der zahlreichen tunesischen Hofpagen, jener durch Fürstengunst verwöhnten und übermüthig gemachten Bürschchen, sich herausgenommen hätte, seinem Herrn einen ähnlichen, wenn auch leider für den, welchen er darstellte, schrecklich verhängnißvollen Streich zu spielen, wie jener hessische dem Carnevalskönig. Wer sich nicht entschließen kann, dies für möglich zu halten, dem bleibt ja noch immer das Auskunftsmittel, an eine Vision des Bey von Tunis zu glauben, und Visionen sind ja von den Aerzten anerkannte pathologische Zustände.

Dieser grauenerregende Vorfall hatte übrigens leider nicht den Erfolg, künftige Prinzenmorde zu verhindern. Kaum ein Jahr war vergangen, als das Gefängniß mit dem Schiebfenster wieder einen Todescandidaten aufnahm. Derselbe war freilich nicht so unzurechnungsfähig, wie sein unglücklicher Vorgänger. Es war der Prinz el Adel, der jüngste Bruder des Bey. Dieser junge Springinsfeld hatte sich verleiten lassen, Partei für einen aufrührerischen Beduinenstamm zu nehmen, zu diesem zu entfliehen und sich zum Gegenfürsten aufzuwerfen. Eigentlich war er jedoch zu seiner Rebellenrolle fast ohne sein Zutun und wider seinen Willen gekommen. Der genannte Stamm hatte sich empört, und da im Orient selbst die Empörer nicht so demokratisch sind, einen Mann des Volkes an ihre Spitze zu stellen, sondern stets einen hohen Herrn als Aushängeschild haben wollen, so hatte man sich nach einem Prinzen umgesehen. Einer der Hofdiener wurde bestochen, und dieser versprach, ihnen einen Prinzen zu liefern. Man wählte el Adel, weil dieser gerade mit dem allmächtigen Minister eine ziemlich bissige Differenz hatte. Bei einer Spazierfahrt des Prinzen war der Kutscher dazu bewogen worden, recht weit von der Stadt hinauszufahren. El Adel sah sich plötzlich um fünf Uhr Nachmittags einige Meilen von Tunis. Es war Winter, und beim Dunkel zurückzukehren, gestatteten die schlechten Wege nicht. Ums Uebernachten war man übrigens nicht verlegen, denn plötzlich tauchte ein gastfreundlicher Landbesitzer auf, der sich die Ehre des prinzlichen Besuchs ausbat und seinen Gast mit Pomp und Ueberfluß bewirtete. El Adel brachte einen höchst angenehmen Abend zu; aber der nächste Morgen war weniger angenehm. An demselben erhielt der Prinz Brief über Brief von Tunis, alle angeblich mit Extra-Couriren angelangt, worin er vor der Rückkehr gewarnt wurde. Der erste Minister habe seine nächtliche Abwesenheit sogleich erfahren und diese in Verbindung mit dem Aufruhr gebracht. Der Prinz kannte den Minister und wußte, wessen dieser fähig war. Er beschloß also, vor der Hand von Tunis fortzubleiben. Wohin aber gehen? Darum waren seine Begleiter nicht verlegen. Sie kannten einen reichen und angesehenen Scheich, der sich eine Freude daraus machen würde, den Prinzen so lange zu bewirthen, bis die kleine Differenz mit dem Minister ausgeglichen wäre.

Als el Adel zu diesem Scheich kam, merkte er erst, daß er sich im Lager der Rebellen befand. An ein Zurückweichen war nun nicht mehr zu denken; er mußte gute Miene zum bösen Spiele machen. Die Araber sorgten übrigens dafür, daß er vor lauter Zerstreuungen nicht zu sich selbst kam. Erst wurde er reich beschenkt. Man spricht von einem ganzen „Zelt voll Thaler“, das unter diesen Geschenken figurirte. Das „Zelt voll Thaler“ ist eine sehr beliebte orientalische Redeblume, aber der Araber glaubt daran. Abd el Kader soll mehrere solcher Zelte besessen haben, und ich selbst kannte einen Scheich, dem seine Diener gar den Besitz eines „Zeltes voll Goldstücke“ nachrühmten. Dann

  1. Ein Herr von Malsberg, wenn der Castellan Recht hat.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_063.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)