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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

und „gezogen“ werden. Die Fischer bedienen sich dazu junger Ellern oder Buchen (letztere sind theurer, aber dafür auch dauerhafter), nehmen ihnen die dünnsten Zweige, schneiden die Jahreszahl in den Stamm, spitzen sie unten zu und setzen sie dann mit Hülfe eines Taues und einer Gabel aus zwei bis drei Faden Tiefe fest in den Grund. Hier stehen sie gewöhnlich vier Jahre, und wenn sie dann mit Hülfe eines Taues, welches um den Stamm herumgeschlungen wird, wieder herausgenommen, „gezogen“ werden, so sind sie dicht besetzt mit allerlei Wasserthieren; namentlich hängen in Büscheln und Klumpen große Muscheln daran, die ihre Byssusfäden entweder am Holze oder an den Schalen ihrer Nachbarn festgesponnen haben. Es ist das die Mießmuschel, mytilus edulis, eßbare Muschel, eingeschlossen in eine länglich eiförmige Schale, an der Vorderseite etwas plattgedrückt, an der Rückseite gekrümmt und gebogen und von violetter Farbe. Das Thier selbst ist gewöhnlich pommeranzengelb, im mageren Zustande etwas blasser, und wird, gekocht mit der Zuthat von Pfeffer und geschmolzener Butter, von vielen Menschen als Leckerbissen gegessen, nachdem vorher, wie bei der Auster, der sogenannte Bart entfernt worden ist.

Um seinem gefährlichen Feinde, dem Kreuzfisch oder Seestern, welcher sich in Folge seines Körperbaues auf dem Grunde des Meeres aufhalten muß, zu entgehen, sucht die Muschel höher liegende Gegenstände, Steine, Seepflanzen etc., aus und befestigt sich mit seinen Fäden an denselben.

Auf diesem einfachen Umstande beruht die ganze Muschelfischerei, welche also leicht und ohne große Kosten zu betreiben ist. Vier Jahre braucht die Muschel, um sich vollständig zu entwickeln; es muß also, damit man fortgehende Ernten hat, das jährliche Setzen und Ziehen im Verhältniß zu einander stehen. Auf den Kieler Markt kommen circa achthundert Tonnen jährlich, welche eine Gesamtsumme von reichlich drei Millionen Muscheln und einen Werth von drei- bis viertausend Thalern repräsentiren. Gewöhnlich werden die Muschelpfähle im Winter und zwar auf dem Eise „gezogen“. Die Ellerbeker kennen genau den Stand derselben, indem sie Merkzeichen auf dem Lande haben, die sie vom Wasser aus beständig fixiren. Mit Hülfe eines langen Hakens führen sie ein Tau um den Stamm des Baumes und winden denselben damit in die Höhe. Wenn er erst gelockert und aus dem Grunde gezogen ist, was allerdings einige Anstrengung erfordert, erscheint er bald auf der Oberfläche des Wassers. Bei Frostwetter wird der Baum ganz auf’s Eis hinausgezogen, und dicker schwarzer Schlamm bezeichnet in einem weiten Umkreise die Stelle, wo die Ernte gethan ist. Auf ihren sechs Fuß langen schmalen, meistens grün angestrichenen „Peekschlitten“ sitzen dann die Fischer mit ihren leinenen Pumphosen, gestrickten dicken wollenen Unterjacken und großen schweren Wasserstiefeln im traulichen Kreise zusammen, um die brauchbaren Muscheln abzupflücken und in bereitstehende Bütten und Kufen zu werfen.

Es ist nicht uninteressant, ihren Gesprächen bei dieser lohnenden, aber schmutzigen Arbeit zu lauschen, nicht uninteressant so einen herausgezogenen Muschelpfahl zu betrachten. Zwischen und aus den Schalen der Muscheln wimmelt es von verschiedenen anderen Thieren, braunen Seenelken, Schippen- und Fadenwürmern, Ohr- und Haarquallen, verschiedenen Polypenformen etc. Auch der gefräßige Seestern hat es möglich gemacht, seine durchsichtigen Fäden zwischen die geöffneten Schalen der Muscheln zu stecken und die darin enthaltene tödtliche Flüssigkeit auf den Körper des armen Thieres zu ergießen. Man findet ihn mit Muscheln im Magen.

Aergerlich wird der Ellerbeker, wenn der Schiffsbohrer den Muschelbaum so arg bearbeitet hat, daß derselbe zu nichts mehr nütze ist, als in’s Feuer geworfen zu werden. Dann kann es vorkommen, daß die besuchenden Schlittschuhläufer rauh abgewiesen werden, wenn sie sich störend herzudrängen oder gar um einen kleinen Tribut von der gemachten Beute bitten, der sonst nicht gern versagt wird, wenn anders der Jahrgang gut und die Ernte einigermaßen erträglich ausgefallen ist. Früher wurde der jährliche Ertrag zum größten Theile in Kiel und Umgegend consumirt, höchstens daß sich einige Reste nach Hamburg verirrten. Seit man aber neuerdings angefangen hat, die Muschel so zu behandeln, daß sie längere Zeit aufbewahrt werden kann, indem man sie kocht, ihrer Schalen entkleidet, reinigt, mit Essig, Pfefferkörnern und Lorbeerblättern einmacht und in luftdicht verschlossene Gläser thut, dürfte sie bald ihren Rundgang durch ganz Deutschland machen und auf den Speisekarten der großen Hôtels ebenso als gesuchter Leckerbissen paradiren wie die berühmten „Kieler Sprotten“, deren Fang und Behandlung wir jetzt unseren Lesern vorführen wollen.

Die November-Sonne ist untergegangen; eine recht frische Brise geht über das Wasser hin, so daß die ganze See mit kurzen krausen Wellen bedeckt ist. Dieses günstige Mittelding zwischen Sturm und Windstille gewährt die meiste Aussicht auf einen reichen Sprotten-Fang; denn bei solchem Wetter pflegen die Sprotten in großen Schaaren einherzuziehen, zu „lopen“ (laufen), wie die Fischer sagen, und lassen sich leichter fangen. Trotz der späten Abenddämmerung ist es am Ellerbeker Ufer lebendig. Eine Reihe Böte, darunter noch jetzt einzelne, welche aus einem einzigen ausgehöhlten Baumstamme bestehen und mit ihren spatenförmigen Schaufeln und grasbraunen Segeln lebhaft an die Canoes der Wilden erinnern, – eine Art, deren sich vorzugsweise die Frauen bedienen –, liegt zur Abfahrt bereit; denn ein ganzes Geschwader will sich in die offene See hinausbegeben. Je zwei und drei bergen das große, aus feinem, starken Hanfgarne gestrickte und dunkel getheerte oder gebeizte Fangnetz. Dasselbe besteht aus einem sogenannten Sack und zwei Flügeln. Letztere sind vierzig bis fünzig Faden lang und ein bis zwei Faden breit. Die Maschen, deren Weite und Anzahl sich nach der Größe der zu fangenden Fische richtet, sind am äußersten Ende der Flügel am weitesten, werden dann immer enger und schließlich im Sacke, welcher beide Flügel verbindet, so dicht, daß auch die kleinsten Fische nicht durchschlüpfen können. Auf allen vier Seiten ist das Netz durch eine dickere Schnur begrenzt, welche gleichsam einen Rahmen um dasselbe bildet. Die ganze obere Seite ist mit Korkstücken, die untere mit Steinen versehen. Erstere, „Flotthölzer“ genannt, haben den Zweck, das Netz aufrechtzuerhalten, zu tragen; letztere, es am Grunde niederzuhalten, mit andern Worten: daß das Netz unter dem Wasser stets straff, stramm stehe und die gehörige Lage habe. Am Ende jedes Flügels ist ein starkes Querholz befestigt und an diesem ein langes dickes Tau, das um eine Walze läuft, die in der Mitte des Bootes mittelst Handspeichen gedreht wird.

Nachdem dieses kostbare Handwerkszeug (ein großes Fangnetz gilt vier- bis fünfhundert Thaler), sorgsam – will sagen in regelmäßigen Lagen am Vordersteven des Bootes niedergelegt worden ist, und der am Steuer befindliche Kasten sein Deputat an Brod, Speck und Branntwein bekommen hat, stößt die aus zwei rüstigen Männern bestehende Besatzung jedes Bootes vom Lande. Zu der oben geschilderten Ausrüstung kommt noch ein dicker, schwarzgetheerter Rock hinzu, der zwar wenig Wärme, aber desto bessern Schutz gegen den scharfen Wind gewährt, wie auch ein großes ledernes Schurzfell. Bald werden die Ruder eingelegt, und in gleichmäßigem Tacte geht es vorwärts, an einzelnen still vor Anker liegenden Kriegs- und Kauffahrteischiffen vorbei, hinaus in die offene See, deren kräuselnde Wellen unter dem klaren wolkenlosen Sternenhimmel glitzern und blitzen. Endlich ist die zum „Aussetzen“ des Netzes bestimmte Stelle erreicht. Die Ruder werden eingezogen, und die von Hand zu Hand gehende Flasche eröffnet den Reigen. Die beiden Böte, welche das Compagniegeschäft betreiben, liegen jetzt dicht nebeneinander. Nachdem jedes derselben einen Flügel des Netzes aufgenommen hat, und der mit einem Stück Blei beschwerte Sack langsam und vorsichtig in’s Wasser gelassen ist, fahren sie in entgegengesetzter Richtung auseinander und entfernen sich so weit, bis auch die Querhölzer der während dessen ausgeworfenen Flügel unter Wasser sind. Dann ändern sie die Richtung und fahren parallel nebeneinander her; die Walzen beginnen sogleich, sich zu drehen, und das ablaufende Tau sinkt in’s Wasser. Endlich ist jede Walze abgelaufen und reichlich hundert Schritt von den Böten entfernt liegt das Netz ausgespannt am Grunde des Meeres. Jetzt beginnt das eigentliche „Ziehen“ desselben. Vermittelst Handspeichen werden die Walzen in entgegengesetzter Richtung gedreht, eine Arbeit, die sehr mühsam ist und häufige Ablösung erfordert. Allmählich nähert sich so das fortwährend ausgespannte Netz den beiden Böten, und sobald jedes derselben das Querholz seines Flügels erreicht hat, legen sie sich wieder dicht nebeneinander, um das Einziehen des Netzes zu beginnen, welche Arbeit noch mühsamer ist, da sie mit den Händen geschehen muß, und das Netz wegen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_135.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)