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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

gab man Feste, Phantasias, führte ihm Tänzerinnen, Sänger und Sängerinnen vor, und damit der Festjubel ja nicht so bald verstumme, verheirathete man den Prinzen mit einer schönen jungen Beduinin, Tochter des angesehensten Scheichs, und eine solche Hochzeit hat immer vierzehntägige Lustbarkeiten im Gefolge.

Später hörten zwar die Lustbarkeiten auch noch nicht ganz auf, aber sie wechselten mit etwas Ernsterem ab. Man hielt „Kriegsrath“. Jetzt erst merke der Prinz, in welche schlechte Hände er gerathen war. Seine Bundesgenossen waren gänzlich unfähig, einen andern Krieg zu verstehen und zu führen, als den rohen beduinischen, der vor dreihundert Jahren sehr wirksam sein mochte, aber moderner Bewaffnung gegenüber keine Aussicht auf Sieg hatte. Denn so erbärmlich die Armee des Bey’s von Tunis auch genannt werden muß, sie hat eben doch moderne Gewehre und – was der Hauptschreck für die Araber – Kanonen. Jedesmal, wenn ich die Araber fragte: „Giebt es etwas, wovor Ihr Euch fürchtet?“ antworteten sie unwandelbar: „Nur eins, Kanonen!“ So erlag denn auch die ganze Schilderhebung bei dem ersten Anprall der Waffen: für die Araber gerade keine sehr ernste Sache, denn diese hatten ihre Herden schon in die Berge geflüchtet und zogen jetzt in die Wüste, wohin die faule Armee des Bey ihnen nicht nachging. Aber für den Prinzen waren die Folgen die schlimmsten. Gefangen nach Tunis gebracht, wurde ihm zwar, auf die Bitte mehrerer menschenfreundlichen Vertreter europäischer Mächte „verziehen“; eine sehr rührende Scene fand zwischen ihm und seinem regierenden Bruder statt, aber das hinderte nicht, daß er doch in den Käfig mußte. Uebrigens nahm ganz Tunis, und namentlich auch die dortigen Europäer, Theil an dem Schicksal des Irregeführten, denn man kannte seinen heitern, sorglosen Charakter und wußte, daß er sich fast wider seinen Willen in eine Sache verrannt hatte, die ihm eigentlich fremd war. Man besorgte für ihn das Aeußerste und der Regierung gingen von Seiten einzelner Consuln indirekte Mahnungen zu, diesmal wenigstens kein Blut zu vergießen, was man um so mehr zu fürchten Grund hatte, als kurz vorher zwei angesehene hohe Staatsbeamte, die ganz ohne Schuld, blos weil sie Freunde des Prinzen waren, im Verdacht standen, die Rebellion zu begünstigen, in’s Gefängniß geworfen worden und dort eines geheimnißvollen Todes gestorben waren. Als nun plötzlich das Gerücht ging, der eben eingesperrte Prinz sei schwer erkrankt, und die europäische Colonie dem Bey ihren besten Arzt anbot, den Gefangenen zu behandeln, wagte dieser nicht, den Antrag zurückzuweisen. Der Arzt fand den Prinzen am Fieber leidend, zwar an keinem unheilbaren, doch verursachten manche Erscheinungen seine Besorgniß, ja seinen Verdacht. Uebrigens machte die Genesung Fortschritte, freilich langsame, aber der Arzt hoffte, ihn zu retten. Als er eines Morgens sich einfand, sagte man dem Erstaunten, der Prinz sei ganz genesen und bedürfe keines Arztes mehr. Dieselbe Antwort bekam er an dem folgenden Morgen. Da, fast nach acht Tagen, erfuhr er, daß der angeblich genesene inzwischen in aller Stille und zwar bereits seit einer halben Woche begraben worden wäre. Nach strengem Recht hatte Niemand die Befugniß, hier Einwände zu machen. Die Consuln schwiegen. Der Tod des Prinzen war eine vollendete Thatsache, ein Glied mehr in der Kette jener geheimnißvollen Blutthaten, welche orientalische Harems und Prinzenkäfige nach wie vor aufweisen.


Aus dem Lande der Freiheit.
Von Ludwig Büchner.
Vierter Brief.
Die Nationalitäten in Amerika. – Ein Tanzkränzchen einer kirchlichen Secte. – Der Brand in Boston. – Wissenschaftliches Leben und Mäßigkeitsgesetze daselbst. – Die Chancen der Arbeiter in Amerika. – Aneignungen deutscher Sitte. – Volksbibliothek, Lese-Anstalt und kunstindustrielle Institute in Boston und New-York. – Schurz als Redner. – Die Töchter Greeley’s.

In dem soeben erschienenen Buche von D. F. Strauß, „Der alte und der neue Glaube“, welches vollständig mit der bisherigen religiösen Weltanschauung bricht und sich beinahe ganz auf materialistische Standpunkte stellt, sagt der berühmte Theologe, indem er gegen das Ende seiner Schrift auch die Politik in den Kreis seiner Besprechung zieht, von Amerika Folgendes: „Unter den Schäden, an denen das Volk der Vereinigten Staaten Nordamerikas krankt, ist einer der tiefsten der Mangel des nationalen Charakters. Auch unsere europäischen Nationen sind Mischvölker: in Deutschland, Frankreich, England haben sich celtische, germanische, romanische, slavische Bestandtheile vielfach übereinandergeschoben und bunt durch einander gemengt. Aber schließlich haben sie sich doch durchdrungen, sich im Hauptkörper der Nationen (gewisse Grenzstriche abgerechnet) zu einem neuen Producte, eben der jetzigen Nationalität jener Völker, neutralistirt. In den Vereinigten Staaten hingegen brodelt und gährt der Kessel, in Folge unaufhörlichen Zuschüttens neuer Ingredienzien, immerfort; die Mischung bleibt ein Gemisch und wird kein lebendiges Ganze. Das Interesse an dem gemeinsamen Staate kann das nationale nicht ersetzen; es hat, wie thatsächlich vorliegt, nicht die Kraft, die Einzelnen aus der Enge ihrer Selbstsucht, ihrer Geldjagd zu idealen Bestrebungen zu erheben; wo kein Nationalgefühl ist, da ist auch kein Gemüth.“

Sind auch in obigen Sätzen die Farben etwas stark aufgetragen, so hat doch der scharfsinnige Denker, obgleich er Amerika nicht aus eigener Anschauung kennt, im Ganzen richtig gesehen. Die Amerikaner selbst gestehen zu, daß sie in Folge der ununterbrochenen Zufuhr fremder Bestandtheile in ihrem Leben als Nation wesentlich behindert sind. Engländer, Irländer, Skandinavier, Deutsche, Niederländer, Slaven, Italiener, Franzosen, Spanier, Afrikaner etc., – allerdings unvereinbare Elemente zum Brodeln und Gähren genug! und genug, um das Zustandekommen eines einzigen nationalen Gusses unmöglich zu machen. Und dennoch sind diese Elemente wieder unentbehrlich zum Bestehen der Union und zum Zustandekommen ihrer riesigen Entwickelung. Wer sollte die zahllosen Eisenbahnen bauen, wenn es nicht die Irländer thäten? Wer sollte die große Classe der Dienstboten bilden, der Kutscher, Bedienten, Aufwärter, Kellner, Köche und Köchinnen, der Mägde etc., wenn nicht Irländer, Neger, und zum Theil auch Deutsche sich dazu hergeben würden? Kein Amerikaner würde als Herrschaftskutscher eine Peitsche in die Hand nehmen oder einem anderen Menschen die Stiefel putzen. Für alle derartige Geschäfte macht ihn sein persönlicher Stolz, sein Freiheitgefühl untauglich; und es würde in der That schwer sein, sich den Zustand der amerikanischen Gesellschaft ohne die einwandernden Elemente vorzustellen. Bekanntlich ist die irische Einwanderung die stärkste; und so große Nachtheile dieses auch auf der einen Seite in den großen Städten durch den Einfluß der Irischen auf die Stadt- und Staatswahlen, sowie durch ihre katholischen Neigungen haben mag, so bereitet doch andererseits gerade das irische Element als solches die wenigsten Schwierigkeiten, weil sich der Irländer am raschesten und leichtesten amerikanisirt. Am nächsten kommt ihm hierin der Deutsche, welcher ebenfalls, wenn unter Amerikanern lebend, leicht und bald zum Amerikaner wird. In fast allen deutschen Familien, in denen ich zu verkehren Gelegenheit hatte, fand ich, daß die Kinder, wenn sie nicht schon in einem gewissen Alter aus Deutschland gekommen waren, lieber und leichter englisch als deutsch redeten; und dies erklärt sich mit Leichtigkeit aus dem Einflusse der Schule. Auch sind Ehen zwischen Amerikanern und Deutschen sehr häufig, in welchem Falle das ganze Hauswesen rasch den amerikanischen Charakter anzunehmen pflegt.

Das ungünstigste Mischungselement als solches bildet ohne Zweifel der Neger, dessen körperlicher Einfluß bei der Mischung fast noch den des Weißen zu übertreffen scheint. Wenigstens sieht man oft genug Menschen mit fast weißer Hautfärbung, welche dennoch den charakteristischen Typus der Neger-Physiognomie im vollsten Maße besitzen. Die Eigenschaften der Mischlinge werden im Allgemeinen nicht gerühmt; doch werde ich darüber im Süden, wo die Mischlinge häufiger sind, genauere Informationen einzuziehen suchen. Uebrigens ist auch ihre Fortpflanzungsfähigkeit keine unbegrenzte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_064.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)