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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

dazu noch „ein warmschlagendes, von einer Empfindung ganz volles Herz“ kommen; denn dieses, hat er in seinem Götz gesagt, machte den Dichter, und im Vorspiel zum Faust führte er den Gedanken dann weiter aus in den herrlichen Versen:

„Wodurch bewegt der Dichter alle Herzen?
Wodurch besiegt er jedes Element?
Ist es der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt
Und in sein Herz die Welt zurückeschlingt?
Wenn die Natur des Fadens ew’ge Länge
Gleichgültig drehend auf die Spindel zwingt,
Wenn aller Wesen unharmon’sche Menge
Verdrüßlich durcheinander klingt:
Wer theilt die fließend immer gleiche Reihe
Belebend ab, daß sie sich rhythmisch regt?
Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe,
Wo es in herrlichen Accorden schlägt?
Wer läßt den Sturm zu Leidenschaften wüthen?
Das Abendroth im ernsten Sinne glüh’n?
Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüthen
Auf der Geliebten Pfade hin?
Wer sticht die unbedeutend grünen Blätter
Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?
Wer sichert den Olymp, vereinet Götter?
Des Menschen Kraft, im Dichter offenbart.“

Die Summe des Gesagten ist, daß „Die Laune des Verliebten“ und „Die Mitschuldigen“ ihres Mangels an Ursprüngkeit ungeachtet doch den Anfang von Goethe’s dichterischer Laufbahn markiren, insofern er darin Erlebtes poetisch zu gestalten unternahm. Die beiden Stücke kündigen seinen dichterischen Realismus an. Das auszeichnende Merkmal seines Schaffens ist ja gewesen, daß bei ihm die bewegliche Phantasie allzeit durch ein beherrschendes Gefühl für die Wirklichkeit und ihre Erscheinungen gezügelt wurde. Deshalb vermochte er wirkliche Menschengestalten, unvergänglich-realpoetische Figuren hinzustellen. Für die schönste Frucht von Goethe’s Aufenthalt in Leipzig müssen wir übrigens das „Liederbüchlein“ ansehen, welches daselbst 1770 ohne Nennung seines Namens gedruckt wurde. In diesen zwanzig Liedern und Liederchen hören wir zwar noch nicht den Vollton goethe’scher Lyrik, doch klingt in denselben, wenn auch erst schüchtern und unsicher, schon der Brustton dieser Lyrik an.

Die Leipziger Studentenzeit endigte jedoch für den jungen Dichter in unerquicklichster Weise. Eine bis zur Lockerheit gehende Unregelmäßigkeit der Lebensführung, insonderheit das viele Trinken von schwerem Merseburger Bier, sodann auch übermüthig-thörichte Versuche, die gerade in die Mode gekommene Rousseau’sche Lehre von einer Rückkehr in den Naturzustand kraftgenialisch zu prakticiren, – das alles hatte seine sonst so kernhafte Gesundheit ernsthaft angegriffen. Eines Nachts im Sommer von 1768 bekam er einen heftigen Blutsturz, und nur mit Mühe wurde der Kranke gerettet. Seine Heilung ging aber langsam vorwärts und noch lange peinigte ihn namentlich eine hartnäckige Geschwulst am Halse. Noch sehr leidend und mit tiefverstimmtem Gemüthe verließ er am 28. August 1768, an seinem neunzehnten Geburtstage also, Leipzig, um in das elterliche Haus heimzukehren.


Besser als ihr Ruf.

„Was kraucht da in dem Busch herum?“ Hu! eine Kröte! So ruft von Entsetzen geschüttelt, natürlich mit dem dazu nie fehlenden, durch Mark und Bein dringenden Schrei, das zarte Geschlecht, und eilige Flucht oder gar eine Ohnmachtanwandelung sind die Folgen der Ueberraschung durch dieses Phantasiegebild. Phantasiegebild? Ja, denn man darf wohl dreist behaupten, die bei weitem größere Anzahl unserer lieben Mitmenschen, die Männerwelt nicht ausgenommen, hat es noch nicht übers Herz bringen können, dieses Thier in Wirklichkeit einmal in der Nähe zu betrachten, wäre es auch nur, um wenigstens sich des äußeren Unterschiedes zwischen Kröte und Frosch klar zu werden.

Woher diese grenzenlose Scheu und die daraus entspringende, unsinnige Verfolgungswuth, unter welcher mehr oder weniger fast alle Nachtthiere zu leiden haben? Sie reicht weit hinauf in’s graue Alterthum, aber wohl keinem Thiere hat die Sage, der Aberglaube und das Vorurtheil so arg mitgespielt, als der Kröte, so daß es noch heute des ganzen Ernstes der Wissenschaft bedarf, das Thier bei Hoch und Niedrig zu entfabeln. Arme Kröte, die du in der Thierwelt getrost behaupten kannst: „Ich bin besser als mein Ruf“; schon zu Moses Zeiten wurdest du in infamen Verruf erklärt, denn: „Diese sollen euch auch unrein sein unter den Thieren, die auf der Erde kriechen: die Wiesel, die Maus, die Kröte, ein jegliches mit seiner Art.“ 3. Mos. 11, 29; ferner Vers 42: „Und alles, was auf dem Bauch kreucht, und alles, was auf vier oder mehr Füßen gehet, unter allem, das auf Erden schleicht, sollt ihr nicht essen; denn es soll euch eine Scheu sein“, heißt es in Luther’s Bibelübersetzung.

Die düstere Seite oder vielmehr die falsche Auffassung des Christenthums im Mittelalter hat nun vollends die Kröte in den Abgrund der Hölle geschleudert, denn in den Hexenprocessen sehen wir sie in glühender Entfaltung grauenvollen Zaubers. Hier sei auch des geheimnißvollen Krötensteins[1] gedacht. Der Aberglaube hat nach Wuttke („Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart“) Folgendes ausgeheckt: „Im Kopfe der großen Kröte liegt der ‚Krötenstein‘ (ein kleines rundes Knöchelchen), den man aber nur erhält, wenn man die Kröte in einem Ameisenhaufen zerfressen läßt; streicht man eine Wunde damit, so heilt sie sofort, und kommt Gift in seine Nähe, so schwitzt er; berührt man damit eine Frauensperson, so springt alles Gebundene, Zugeknöpfte und Zugenestelte an ihr auseinander.“ Jener Aberglaube ist in Tirol, dieser in Böhmen allgemein.

In dem unermeßlichen Troß der Geheimmittel wurde der Kröte eine ganz besondere, wesentlich bevorzugte Aufmerksamkeit, reich an Variationen, zu Theil, und es überrascht daher nicht, daß man eine Anzahl von Floras Kindern mit dem Namen der Kröte in Verbindung gebracht hat.

Milder gestaltet sich ihr Schicksal in dem in Tirol und Kärnten verbreiteten Volksglauben, daß, wie Wuttke uns mittheilt, „arme Seelen in Krötengestalt auf der Erde herumirren und so ihre Sündenschuld abbüßen müssen. In fast ganz Tirol betrachtet das Volk die großen Kröten (in Süd-Tirol Hötschen, im Innthal Höppinen genannt) mit Grauen und Mitleid, thut ihnen aus Barmherzigkeit gegen die armen Seelen kein Leid an und weist auch die Kinder dazu an. Besonders am Allerseelentage darf man Kröten oder Frösche nicht tödten, ‚weil arme Seelen drin sind‘. An Quatembertagen erscheinen Kröten bei Capellen und besonders bei Wallfahrtsorten. So wollte man vor längerer Zeit in dem Michaeliskirchlein zu Schwaz, an den Vorabenden hoher Feste, eine große Kröte gesehen haben, die zum Altare kroch, sich dort aufrichtete und die Vorderfüße zusammengelegt in die Höhe hielt, als ob sie betete; das war eine solche arme Seele, Aehnliches erzählt man sich in Meran. Nicht selten kommt es vor, daß Menschen, die eine gelobte Wallfahrt unterlassen haben, dieselbe nach ihrem Tode als Kröte vollbringen müssen, was freilich sehr langsam geht, manchmal sieben Jahre lang dauert; am Ziele der Wallfahrt angekommen, fliegt die erlöste Seele dann als weiße Taube gen Himmel.“

Vielfach treffen wir die Kröte im Reich der Märchen an und besonders als Schätzehüterin; auch Menschen, die einen Schatz versteckt haben, hüten in Tirol als Kröten denselben so lange, bis er gefunden wird. Nach der Sage muß bekanntlich die Kröte Erde fressen, weil sie während der Sündfluth die Erde in ihrem Bauche für die Nachwelt aufzubewahren hatte, und da sie in Sorge ist, die Erde könnte doch einmal alle werden, so frißt sie täglich nicht mehr, als sie mit dem linken Fuß fassen kann.

Darauf hindeutend, vergleicht sie Hans Sachs mit dem Geizigen und giebt an einer andern Stelle dem Eigennutz das Herz einer Kröte:

Das Krötenherz sein Deutung hat,
Daß eigner Nutz ist unersatt.
Was ei’m Gott giebt, wen’g oder viel,
Jedoch er noch mehr haben will.

  1. Die vielfach unter diesem Namen aufgefundenen Steine, die mit der Kröte nichts weiter gemein haben, als daß deren Form Aehnlichkeit mit der Kopfbildung der Kröte hat, sind versteinerte Zähne einer ausgestorbenen Fischgattung, und eine andere gleichfalls unter dem Namen Krötenstein bekannte Form sind versteinerte Seethiere, aus der Classe der Strahlthiere, Radiarien, gewöhnlich Seeigel genannt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_131.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)